Im Schalterraum einer Bank wird Lena Odenthal Zeugin eines Fünf-Millionen-Euro-Coups. “Mama” ruft ein Kind mit angsterfüllter Stimme. Dann geht es blitzschnell. Die Kommissarin hechtet in Richtung des Bankräubers. Schüsse fallen. Einer touchiert sie am Kopf. Sie liegt am Boden. Blut dringt aus dem Schädel. Das klassische Krimiopfer-Bild. Ist Lena Odenthal noch zu retten? Ist “Flashback” vielleicht Ulrike Folkerts letzter Einsatz als “Tatort”-Kommissarin?
Solche Gedanken schießen einem durch den Kopf bei Matthias Glasners “Tatort”-Debüt. Ein paar Sekunden. Dann im OP ist es der stabile Herzton, der Hoffnung gibt. Zwar fällt die Odenthal noch einmal ins Koma. Ein bisschen Retardation muss sein. Im sterilen Weiß der Klinik kommt die Ludwigshafener Hauptkommissarin aber bald zu sich. Doch zum Tathergang kann sie wenig beisteuern… Lena Odenthal auf der Suche nach ihrer Identität. Sie war eine gute Polizistin. Ist sie es noch? Kann sie wieder ganz die Alte werden? Ihr selbst kommen Zweifel. “Ich verdächtige Polizisten, nur weil ich mir selbst nicht mehr vertraue”, sagt sie sich selbstkritisch. Ihre Psyche ist ein Torso. Die Heldin muss sich wieder finden. Aber warum muss sie eine Antihaltung zur Polizei entwickeln? “Lena Odenthal verdächtigt einen Polizisten, weil sie ein grundsätzliches Misstrauen der Polizei gegenüber bekommt, was ja sinnbildlich ist für ein Misstrauen sich selbst gegenüber.” So sieht es Regisseur Glasner.
Einem Sonntagabend-Helden so schonungslos in die Seele zu schauen – das ist schon außergewöhnlich. Aber auch dramaturgisch bricht “Flashback” von Johannes W. Betz (“Der Tunnel”) und Martin Pristl mit manch einer der Sehgewohnheiten, die sich in über 30 “Tatort”-Jahren eingeschliffen haben. Jürgen Vogel als der vermeintlich Böse spielt zehn Minuten unter einer Maske. Es folgt die Irritation über die ungesicherte Zukunft der Heldin. Schließlich der erste Knalleffekt: “Wenn nach einer Viertelstunde derjenige, den man für die böse Hauptfigur hält, explodiert, dann hält man alles für möglich”, so umschreibt Glasner den dramaturgischen Urkniff der Geschichte. Und die intelligente Achterbahnfahrt geht weiter. Das Auge des Zuschauers verliert sich im geradezu surreal leeren Weiß der Klinik-Bilder. Glasner will die Gefühle beim Zuschauer fließen lassen. “Der Zuschauer nimmt Filme zunehmend atmosphärisch wahr”, betont er. “Geschichtenerzählen löst sich auf in einen Fluss von Menschen, Blicken, Gedanken, Emotionen, Farben.” (Text-Stand: 11.8.2002)