Die Macher dieses Films hätten es sich einfach machen können. Wäre es in ihrem Drama zum Thema Toleranz um eine junge Frau gegangen, die mit einem Moslem liiert ist und sich gegen entsprechende Vorurteile zur Wehr setzen muss, der Beifall von allen richtigen Seiten wäre den Verantwortlichen gewiss gewesen. Die katholische Tellux-Film und die Autoren Hans-Ullrich Krause und Marc-Andreas Bochert aber gehen das Thema ungleich diffiziler an; und weitaus mutiger. Ihr Drehbuch erinnert an einen Vorfall während der Olympischen Sommerspiele in London 2012, als einer Ruderin aus dem Deutschland-Achter die Abreise nahe gelegt wurde, nachdem bekannt geworden war, dass ihr Freund NPD-Funktionär war.
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Krause und Bochert, der dieses intensive und reichlich Diskussionsstoff bietende Drama mit dem schlichten Titel „Toleranz“ auch inszeniert hat, haben aus der Ruderin eine talentierte Handballerin gemacht. Im Leben der jungen Karo (Jennifer Ulrich) läuft alles optimal: Die erfolgreiche Torjägerin hat sich mit ihrem Kleinstadtclub für das Europapokalturnier in Amsterdam qualifiziert, der Bundestrainer hat sie in die Nationalmannschaft berufen, ihr Freund Martin (Martin Laue) überrascht sie mit einer gemeinsamen Wohnung. Aber dann wird ihre Beziehung plötzlich zum Medienthema: Einer Journalistin kommt Martin bekannt vor, und tatsächlich stellt sich heraus, dass der junge Mann bekennender Neonazi ist. Die Clubführung fürchtet um das Image des Vereins; Karo muss das Turnier verlassen.
Neben der Entscheidung, diese Parabel über Toleranz vor politischem Hintergrund zu erzählen, erweist sich ein zweiter Schachzug als womöglich noch couragierter: Martin ist ein durchaus sympathischer Zeitgenosse. Das Drehbuch vermeidet es tunlichst, ihn zu dämonisieren. Martin ist ein unauffälliger junger Mann von Mitte/Ende zwanzig und im Umgang mit Karo sehr liebevoll. Einzig zu Beginn des Films rastet er einmal aus, als der (mutmaßlich türkischstämmige) Türsteher eines Clubs ihn erkennt und ihm mit den Worten „Nazis nicht erwünscht“ den Zutritt verweigert. Martins wutentbrannte Reaktion („Ihr Kanaken seid hier nicht erwünscht!“) ist der einzige Hinweis auf seine rechtsextremistische Gesinnung. Seiner Freundin hat er versichert, er habe sich von der rechten Szene losgesagt. Ob dem tatsächlich so ist, lässt der Film offen; und eine Haltung gibt Bochert auch nicht vor.
„Toleranz“ ist nach „Empathie“, „Inklusion“ und „Dyslexie“ der vierte Themenfilm von ARD alpha (vormals BR alpha). Wie die anderen Arbeiten von Marc-Andreas Bochert, die z.T. mehrfach ausgezeichnet worden sind, sollte auch dieses Drama unbedingt ein größeres Publikum erreichen. Der Film kann nach der Ausstrahlung ein Jahr lang in der Mediathek von ARD alpha angeschaut werden.
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Inhaltlich bezieht „Toleranz“ seine Spannung aus dem Riss, der nach dem ersten Zeitungsbericht über die „Nazibraut“ quer durch alle Lebensbereiche geht. Karos Familie ist ebenso gespalten wie der Verein. Anfangs stehen ihre Mannschaftskameradinnen noch zu ihr, zumal sie Karos Toren ihren Erfolg zu verdanken haben, doch der Druck nimmt mehr und mehr zu. Der Trainer will sie aufstellen, die Ko-Trainerin ist dagegen. Nebenbei thematisieren Krause und Bochert auch noch den Einfluss, den Sponsoren mittlerweile im Sport haben: Der Club ist auf die Unterstützung eines örtlichen Gasunternehmens angewiesen. Der Konzern wollte Karo zur Protagonistin einer PR-Kampagne machen, fürchtet nun aber einen Imageschaden und fordert den Clubchef auf, sich von der Spielerin zu distanzieren. Der wiederum ist zu feige, Karo das selbst mitzuteilen, und schickt den Trainer vor. Auch die Rolle der Medien wird beiläufig, aber eindrücklich thematisiert: Im Hotel fällt Karos Blick auf ein Boulevardblatt, das neben der Überschrift „Die Nazis sind zurück“ ein aggressives Foto von ihr zeigt. Ein rechtsradikales Pamphlet freut sich dagegen über die „Toleranz-Lüge“.
Dank des differenzierten Umgangs mit dem Thema bietet der Film vielfältige Diskussions-Ansätze, gerade auch für den Schulunterricht. Darüber hinaus ist „Toleranz“ nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht. Die Produktion wird kaum über den Etat eines üblichen Fernsehfilms verfügt haben, aber Bochert macht das Beste draus. Gerade die Handballszenen sind sehr überzeugend umgesetzt. Rasche Schnittfolge und Perkussion sorgen für Dynamik, die Zeitlupenstudien erinnern an die gängige Sportberichterstattung; dank einer gewissermaßen mitspielenden Kamera ist der Film immer mittendrin im Geschehen. Jennifer Ulrich ist mit ihren 30 Jahren zwar deutlich älter als die Filmfigur, wirkt aber viel jünger und macht auch als Handballerin eine sehr gute Figur. Ohnehin ist es Bochert ausgezeichnet gelungen, die Atmosphäre im Team glaubwürdig einzufangen. Auch da sorgt ein schlichter, keineswegs plakativ wirkender Kniff für eine Zuspitzung: Die einzige Mitspielerin, die am Ende noch zu Karo hält, ist ausgerechnet Jasmin, eine junge Frau mit iranischen Wurzeln. Beredtes Bild für die Entzweiung zwischen dem Star und der Mannschaft sind die Runden, die das Team in einem Stadion dreht. Karo läuft immer einige Meter vor den anderen. Anfangs zeichnet sie das als Anführerin aus; am Ende verdeutlicht der Abstand die Distanz zu ihren Mitspielerinnen.