„Manchmal ist eine Lüge mehr wert als die Wahrheit.“ Das sagte sich die Ärztin Karen Bender, nachdem sie 1995 aus den Wirren des Balkankriegs heimgekehrt war in die Arme des geliebten Ehemannes. Sollte sie ihm etwa erzählen, dass sie ihn mit dem einheimischen Kollegen Viktor Novak betrogen hat?! Hätte sie ihm die Ausnahmesituation plausibel machen können? Hätte sie ihm erzählen sollen von der Notoperation in einem Feldlazarett, die ihnen beiden beinahe das Leben gekostet hätte? Das wäre vielleicht noch möglich gewesen. Aber hätte sie ihm auch sagen können, dass in dieser schicksalhaften Nacht ihr beider Glücksstern Kim gezeugt worden sei, dass also nicht er der Vater des Mädchens ist? Sie weiß, dass ihr Mann, ein idealistischer Anwalt und ein sensibler, liebender Vater, das nicht verkraftet hätte.
„Manchmal geht das Leben seltsame Wege.“ Das muss die Heldin acht Jahre später erfahren. In dem Fernsehfilm „Stunde der Entscheidung“ fährt der Schrecken mit Verzögerung in das Glück der Familie. Zunächst wird bei Kim eine lebensgefährliche Blutgefäß-Missbildung im Gehirn festgestellt. Viktor Novak, inzwischen ein international renommierter Neurochirurg, wäre für die Operation der ideale Arzt. Doch nicht nur der Ehemann ist unwissend, auch Novak weiß nichts von seiner Vaterschaft. Die Gefühle kollabieren. Und Karen Bender muss plötzlich an zwei Fronten kämpfen: um das Leben ihres Kindes und um ihre Ehe.
Die Story klingt ausgedacht, sie scheint allein dazu da zu sein, um den Zuschauer in einem Bad der Gefühle zu ertränken. In dem Film von Michael Rowitz vermitteln sich aber die Konfliktlagen völlig anders. Akzeptiert man als Zuschauer, dass der Film eine familiäre Konstruktion und die tränendrüsige Verbindung von Kind und Krankheit für die Handlung benutzt, um innere Wahrheiten zu vermitteln und um eine Dreiecksgeschichte zu einer fiebrigen Angelegenheit werden zu lassen – der wird sich diesem Film nicht entziehen können. Dafür ist dieses zum Drama mutierende Melodram zu intelligent und technisch perfekt inszeniert. Rowitz, der in Zeiten, als RTL noch gewagte TV-Movies drehte, sich einen Namen machte als Genrespezialist, der gerne ein wenig Tarantino-Touch ins Pantoffelkino brachte, beherrscht das Spiel von Nähe und Distanz. Wann sah man zuletzt in einem Film so viele Tränen fließen?! Zurückhaltendes Spiel, der richtige Schnitt in die Totale zur richtigen Zeit, dazu die passende Musik – und nichts ist mehr peinlich. Dass solche Feinheiten in Spiel und Regie den Zuschauer irritieren könnten, nahm offenbar die ARD-Programmplanung an. Warum sonst brauchte der Film drei Jahre, bis er ins Programm fand?