Eric (David Rott) liebt sein unabhängiges Leben in Berlin ohne Verpflichtungen. Von einer gemeinsamen Zukunft haben er und seine Freundin Verena (Anna Thalbach) unterschiedliche Auffassungen. „Vater sein, das kann ich nicht, dafür bin ich nicht geschaffen“, das ist bei dem Enddreißiger nicht nur ein Spruch. Als sein Bruder (Roman Knizka) stirbt und ihm zwei Kinder „hinterlässt“, fühlt sich Eric in seiner Überzeugung bestätigt – sprich: sofort überfordert. Der 16jährige Nico (Max Hegewald) behandle ihn wie den Mörder seines Vaters und die 11jährige Leonie (Cosima Schroeder) sei im Hungerstreik, bringt der Vormund die Lage ironisch auf den Punkt. Erschwert wird der familiäre Verlust durch die unsichere Zukunft. Der Hof ist verschuldet, die Molkerei zockt alle Milchbauern der Gegend weiter ab und die Mauscheleien, um EU-Förderungsgelder zu bekommen, sind ein offenes Geheimnis. Der sture Nico versucht, mit Stallarbeit den Schock zu verdauen, will auf dem Hof bleiben und auf keinen Fall von seiner Schwester getrennt werden. Eric will den unrentablen Hof eigentlich so schnell wie möglich abwickeln, doch dann erwacht das (Kämpfer-)Herz in ihm.
Foto: Degeto / Conny Klein
Ein Erwachsener, dem es schwer fällt, Verantwortung zu übernehmen, und ein Kind sowie ein Halbwüchsiger, die freiwillig die erwachsene Rolle annehmen – das ist die Geschichte hinter der Geschichte von „Die Kinder meines Bruders“, die das Autorenduo Josephin und Robert von Thayenthal problemorientiert und doch unaufdringlich erzählt. Ein Sohn, der dabei zusehen muss, wie sein Vater vor dessen Augen vorsätzlich in den Tod fährt – das ist eine Bürde, die der Film trotz ARD-Freitagssendeplatz nicht klein redet. Der Schmerz der Kinder, der Held, der ein wenig nachdenklich wird, was das Nicht-Verhältnis zu seinem Bruder und dessen Kindern in den letzten Jahren angeht und aus dem erst bei der Beerdigung die Gefühle herausbrechen, seine heutige Berliner Anti-Haltung zum Thema Familie: Die psychologischen Nuancen finden ausreichend und vielschichtig Platz in den 90 Filmminuten. Dass die Hauptfigur nicht nur stellvertretend die Vaterrolle einnehmen muss, sondern auch noch biologisch Vater wird, gehört offenbar zur Semantik einer solchen Geschichte, die doppelt „aufgeladen“ sein muss, besitzt aber selbstredend auch eine dramaturgische Funktion: Jener Eric bekommt gleich zwei Mal die Möglichkeit, die Veränderung seines Lebensstils zum Ausdruck zu bringen. Da das aber in einer sympathischen Offenheit in Szene gesetzt wird, die auch ganz diesem locker-liebenswerten Helden entspricht, ist das alles andere als ein Manko.
„Die Kinder meines Bruders“ findet von Anfang an einen stimmigen Erzählton, in dem die Landschaft, das Landleben, das Leichte, das Schwere und die höhere Politik gleichermaßen aufgehen. Die Schauspieler treffen die entsprechenden Tonlagen perfekt: David Rott als eigensinniger Schwiegermutter-Schwarm besticht vor allem durch den hohen „Natürlichkeitsfaktor“ seiner Kommunikation und Max Hegewald macht als Problembursche eine gewohnt gute Figur. Selbst die Nebenfiguren, diese bunte Dorfmischpoke, verstehen es, ihre Stichwortgeberrollen recht markant zu füllen. Und dann ist da ja noch die Inszenierung. Im Zweifelsfall setzt Regisseur Ingo Rasper („Reine Geschmackssache“) auf ein starkes Bild: eine Umarmung zwischen Onkel und Neffe zur rechten Zeit; der traurige Abschied der Nichte in Richtung Heim; die Milch, die aus den geöffneten Milchtanks sprudelt, eine eindringliche Metapher für den Widerstand, für den Preiskampf zwischen Molkereiwirtschaft und Milchbauern und zugleich ein ironisches Sinnbild für die prophezeiten „blühenden Landschaften“, hier quasi biblisch umgemünzt zum „Land, darin Milch und Honig fließt“. Schönste und sinnlichste Szene des Films: Der langsam erwachsen werdende Eric und der viel zu pragmatisch denkende Nico auf dem Heimweg vom Leichenschmaus; in einer einzigen Einstellung schlendern sie nebeneinander durch die Landschaft – es ist der Versuch einer Annäherung, ein Gedankenaustausch über Träume, in dem sich das Weltbild des 16-Jährigen erschreckend spiegelt: Sein Traum ist es, genug Geld zu haben, um einen Melker einzustellen.
Foto: Degeto / Conny Klein
Das Solidaritätsszenario, der Milchkampf, findet in dieser ARD-Degeto-Produktion erfreulicherweise ein eher realistisch deutsches als von amerikanischem Pioniergeist und knalliger Heldenepos-Mentalität bestimmtes Ende. Zum Ausgleich gibt es dafür die passenden Country-Klänge aus dem Repertoire von Johnny Cash. Kleiner Wermutstropfen: Die im Film verhandelte problematische „Milchquote“, von der EG 1984 ins Leben gerufen und von der EU 1993 übernommen, wurde im Frühjahr 2015 abgeschafft. „Die Kinder meines Bruders“ als eine Art Abgesang auf die Milchquote hätte – ausgestrahlt noch vor der neuen EU-Regelung – über die Unterhaltsamkeit hinaus auch (wirtschafts)politisch Aktualität und Relevanz gehabt. Der prophetische Film wurde bereits im Frühsommer 2014 gedreht. Die ARD-Programmplanung hat da mal wieder eine Chance verschlafen. (Text-Stand: 13.4.2016)