„Henriette im Anflug“ hieß der Film während der Dreharbeiten. Das ist zwar nicht gerade vielsagend, aber zweifach zutreffend: weil Henriette mit dem Flugzeug nach Mauritius kommt und weil die kleine Stella überzeugt ist, dass das neue Kindermädchen von ihrer Mutter im Himmel geschickt worden ist. Tatsächlich entpuppt sich Nanny Henni (Saskia Vester) als Retterin in höchster Not, dabei ging es ihr zunächst nur darum, die eigene Misere zu beenden: Trotz eines Leben voller Arbeit reicht der Rentenanspruch der Münchenerin, die zuletzt einen Kiosk betrieben hat, gerade mal für eine warme Mahlzeit – im Monat. Weil ihr der Jobagentur-Mitarbeiter (Jürgen Tonkel) pädagogische Fähigkeiten attestiert, nachdem er Ohrenzeuge eines Telefonats mit ihrem Enkel wurde, hat Henriette eine Idee: Sie erfindet eine Agentur, die weltweit „Premium-Kindermädchen“ vermittelt; mit ihr als einziger Mitarbeiterin. Das erste Engagement führt sie nach Mauritius, wo Witwer Waldner (Stephan Grossmann), Manager eines Fünf-Sterne-Hotels, gerade dabei ist, den größten Fehler seines Lebens zu begehen.
„Das Kindermädchen – Mission Mauritius“ klingt wie der Auftakt einer neuen Reihe, mit der die ARD-Tochter Degeto gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen könnte: Während die internationalen und garantiert exotischen Schauplätze das Fernweh bedienen, handelt zumindest dieser erste Film von einem ganz normalen, aber nicht unlösbaren Familiendrama. Da sich die in Dramödien dieser Art schon vielfach als unerschütterlich bodenständige und lebenskluge Frau bewährte Saskia Vester gerade bei mindestens gleichaltrigen Zuschauerinnen einer großen Beliebtheit erfreut, dürfte einem Erfolg kaum etwas im Wege stehen, zumal sich Story und Umsetzung kaum von den Degeto-Produktionen früherer Jahre unterscheiden.
Immerhin stammt das Drehbuch von Martin Rauhaus („Ein starker Abgang“), dessen Dialoge die beiden „Allmen“-Krimis zu einem ironischen Fest gemacht haben. Die sehenswerte Degeto-Reihe „Hotel Heidelberg“ stammt ebenfalls aus seiner Feder. Mit „Mission Mauritius“ erzählt der Autor eine Geschichte, die ohne weiteres auch in Deutschland spielen könnte: Henriette erkennt rasch, wie unglücklich die beiden Töchter des vielbeschäftigten Managers sind; sie vermissen nicht nur ihre Mutter, sondern auch die Zuwendung des Vaters, der gerade von der 16jährigen Marie (Pia Soppa) erstklassige schulische Leistungen erwartet. Henriette hat zwar keinerlei Abschluss vorzuweisen, aber ein gutes Gespür dafür, was Menschen brauchen, also spendiert sie den Kids erst mal einen Tag schulfrei; der Ausflug, den die drei stattdessen machen, gibt Regisseur Gersina die Gelegenheit, im Rahmen einer Wildpark-Safari allerlei afrikanische Fauna vorzuführen. Weil Marie die anstehende Mathe-Klausur nicht bestehen wird und ihr eine Ehrenrunde droht, besorgt Henriette kurzerhand die Lösungen.
Soundtrack: Annette Funicello („Pineapple Princess“), Chantal Chamberland („La Mer“), Miriam Makeba („Pata Pata“), Daryl Hall & John Oates („You Make My Dreams”), Bobby Day („Rockin’ Robin”)
Überforderter Witwer & sein Kindermädchen: Solche Konstellationen dienen normalerweise der Anbahnung einer Romanze, aber Henriette ist bereits Ende fünfzig. Romantisch wird es trotzdem, doch zunächst muss das Kindermädchen zur Detektivin werden. Schon am Flughafen hat sie eine Begegnung der unangenehmen Art, als eine arrogante Mitreisende sie kühl abblitzen lässt. Selbstredend taucht die Dame später wieder auf: Veronika Fuchs (Susanna Simon) ist Waldners neue Freundin. Henriette ist schockiert, und auch die Töchter können die blasierte Schnepfe auf Anhieb nicht ausstehen. Jacqueline (Elodie Venece) wäre ihnen viel lieber. Waldners attraktive Assistentin ist ihrem Chef in ebenso inniger wie stiller Liebe zugetan und richtet in einem Akt der Selbstverleugnung sogar die Verlobungsfeier für das Paar aus; im Gegensatz zum Zuschauer ahnt keiner der Beteiligten, was die munter gegen Henriette intrigierende & auch sonst ziemlich skrupellose Veronika wirklich im Schilde führt.
„Das Kindermädchen“ ist eine Produktion der FFP New Media, die vor allem die „Rosamunde-Pilcher“-Filme im ZDF herstellt; das erklärt vielleicht, warum Gersina, der zuletzt viele Folgen der guten RTL-Serie „Der Lehrer“ inszeniert hat, so viele Aufnahmen vom Abendhimmel über dem Indischen Ozean einstreut. Die sind in der Tat schön anzuschauen, und auch sonst sorgt Kameramann Jochen Stäblein für Bilder, die der einstigen Degeto-Reihe „Traumhotel“ alle Ehre gemacht hätten. Der inhaltliche Anspruch ist dagegen deutlich überschaubarer. Das durchaus mögliche Thema Altersarmut zum Beispiel wird allenfalls kurz gestreift, und selbst die guten Rauhaus-Dialoge können nicht kaschieren, dass „Mission Mauritius“ in erster Linie eine Mission Zeitvertreib ist. Auch in dieser Kategorie aber gibt es natürlich liebevolle und lieblose Arbeiten. Viele witzige und schön gespielte Einfälle sorgen dafür, dass der Film der Zielgruppe Spaß machen wird, sei es, weil Henriette einen Wasserhahn mit Hilfe eines Präservativs entkalkt (alter Klempnertrick, wie sie verrät), oder weil sie dafür sorgt, dass Maries erster Sex geschützt stattfindet. Gerade für solche Szenen ist Stephan Grossmann der ideale Spielpartner: weil Waldner angesichts der unkonventionellen Methoden des Kindermädchens immer wieder äußerst pikiert reagiert.
Am ergiebigsten ist „Mission Mauritius“ jedoch für Menschen, die Spruchweisheiten sammeln. Das mehrfach erwähnte Motto des Films lautet „Verurteile niemanden, ohne in seinen Schuhen gelaufen zu sein.“ Das klingt viel sympathischer als Veronikas etwas kryptische Maxime „Die Hoffnung ist der Tod des Kaufmanns“ und ist zudem eine elegante Überleitung zur möglichen Fortsetzung, denn selbstredend gibt es auch einen horizontalen Erzählstrang: Henriette hat seit einem halben Jahr Krach mit ihrer Tochter und keinerlei Kontakt mehr. Der Grund dafür bleibt offen, aber der Film endet damit, dass sie den ersten Schritt macht; und eine Litfasssäule mit Hongkong-Reklame verrät ihr nächstes Reiseziel.