„Pixelschatten steht für Content, der das Hirn fickt. Alles selbst gemacht, nichts ist Konserve. Das verträgt nicht jeder“, postet Pixel alias Paul, auf seinem Blog www.pixelschatten.de. Der 22-Jährige hat keinen Plan von der Zukunft. Sein Lebensinhalt ist seine Website und seine Freundin Suse. Paul kommentiert das Leben der Clique in der deutschen Provinz; er bildet den gemeinsamen Alltag ab, Diskussionen, 1.-Mai-Wanderung, Partys, aber auch mit intimen Details aus seinem Beziehungsleben erfreut er seine User. Stets das Kamerahandy gezückt, sucht er nach dem Kick für den Klick – und über jene Klicks und die Anzahl der Kommentare der dörflichen Community definiert Paul sich und den Wert seines Blogs. Aus ihm ist längst Pixel geworden, eine Netz-Persönlichkeit, die am „echten Leben“ kaum noch teilnimmt. „Was machst du eigentlich den ganzen Tag?“, fragt ihn Suse. „Das kannst du doch nachlesen“, mault der Freund sie an. Den „Freunden“ ist das zu viel. Sie haben sich verändert, wollen ihr Leben leben. Paul will es nicht wahrhaben. Ein Teufelskreis beginnt. Immer mehr Einträge gehen unter die Gürtellinie. „Sag ihm, er soll sich selbst pixeln“, postet ein ehemaliger Freund. Immer weniger interessieren sich noch für die Seite. Pixels Reaktion schockt die User: Ein Sex-Video mit Suse. Dazu Pixels Text: „Dies ist mein letzter Eintrag. Unser letztes Mal.“
Screen-Shots, eingespielte Videos, gepostete Texte, Chatroom-Oberfläche – einen Film wie „Pixelschatten“ will ein Zuschauer, der mit dem herkömmlichen Abbild-Realismus von Film groß geworden ist, sicher nicht jeden Tag sehen. Das würde er wohl auch kaum aushalten. Als audiovisuelles TV-Experiment aber ist der Film von Anil Jacob Kunnel ebenso interessant wie geglückt. Im Gegensatz zu 99,99% aller Fernsehfilme, die sich über ein Raumzeit-Kontinuum und eine klassische Erzähldramaturgie definieren, strukturieren Webdesign und moderne Interaktionsformen dieses „Kleine Fernsehspiel“. Die radikal subjektive Kamera, die die Perspektive des Ich-Erzählers simulieren soll, funktioniert im „realistischen“ Film – wie die Filmgeschichte zeigt – nicht. Bei „Pixelschatten“, dessen formale Gestaltung ohnehin mit den Sehgewohnheiten radikal bricht, stört es kaum, dass man die Hauptfigur nicht sieht. Der Film hat seine eigene Filmsprache und Logik. Er führt den Zuschauer quasi durch eine bunte Mixtur aus subjektiven Kameraeinstellungen, Chatgesprächen, Online-Videos, geschriebenen und gesprochenen Texten, Songs direkt in den Kopf des Bloggers. Mit dem Verschwinden Pixels aus dem Web sowie der realen Welt, der Rückkehr mit dem „NEUEN Pixelschatten“ und dem finalen „Clou“ werden die 85 Filmminuten durchaus von einer dezenten Spannungs-Dramaturgie belebt, doch nachhaltiger als der Gang der Handlung sind die faszinierenden Details, die spielerischen Elemente, die Clips, aber auch die Beziehungen der Hauptakteure.
Trotz der vermeintlich Distanz schaffenden (Brechtschen?) Ästhetik von Kunnels Filmexperiment, dessen stoffliche Basis im Grunde genommen ein Coming-of-Age-Drama ist, sind in „Pixelschatten“ Gefühle allgegenwärtig. Im Bild, im Ton. In den Tränen am Ende. Nicht nur die Kinder von Marx & Coca-Cola können sich gegenseitig emotional verletzen, auch die (meisten) Kinder von Facebook, Studi-VZ, Twitter oder MySpace sind zur Empathie fähig. Und sie sollten irgendwann merken, so Kunnels Botschaft, dass die virtuelle Welt nur ein Medium ist, ein Mittel zum Zweck. Sonst wird es böse enden… (Text-Stand: 8.5.2011)