Kilimandscharo – Reise ins Leben

Mühe, Ullmann, Schwarz, Rossi, Schnitzler. Fünf Heldenreisen ergeben eine Gruppe

Foto: Degeto / Anika Molnár
Foto Rainer Tittelbach

Was 25.000 Andere im Jahr schaffen – das sollte für die vier Deutschen, die ein erfahrener Kilimandscharo-Bergführer auf seiner letzten Tour begleitet, auch zu schaffen sein. Doch alle haben ihr ganz persönliches Päckchen zu tragen. Die Figuren in „Kilimandscharo – Reise ins Leben“ (ARD Degeto / Ariane Krampe Filmproduktion) verbinden bestimmte Hoffnungen & Träume mit ihrem Trip aufs mythosumwobene Bergmassiv Afrikas. Der Mix aus Psycho-, Krankheits-, Freundschafts- und Familiengeschichten wirkt im Rahmen des Sujets nicht unpassend. Andererseits hält sich der Tiefgang der Erzählung in Grenzen. Und so wirkungsvoll die Dramaturgie auch ist, so vorhersehbar sind die moralischen Lernprozesse. Dass der Plot nicht ins Moralinsaure kippt, ist mit ein Verdienst der guten Schauspieler. Bleibt zu hoffen, dass die Endfassung ausreichend Sinnliches und Transzendentes übrig lässt.

Was 25.000 Andere im Jahr schaffen – das sollte für die vier Deutschen, die der erfahrene Kilimandscharo-Bergführer Simon (Ulrich Friedrich Brandhoff) auf seiner letzten Tour begleitet, auch zu schaffen sein. Doch alle haben ein „Handicap“ oder einen Sack privater Probleme im Gepäck. Der allein erziehenden Chirurgin Anna (Anna Maria Mühe) machen Wahrnehmungsstörungen zu schaffen. Schon seit einem halben Jahr darf sie nicht mehr operieren; stattdessen steht ihr bald selbst ein Eingriff bevor. Waldorflehrer Joschka (Simon Schwarz) ist dagegen ganz mit sich im Reinen. Das ist Teil seines Problems; so sieht es jedenfalls seine Tochter Paula (Caroline Hartig), die sofort abreisen will, als sie erfährt, dass der Kibo-Trip ein abgekartetes Spiel ist zwischen ihrem Vater und dessen Mutter: eine Art Versöhnungserpressungsgeschenk. Ihr Vater bleibt für sie vorerst gestorben – nachdem er mit ihrer besten Freundin geschlafen hat. Schließlich gesellt sich zu den Zicken und dem grundentspannten Pädagogen auch noch der ehemalige Extremsportler Tom (Kostja Ullmann): und der sitzt im Rollstuhl, einem Hightech-Vehikel zwar, aber dass er für das Diven-Team zur Belastung werden könnte, ist absehbar für Guide Simon. Aber die richtige Herausforderung für seine letzte Tour. Auch der so vernünftige junge Mann hat noch eine Schuld abzutragen.

Kilimandscharo – Reise ins LebenFoto: Degeto / Anika Molnár
Die Bergführer Simon (Ulrich Friedrich Brandhoff) und Joseph (Bongo Mbutuma) mit der Kilimandscharo-Truppe: Ärztin Anna (Anna Maria Mühe), Ex-Extremsportler Tom (Kostja Ullmann), Waldorflehrer Joschka (Simon Schwarz) und seine 25-jährige Tochter Paula (Caroline Hartig).

Mehr Klarheit, mehr Selbstsicherheit, ein Aufbruch zu neuen Ufern, eine Möglichkeit für die sogenannte zweite Chance, eine Wunderheilung, wie sie einst Marias Mutter widerfahren ist, oder vielleicht ein Weg zur Vergebung: Alle Figuren in „Kilimandscharo – Reise ins Leben“ verbinden bestimmte Hoffnungen, Sehnsüchte und Träume mit ihrem Trip auf das höchste Bergmassiv Afrikas. Der Berg mit seiner berühmten Schneekuppe und den verschiedenen Klimazonen ist ein Mythos, gerade groß genug, um eigene Mythen zu fördern: So will sich der querschnittsgelähmte Ex-Sportler etwas beweisen, aber er will auch allen, die im Rollstuhl sitzen, Mut machen. Deshalb hat er vor, neben seinem Reise-Blog auch ein Buch zu schreiben. Und für Paula war Hemingways „Schnee am Kilimandscharo“ der erste und einzige Roman, der ihr nicht von ihrem Super-Daddy vorgekaut wurde. Das einzige Problem sind einfach nur immer die Anderen… Sie scheinen die Missionen der vier Extrem-Individualisten zu gefährden. Besonders die junge Ärztin ist bald als meckernd und störrisch verschrien – und sie macht keinen Hehl daraus, was sie von Tom mit seinem Rollstuhl hält. Vor allem dessen überzogener Ehrgeiz, alles selbst schaffen zu wollen, nervt die sehschwache Frau, die mit der Angst leben muss, vielleicht bald ihre geliebte Tochter nicht mehr sehen zu können.

An kleinen Dramen besteht in „Kilimandscharo“ also kein Mangel. Drehbuchautor Marco Rossi („Grzimek“) hat da eine nicht uninteressante Gruppe kreiert. Der Mix aus Psycho-, Krankheits-, Freundschafts- und Familiengeschichten wirkt im Rahmen des Sujets nicht übermäßig ausgedacht. Wer in Filmen Berge besteigt, der hat immer Mankos oder Defizite auszugleichen. Der Berg ruft nicht nur mal so for fun! Andererseits hält sich der Tiefgang der Erzählung in Grenzen. Und so wirkungsvoll die Dramaturgie der gleich fünf Heldenreisen auch ist, so vorhersehbar sind die moralischen Wendepunkte und Lernprozesse. Begreift man das Leben als Abenteuer – dann ist „Reise ins Leben“ sicherlich auch ein Abenteuerfilm. Vor allem aber gehört dieser ARD-Freitagsfilm in die Gruppe jener Geschichten wie „Mit Burnout durch den Wald“, „Pilgerfahrt nach Padua“, „Mutter reicht’s jetzt“, in denen verschiedenste Menschen sich begegnen und in denen Egoisten Teamgeist, Individualisten liebevolles Miteinander entdecken. Bei fünf Figuren bleibt das Ganze überschaubar, sind die Konfliktlagen präsent genug; Perspektiven und Kombinationen der Charaktere sorgen für Abwechslung. Und die Botschaft ist ebenso schlicht wie herzerwärmend (nicht zufällig beginnt es kurz vor Schluss zu schneien): Da ist der Wille und der Glaube daran, Unmögliches möglich zu machen, Grenzen zu überschreiten und über sich hinauszuwachsen. Diese Leistungsideologie erfährt in Gregor Schnitzlers Film allerdings – auch das nicht unerwartet – eine gesunde Relativierung: Am Ende obsiegt die Gruppe über den Egoismus des Einzelnen – und damit die Erfahrung, dass es im Leben Gipfel gibt, die sich nur mit der Hilfe anderer erstürmen lassen.

Kilimandscharo – Reise ins LebenFoto: Degeto / Anika Molnár
Der Dauerregen zerrt an den Nerven der Gruppe. Bald erweist es sich auch als hilfreich, dass zum Team eine Ärztin gehört. Simon Schwarz, Ulrich Friedrich Brandhoff, Caroline Hartig, Kostja Ullmann Dieser Artikel stammt von https://www.tittelbach.tv/programm/fernsehfilm/artikel-4777.html

Dass der Plot nicht ins Moralinsaure kippt, ist gewiss auch ein Verdienst der Schauspieler. Anna Maria Mühe über eine Stunde lang in einer eher unsympathischen Rolle zu sehen, nimmt man als Zuschauer dankbar entgegen. Die Figur entwickelt erst im Schlussdrittel – über ihre Rolle als Ärztin – das nötige Verantwortungsbewusstsein für die Gruppe. Kostja Ullmann saß fast zehn Jahre nach „Die Zeit, die man Leben nennt“, zum zweiten Mal für einen Film im Rollstuhl. Seine Figur ist die, bei der es emotional immer wieder ans Eingemachte geht. Die schmerzhaften Momente muss Tom immer wieder aushalten, und auch für den Zuschauer werden sie nicht künstlich – beispielsweise durch Komik – aufgelöst. Für das Augenzwinkern (dazu gehört auch mal ein Gag auf eigene Kosten) und eine gewisse Doppelbödigkeit zuständig ist die Figur von Simon Schwarz: der Waldorflehrer, dem die Weiblichkeit in Deutschland zu Füßen liegt, kann seine geringe Fitness nicht verbergen. Je mehr es in Richtung Gipfel geht, umso mehr muss er japsen. Diese Figur ist ein gelungener Kontrapunkt zur herkömmlich angelegten Dramatik der anderen Figuren. Auch Caroline Hartig („Tatort – Level X“) überzeugt als feinnervig sensible Paula, der gegen Ende ein Kreislaufkollaps zu schaffen macht. Und Ulrich Friedrich Brandhoff, filmisch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt, nutzt seine Chance in diesem Ensemblefilm als umsichtiger Kibo-Besteiger-Versteher.

Wie schmal der Grat zwischen Magie und Kitsch ist, zeigt die digitale Bildbearbeitung der vorläufigen Fassung, die Journalisten zur Verfügung stand. Sonne und Licht im Regenwald nehmen geradezu surreale Züge an, auch die aufgetürmten Regenwolken wirken einen Tick zu gekünstelt – sodass man sich irgendwann fragt, was und wie viel ist hier eigentlich echt? Ein Pavian und ein ziemlich wilder Gepard wirken für einen deutschen Fernsehfilm zumindest schon mal ziemlich „echt“. Und dass auch Unterhaltungsfilme fürs Fernsehen zunehmend mit Visual Effects arbeiten, weiß heute jedes Kind. Ausgestellte „Natur“ gibt es erfreulicherweise so gut wie keine in „Kilimandscharo – Reise ins Leben“; wenn doch, dann wird der Blick vom Bergführer entsprechend erklärt („10.000 Jahre alter Gletscher“). Bleibt zu hoffen, dass in der Endfassung auch ein Eindruck bleibt von der sinnlichen, transzendenten Faszination des Kilimandscharo. Denn gedreht wurde ja nicht an Originalschauplätzen in Tansania, sondern im logistisch wesentlich besser erschlossenen Filmland Südafrika. (Text-Stand: 22.10.2017)

Kilimandscharo – Reise ins LebenFoto: Degeto / Anika Molnár
Sonnenaufgang und der Blick auf die Wiege der Menschheit. Die „Gipfelstürmer“: Anna (Anna Maria Mühe), Tom (Kostja Ullmann), Paula (Caroline Hartig) und Joschka (Simon Schwarz) mit den Bergführern Simon (Ulrich Friedrich Brandhoff) und Joseph (Bongo Mbutuma) auf dem Gipfel des Kilimandscharo-Massives.

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Anna Maria Mühe, Kostja Ullmann, Simon Schwarz, Caroline Hartig, Ulrich Friedrich Brandhoff, Bongo Mbutuma

Kamera: Wolfgang Aichholzer

Szenenbild: Axel Hoebel

Schnitt: Georg Söring

Musik: Chris Bremus

Redaktion: Carolin Haasis, Sascha Schwingel (ARD Degeto)

Produktionsfirma: Ariane Krampe Filmproduktion

Produktion: Ariane Krampe

Drehbuch: Marco Rossi

Regie: Gregor Schnitzler

Quote: 4,11 Mio. Zuschauer (13,7% MA)

EA: 17.11.2017 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach