Bella Block trifft eine alte Freundin. Sie hält an der Uni Hamburg einen Gast-Vortrag zum Thema „Gibt es ein Mörder-Gen?“. Die Ex-Kommissarin rümpft die Nase, „Mörder-Gen“ so ein Quatsch, freut sich aber, sie und auch ihre Nichte Caro, die in Hamburg lebt, wieder zu sehen. Die attraktive, junge Frau ist in bester Stimmung. Sie ist verliebt, sie ist schwanger und der Vater des Kindes will mit ihr zusammenleben. Einen Tag später ist Caro tot, erstochen im Fischlokal, in dem sie arbeitet. Es sieht zunächst nach Raubmord aus. Ein Tatmotiv aber hätten vor allem die Ehefrau von Caros Geliebten, aber auch jener Max Klöckner selbst. Ist ihm der Gedanke, Vater zu werden und seine Frau zu verlassen, plötzlich doch zu viel geworden? Was keiner weiß: seine Frau Anja hat einen Tag vor dem Mord von der Liebesaffäre ihres Mannes erfahren – und schlimmer noch: auch von der Schwangerschaft der Geliebten. Block übrigens bekam es schon einmal mit Anja Klöckner zu tun. Völlig verstört fuhr sie ihr ins Auto. Weil Kollege Martensen im Dunkeln tappt und sie ihrer Freundin eine rasche Aufklärung versprochen hat, mischt sich Bella Block in die Ermittlungen ein, diniert mit Oberstaatsanwalt Mehlhorn und legt sich mit dem neuen Dienststellenleiter an.
Der Zuschauer weiß mehr im 30. „Bella-Block“-Krimi als alle anderen. Er ahnt früh, dass nur Max Klöckner oder seine Frau Anja als Täter in Frage kommen. Eine Verletzung an der Hand des von Sebastian Koch gespielten Architekten lässt kurz „aufhorchen“, dann scheinen sich die ersten Vermutungen zu bestätigen: Es kann nur die psychisch stark angeschlagene Gattin sein, die wahrscheinlich im Affekt mit dem Fischmesser zugestoßen hat. Das „Wie wird die Mörderin überführt“ verspricht, interessant zu werden. Denn: die vermeintliche Mörderin hat wie ihr Mann ein Alibi, sie kann sich offenbar an nichts mehr erinnern, und ihr Mann will offensichtlich das kleine Glück retten und lieber mit einer Lüge und seiner Frau weiterleben, die krank ist und mit der er sich nach wie vor verbunden fühlt. Vor und nach dem Mord leben die Klöckners eine traute Zweisamkeit, in der das Handeln seltsam eingefroren wirkt. Koch: „Die Ausweglosigkeit der Situation, diese schneidende Sprachlosigkeit ist filmisch und auch für den Schauspieler aufregend, erinnert mich an französische Filme aus den 70er Jahren.“
„Stich ins Herz“ hat drei Hauptfiguren und der Film erzählt, ausgehend von einem Mord, ein Drama, das sich aus mehreren ungewöhnlichen Perspektiven speist. Die drei befinden sich in einem Spannungsfeld, das die Opfer-Täter-Ermittler-Rollen durchlässig werden lässt. Da ist die persönlich involvierte Ex-Kommissarin, die mit mehr Mitgefühl als gewohnt an den Fall geht. „Seit ich den Polizeidienst verlassen habe, fühle ich mich durchlässiger: Ich bin verwundbarer geworden“, lässt die Heldin den Zuschauer gleich im Intro wissen. Da ist der Architekt, der ein seltsames Gemisch an Gefühlen für seine seelisch kränkelnde Frau mitbringen muss, die seine Geliebte getötet hat. Und da ist eben jene Mörderin, die sich an die Tat nicht erinnern kann und die gar nicht in der Lage wäre, einen Mord kaltblütig zu planen. Diese Gemengelage ist das Fundament für ein tragisches Drama, in dem es nur „Verletzte“ gibt. In diesem Kontext kann die Frage nach dem „Mörder-Gen“ nur die falsche Frage sein.
Soundtrack: Hildegard Knef („Er hieß nicht von Oertzen“), Mary MacGregor („Torn between two Lovers“), Can („Spoon“)
Abendessen zwischen Bella Block und Oberstaatsanwalt Mehlhorn:
B: „Was wissen Sie über den Mordfall Caroline Alberti?“
M: „Sie machen wirklich keinen Umweg.“
B: „Haben wir zwei das wirklich noch nötig?“
M: „Sie wollen mich wirklich bloß aushorchen?“
B: „Und Sie wollen nur meinen Körper.“
Stephan Wagners „Stich ins Herz“ ist ein vielschichtiges, gut gebautes Krimidrama, das besonders den Beziehungsaspekt auslotet, das aber auch im Detail überzeugt. Da sitzen Tante und Enkelin im Lokal. Die frohe Botschaft wird verkündet: „Wir bekommen ein Kind, wir wollen es beide.“ Dann ein Schnitt, der das Verhängnis andeutet: die betrogene Ehefrau sitzt völlig aufgelöst am Nebentisch. Die Szenen einer Ehe besitzen ebenfalls eine große Intensität – auch in der Art der variierten Wiederkehr. Einer von beiden wälzt sich immer schlaflos im Bett. Aber geredet, sich ausgesprochen wird nicht. Neben dem stets überzeugenden Sebastian Koch beweist auch Anna Schudt einmal mehr, dass sie zu den Besten ihrer Generation gehört und dass es kein Zufall ist, dass sowohl das ZDF als auch der WDR („Tatort“ Dortmund) sie in eine neue Reihe einbinden. Auch Annika Blendl („Tatort: Ein ganz normaler Fall“) gibt deutlich zu erkennen, dass sie mehr als nur ein (nettes) Gesicht für die Nebenrollen ist.
Perfekt passt der Titel zum „Bella-Block“-Jubiläumskrimi: „Stich ins Herz“ – da schwingt die Empathie der Heldin mit, die sich auf den Zuschauer übertragen dürfte. In diesem Krimidrama wird dem Trauern Zeit gegeben. Wie der Mord in die Realität eindringt, wie die Lebenden die Nachricht vom Tod eines geliebten Menschen aufnehmen – das wird viel zu selten in Krimis „thematisiert“. Das Entsetzen, die Leere, das Schweigen. Die größte Leistung dieser „Bella Block“-Episode ist es, dem Tod, den die Krimi-Inflation als Phänomen zu entwerten droht, ein Stück weit seinen „Wert“, den er in der Realität, im wahren Leben, besitzt, zurückzugeben.