In ihrem siebten Einsatz hat Ellen Lucas wieder allen Grund, sich mit unglaublicher Härte selbst zu disziplinieren und ihre Crew durch das beschauliche Regensburg zu scheuchen. Die Tat ist unglaublich. Der neue „Kommissarin Lucas“-Krimis eröffnet mit einem traumatischen Bild, das sich nicht nur bei den Ermittlern einbrennt: 12 alte Menschen liegen tot auf einem Ausflugsschiff, die Paare teilweise friedlich ineinander verkeilt, als hätten sie im Augenblick des Todes instinktiv die Nähe des Nächsten gesucht. Gerade sind sie noch über die Donau geschippert, haben gefeiert, getanzt, gelacht. Als Zuschauer musste man selbst noch schmunzeln über den abgehalfterten Butterfahrten-Entertainer. Umso tiefer der Schock.
Den Toten sind sämtliche Wertgegenstände abgenommen worden. Der Pfleger, der die Veranstaltung mitorganisiert hat, ist flüchtig. Seine Frau, die einen mobilen Pflegedienst leitet, schweigt sich aus. Auch der bankrotte Schiffsbetreiber macht sich verdächtig: seine Familie lebt plötzlich im Konsumrausch. Auch der schmierige Alleinunterhalter scheint ein schlechtes Gewissen zu haben. Selbst der so besonnene Klinikchef Dr. Sion, der die ehrenwerte Stiftung „Generationenhaus“ leitet, verzeichnet in letzter Zeit ein überproportional hohes Spendenaufkommen. Und warum lässt er die Lucas nicht zur einzigen Zeugin?
Die üblichen Verdächtigen, ein klassischer Whodunit also – und doch bietet „Das Totenschiff“ mehr als die übliche Krimiunterhaltung, wie sich im Laufe der 90 Minuten herausstellen wird. Nur so viel: wie bereits in zwei preisgekrönten „Tatorten“ geht es auch in diesem Film um das Sterben in unserer Gesellschaft, um das Altsein, um die Angst vor der Pflege. Bei dieser Härte des Stoffs taten Christian Jeltsch, bereits Autor des thematisch ähnlichen „Außer Gefecht“, und die Redaktion gut daran, das Umfeld von Ellen Lucas ein wenig aufzufrischen. Zwar rückt zunächst der Herzinfarkt des ihr grantelnd zugeneigten Vermieters auch das Private mal wieder in Richtung Krankenhaus (nachdem ihr Mann die ersten Folgen im Koma lag), doch das entpuppt sich als dramaturgischer Kniff: der von Tilo Prückner gespielte Max dürfte ihr noch lange erhalten bleiben. Länger einnisten wird sich auch Ellen Lucas’ jüngere Schwester Rike, spontaner Wildfang und genaues Gegenbild der Heldin. Mit ihr findet Anke Engelke ihre erste durchgehende Rolle in einer Nicht-Comedy.
„Wir haben dramaturgisch etwas gesucht, mit dem wir Ellen Lucas beleben, sie privat und emotionaler sehen können“, begründet Ulrike Kriener, weshalb sie eine Schwester bekommen hat. „Die Familie ist immer das, was sie am meisten aus der Bahn wirft; deshalb die ungleiche Schwester und dieses sprengstoffgeladene Verhältnis.“ Und die neue Figur erfüllt ihre Aufgabe in ihrem zweiten Einsatz schon ganz vorbildlich. Der Horizont der Lucas’ scheint sich zu weiten, sie öffnet sich, erinnert sich an ihren Vater, ihre Jugend und sie kann im wahrsten Sinne des Wortes wieder den Himmel sehen.