„Fremdkörper“ beginnt mit einer Einblendung: „Weltweit werden zwischen 10.000 und 20.000 Nieren illegal verpflanzt.“ Wolfgang Kruber (Thorsten Merten) ist in dem Film einer der Empfänger. Ein Erpresserbrief veranlasst ihn, nach Istanbul zu reisen. „Bring 10.000 Euro oder ich schalte die Polizei ein“, heißt es darin. Als Absenderin erweist sich Irina (Janina Elkin), der Kruber vom angegebenen Treffpunkt aus heimlich bis zur Wohnung folgt. Dort stellt er sie zur Rede, entschlossen, sich nicht erpressen zu lassen. Aber Irina erklärt, nach der Operation nur 500 Euro und eine Schmerztablette bekommen zu haben – und ihre schlecht verheilte Narbe zeigt sie schließlich auch, während Kruber schon ins Taxi zum Flughafen steigt. Dort macht der 50-Jährige kehrt und fährt, von Gewissensbissen geplagt, zurück zu der Ukrainerin, die das Geld benötigt, um ihre Tochter aus der Heimat zu sich zu holen.
Foto: ZDF / Kamuran Erkacmaz
Der Film über illegalen Organhandel kommt ganz ohne schulmeisterliche Dialoge und fast ohne Krimi- und Action-Elemente aus. Nur eine Szene im Hinterzimmer einer Näherei deutet das „Geschäftsmodell“ und auch die Brutalität der Hintermänner an. Autor-Regisseur Christian Werner, Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg, konzentriert sich in dem „Kleinen Fernsehspiel“ auf die persönliche Begegnung von Organspender und Empfänger und auf die Beweggründe seiner Hauptfiguren. „Fremdkörper“ ist reduziert und sehr angenehm erzählt, die ungewöhnliche Länge von 60 Minuten scheint genau passend für diese Geschichte – wobei der Original-Film offenbar fürs ZDF noch um einige Minuten gekürzt wurde. Kammerspielartige Szenen wechseln sich ab mit Bildern vom „einfachen“ Istanbul: Enge Gassen, ein Imbiss und eine Bar, Fahrten über den Bosporus oder durch die abendliche Stadt. Der Ton ist gedämpft, die Geräusche auf den Straßen werden teilweise ausgeblendet, und die Musik dringt kaum ans Ohr, so leise und bescheiden trägt sie ihren Teil zur Atmosphäre bei.
Die Spannung erwächst aus der Konfrontation und der Annäherung von Irina und Wolfgang, der nur ab und zu mit seiner besorgten Tochter telefoniert. Er wirkt angeschlagen, muss Medikamente schlucken, weil sein Immunsystem das fremde Organ abstoßen könnte. Zudem hat sich seine Frau gerade von ihm getrennt. So ist es kein Wunder, dass sein Misstrauen gegenüber der deutlich jüngeren – und attraktiven – Irina langsam Neugier und Sympathie weicht. Auch Irina scheint Wolfgang mehr und mehr zu vertrauen. Nachdem sie noch am Abend in die Stadt gefahren sind, damit Wolfgang das restliche Geld am Automaten abhebt, kehren sie noch in eine Bar ein. Man unterhält sich, trinkt, tanzt, flirtet ein bisschen. Doch zugleich gibt es eine unüberbrückbare Distanz zwischen beiden, die letztlich auf der Herkunft und den sozialen Umständen beruht. Dass beide in holprigem Englisch miteinander sprechen (was untertitelt wird), verstärkt die Distanz und zugleich den Eindruck der Authentizität. Der Organhandel, der Wolfgang und Irina zusammengeführt hat, mündet hier weder in eine süßliche Romanze noch in ein moralinsaures Lehrstück. Wer von beiden ist Opfer, wer ist Täter? Die Sozialkritik entsteht wie nebenbei – durch eine glaubhaft erzählte Geschichte und vielschichtige Charaktere. Vor allem Irina ist immer für eine Überraschung gut. Eine starke Leistung von Janina Elkin und Thorsten Merten. (Text-Stand: 25.5.2015)