Märchen stehen für eine bestimmte Moral, schließlich soll man ja fürs Leben lernen. Moderne Adaptionen der klassischen Geschichten zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass diese Moral etwas subtiler verpackt wird als vor einigen hundert Jahren. Zu Zeiten von Wilhelm Hauff jedoch, einem nicht mal 25 Jahre alt gewordenen spätromantischen Zeitgenossen der Gebrüder Grimm, hatten Botschaften noch unmissverständlich zu sein. An der Moral des Märchens „Das kalte Herz“ besteht daher kein Zweifel: Geld verdirbt den Charakter. Und da das ZDF die Vorlagen für seine Weihnachtsmärchen stets beim Wort zu nehmen pflegt, wirkt dieser Film von Marc-Andreas Bochert (Buch und Regie) etwas altmodisch.
Dabei ist die Erzählung, wenn man sie auf ihren Kern reduziert, eine moderne Parabel auf die Gier: Das Glasmännlein, ein guter Waldgeist, erfüllt dem armen Schwarzwald-Köhler Peter seinen Wunsch nach Ansehen & Wohlstand. Nun kann er auch um die Hand seiner Geliebten anhalten. Als ihm das Geld ausgeht, wendet er sich in seiner Not an den Holländer-Michel, einen bösen Waldgeist, aber dessen Hilfe hat ihren Preis: Peter muss sein Herz gegen einen Stein eintauschen. Fortan wandelt sich der einstige Köhler vom vorbildlichen Arbeitgeber, der in seiner Glashütte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall eingeführt hat, zum kühl kalkulierenden Controller, der seinen Betrieb rationalisiert. Auch die Ehe leidet unter seiner Hartherzigkeit. Als Gattin Lisbeth einen Bettler bewirtet, gerät er außer sich vor Zorn und erschlägt sie.
Foto: ZDF / Sandra Bergemann
Angesichts der unverhohlenen Kapitalismuskritik ist es nicht weiter überraschend, dass Hauffs Märchen erstmals in der DDR verfilmt worden ist (1950). Tatsächlich orientiert sich die ZDF-Adaption inhaltlich sogar eher an diesem Defa-Film von Paul Verhoeven als an Hauffs Geschichte, die zumindest unterschwellig auch religiösen Charakter hat: Peter bringt den Holländer-Michel mit einer List dazu, ihm sein Herz wieder einzusetzen, und hält sich den zornigen Dämon dann mit einem Kreuz vom Leib; in den Filmen entkommt er ihm einfach. In der Entstehungszeit des Märchens war jedem Leser klar, dass der unheimliche Michel mindestens mit dem Teufel im Bunde, ja womöglich gar der Teufel selbst war, der die Habgierigen ihrer Seelen beraubte. Ohne diese Komponente wirkt er bloß wie ein finsterer Bursche, der aus irgendeinem verschrobenen Grund Herzen sammelt und in Kristallen aufbewahrt, die in seiner Höhle nun wie Lavalampen vor sich hin pochen.
Immerhin wird der sinistre Unhold von Thomas Thieme angemessen diabolisch verkörpert. Thilo Prückner wiederum interpretiert das Glasmännlein als personifizierten erhobenen Zeigefinger und damit vermutlich ganz im Sinne Hauffs. Laura Louisa Garde hat als Lisbeth nicht viel mehr zu tun als möglichst liebreizend auszusehen, was ihr aber derart gut gelingt, dass sie beim ZDF vermutlich schon auf der Liste der „Herzkino“-Kandidatinnen steht. Wichtige Nebenrollen weiterer Michel-Opfer sind mit August Schmölzer und Michael Schenk gleichfalls treffend besetzt. Ausgerechnet Hauptdarsteller Rafael Gareisen aber ist ein bisschen langweilig. Den naiven Köhler spielt er glaubwürdig, aber der charakterliche Wandel des jungen Mannes äußert sich nur in seinen Taten, nicht jedoch in Gareisens Ausstrahlung; das Charisma eines Schurken geht ihm völlig ab.
Regisseur Marc-Andreas Bochert (zuletzt „Toleranz“) hat die meisten seiner Langfilme bislang im Auftrag von ARD alpha (früher BR alpha) gedreht, für das ZDF aber auch das mit dem Robert-Geisendörfer-Preis ausgezeichnete Weihnachtsmärchen „Die Schöne und das Biest“ (2012) inszeniert. Gerade gemessen an diesem Film ist „Das kalte Herz“ inhaltlich & optisch derart konventionell, dass ein schlichtes Kippen der Kameraachse (als Peter klar wird, dass er sein Leben verwirkt hat) gleich wie ein fettes Ausrufezeichen anmutet. Das Tempo ist eher gemächlich, digitale Effekte werden äußerst sparsam eingesetzt (Michels Stock verwandelt sich in eine Schlange), und die sichtbar um Authentizität bemühten Szenen in der Glasbläserei und beim Köhlern sehen aus wie Bildungsfernsehen. Immerhin sind Kameramann Hermann Dunzendorfer großartige Waldbilder gelungen.