Die verdreckte Luft, der Kohlegestank, der saure Regen und vor allem die Phenolkloake Pleiße lassen eine Gruppe junger Leute in Leipzig 1988/89 auf die Barrikaden gehen. Zunächst diskutierten sie in der Schutzzone der Kirche hinter meist verschlossenen Türen über die Zerstörung der Natur und die Luftverschmutzung der Region. Als dann allerdings Franka (Janina Fautz) zu der Gruppe stößt, werden die Aktionen radikaler. Für die 19-Jährige, die in der Berufsausbildung mit Abitur steht, genügt es bald nicht mehr – wie es in der Kirche üblich ist – nur Fürbitte zu leisten. Ausgangspunkt für Frankas Engagement ist nicht nur die Liebe zu Stefan (Ferdinand Lehmann), dessen soziale Ader als Altenpfleger und Wortführer der Gruppe für sie eine Art Initialzündung darstellt, sondern auch eine jahrelang verdrängte Familien-Tragödie: So starb ihr kleiner Bruder mit fünf Jahren an Pseudokrupp; damals wohnte die Familie noch in einem Dorf, das längst dem Braunkohleabbau weichen musste. Ihre Eltern (Inka Friedrich & Alexander Hörbe) haben sich damals mit dem Staat arrangiert, kleine Vergünstigungen inklusive. Franka, eben noch Party-Maus, ist voller Tatendrang, sieht plötzlich neuen Sinn in ihrem Leben. Das hat auch Konsequenzen für ihre Familie. So gerät vor allem ihre Mutter, Vorsitzende des Demokratischen Frauenbunds, zunehmend unter Druck.
Foto: MDR/UFA Fiction / Steffen Junghans
„Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ schildert ein bislang kaum erzähltes Kapitel der ostdeutschen Geschichte der 1980er Jahre. Der wunderbar poetische und zugleich kraftvolle Titel wurde von Peter Wensierskis faktenreichem Sachbuch übernommen. Der renommierte Autor Thomas Kirchner („Spreewaldkrimis“, Grimme-Preis für „Der Turm“) hat es für sein Drehbuch frei fiktionalisiert. Erzählt wird von den Wurzeln der Friedlichen Revolution. Um die Umwelt zu retten, mussten die jungen Leute den Staat stürzen, bringt es Kirchner auf den Punkt. „Es ist kein Zufall, dass die Montagsdemonstrationen in Leipzig ihr Zentrum hatten – denn Leipzig, Halle, Bitterfeld galt als das Dreieck mit hoher Umwelt-Belastung durch die Chemieanlagen und den Braunkohleabbau“, so MDR-Fernsehfilmchefin Johanna Kraus. Am 15. Januar 1989 brachte es dann die Gruppe jener Leipziger Protestler zu einem Bekanntheitsgrat weit über die Landesgrenzen hinaus. Nach dem Aufruf zu einem Schweigemarsch, anlässlich der alljährlichen Kampfdemonstration zu Ehren von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, einer peinlichen SED-Schauveranstaltung, wurden elf der Leipziger Bürgerrechtler verhaftet. Der internationale Druck wuchs daraufhin. Und so wurde am Ende der Ruf nach Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit ausnahmsweise einmal nicht vom Staat mit Prozessen wegen „landesverräterischer Agententätigkeit“ beantwortet.
Mit der Politisierung wuchs das Risiko für die Mitglieder der Gruppe, die im Film in einem überschaubaren Rahmen von rund zehn Mitgliedern bleibt. Und so begnügt sich die Stasi nicht mehr nur mit Observationen, jetzt waren Verfolgungsjagden und Verhaftungen in Leipzig an der Tagesordnung. Eine sogenannte „Einvernahme“ hinterlässt bei Stefan ein tiefsitzendes Trauma. Waren die Verhältnisse also durchaus dramatisch und die Aktionen der Gruppe gefährlich – so verzichten Kirchner und Regisseur Andy Fetscher („Tatort – Fürchte dich“) auf eine übermäßige Dramatisierung des Stoffs. Die meisten Zuschauer wissen ohnehin, dass der Widerstand am Ende gesiegt hat. Die Spannung, aktiviert auf der Zielgeraden durch Nacht-und-Nebel-Flugblattaktionen, Verhaftungen und perfide Stasi-Verhörmethoden, ist also hier mehr ein dramaturgisches Mittel, um die Geschichte affektiv abwechslungsreich in Richtung gesellschaftliches Happy End zu befördern. Das Unrecht des Staates schwingt zwar mit, aber im Zentrum stehen die jungen Aktivisten. Emotional getragen wird „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ entsprechend von der jugendlichen Euphorie. Der Bewegung wird mit großer Sympathie begegnet. Da wird das Gemeischaftserleben, das vor allem der Heldin das Herz aufgehen lässt, gefeiert, aber es wird auch die andere Seite von politischer Arbeit gezeigt, jenseits der hippiesken Lagerfeuerromantik: denn nicht jeder in der Umweltgruppe möchte politisch aktiv werden und den Schutzraum der Kirche verlassen.
Foto: MDR/UFA Fiction / Steffen Junghans
Neben Mut gehört wohl auch eine gewisse Blauäugigkeit zu solchen Sponti-Aktionen. Leicht kann sie auf die Tonlage eines Films abfärben und ihn etwas naiv erscheinen lassen (das Argument „so war es eben“ ist im Kontext eines ästhetischen Produkts nicht weniger naiv). In „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ aber gelingt das seltene Kunststück, den realen Ereignissen gleichsam ein filmisches Leben einzuhauchen und die Zwänge der Dramaturgie nicht überdeutlich sichtbar zu machen. Indem Kirchner & Co ein Stück weit auch den jugendlichen Leichtsinn „authentisch“ nachzeichnen, legt sich die titelgebende Leichtigkeit der Revolution über die Geschichte und macht jegliches Herummäkeln an der konventionellen Heldengeschichte obsolet. In erster Linie ist es die Power der Hauptfigur, von Janina Fautz mit burschikoser Sexyness, keck & kess, frisch & frech, verkörpert, die dieses häufig benutze Held*innen-Narrativ überstrahlt und in Kopf und Bauch des Zuschauers das Prinzip Hoffnung einpflanzt, das seit jeher zur humanistischen Tradition des realistischen Films gehört.
„Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ ist keine öffentlich-rechtliche Jahrestags-Pflichtübung. Die Geschichte des Films, jener Umweltbewegung in der DDR, solle für sich stehen, so Kraus, die neue, junge Fernsehfilmchefin des MDR. Der frische, weniger bundesrepublikanisch staatstragende Blick spiegelt sich gleichsam in der Inszenierung des Films. Kaum Info-Dialoge, eine aufs Notwendigste reduzierte Stasi-Ikonografie, stattdessen eine informationsgesättigte, mitunter mächtig auf die Tube drückende Montage. Geschichte wird gemacht – es geht voran, flott, die Farben und das Ambiente dezent im 80er-Jahre-Styling, aber nie übertrieben ausgestellt. Aus dem Popper-Girlie wird eine junge Frau für die gut aussehen nicht mehr das Wichtigste ist. Das gilt auf ganz natürliche Art auch für die Erzählweise des Films, der immer wieder mal interessant mit dokumentarischen Mitteln spielt. Und so wie dieses Kapitel der DDR-Geschichte in seinem Gestus deutlich erkennbar andockt an diverse westdeutsche Alternativ-Szenen der 70er und 80er Jahre, was sich auch in den verwendeten Songs spiegelt (von mehrfach Ton Steine Scherben bis zu „Peace Train“ von Cat Stevens), so besitzt dieser sympathische kleine Film selbstredend auch ein mögliches Potenzial für politische Bewegungen wie „Fridays for Future“. Aus der Vergangenheit Schwung für die Zukunft mitnehmen: ein gutes Prinzip. (Text-Stand: 4.4.2021)