Tatort – Alle meine Jungs

Postel, Mommsen, Matschenz, Wiesnekker. Korruptionskrimi trifft Räuberpistole

Foto: RB / Jörg Landsberg
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Der „Tatort – Alle meine Jungs“ führt die Bremer Kommissare in eine bizarre Parallel-Gesellschaft von Ex-Knackis. Sie wohnen in einer eigenen Straße, haben Eigentum, eine Gemeinschaft, sie haben einen Kodex, der dem der Mafia gleicht. Die Absichtserklärungen der Autoren klingen aufregender, insbesondere die Engführung von Müll und Resozialisierung, als der Film von Florian Baxmeyer letztlich ist. Die Realos Lürsen & Stedefreund sind nicht die richtigen Ermittler für diese unrunde Sozial-Utopie voller knalligem Genre-Recycling.

Lürsen und Stedefreund beschäftigt ein zu Tode gekommener Müllmann, dessen Ableben eine seltsam geringe Anteilnahme bei den Kollegen hervorruft. Nur ein Jungspund rastet aus, macht sich verdächtig, belastet die eigene Truppe und sorgt allerorten für Aufregung. Bald stellt sich heraus, dass ein Großteil der Müllentsorgung der Stadt in den Händen von Ex-Knackis liegt. Schaltstelle ist Uwe „Papa“ Frank, Bremens Vorzeige-Bewährungshelfer mit einer Resozialisierungsrate von 94 Prozent. Kommissarin Lürsen ist sich nicht sicher, ob sie applaudieren soll. Was steckt hinter diesem „Bremer Modell“ mit seiner Vollversorgung für die ehemaligen Straffälligen? Etabliert es ein System willfähriger Ja-Sager? Hat sich „Papa“ an seinen Schutzbefohlenen bereichert? Oder geht es um das ganz große Geschäft mit dem Müll, bei dem ein paar tote Müllmänner allenfalls als Kollateralschaden verbucht werden? Lürsen schießt sich auf den Bewährungshelfer ein, während Stedefreund auf den Verräter angesetzt ist. Und der hat eine Schwester, die hat ein Kind und die Müllmänner kennen kein Erbarmen…

Soundtrack: u.a. Boney M („Daddy Cool“), Rolling Stones („Sympathy For The Devil“), Survivor („Eye Of The Tiger“), Falco („Der Kommissar“), Daft Punk („Get Lucky“), Sister Sledge („We Are Family“), Van Halen („Why Can’t This Be Love“), Hildegard Knef („So oder so ist das Leben“)

Tatort – Alle meine JungsFoto: RB / Jörg Landsberg
Einer der Dreh- und Angelpunkte der Krimi-Story: das Geschwisterpaar (Jacob Matschenz und Genija Rykova), das von den mafiosen Strukturen zerrieben wird. Dem Grimme-Preisträger Matschenz nimmt man seine „rustikale“ Rolle nur schwer ab.

Der „Tatort – Alle meine Jungs“ führt die Bremer Kommissare in eine bizarre Parallelgesellschaft von Ex-Knackis. Sie wohnen in einer eigenen Straße, sie haben Eigentum, sie haben eine Gemeinschaft, sie haben einen Kodex, der dem der Mafia gleicht. „Der Verräter braucht eine Nachricht, dann hält er die Fresse“ – so regeln sie ihre gruppeninternen Konflikte. Apart die Parallelen zwischen Müll und Resozialisierung: „Ex-Knackis sollen auch aus den Augen – wie der Müll; Hauptsache er wird regelmäßig abgeholt und stinkt nicht vor dem Haus rum“, so Ko-Autor Boris Dennulat. Nicht weniger gewagt ist die Engführung eines Versorgungsmodells, das Wunschtraum einer jeden Gewerkschaft sein müsste,  mit einem System, das deutlich von mafiosen Strukturen bestimmt wird. „Wir wollten Gut und Böse, das Sympathische und das Abschreckende, den Kleinbürgertraum der Gangster und das große Verbrechen möglichst eng zusammenführen.“ Auch die Absichtserklärung in Richtung Genre klingt vielversprechend: „Unsere Idee war, die Geschichte auf verschiedenen Ebenen zu erzählen – manchmal realistischer Korruptionskrimi, dann wieder grimmige Totalitarismus-Parabel, unterlegt mit einem Schuss lässiger Räuberpistole, zärtlich, grausam, amüsant, voller praller Lebenslust und banaler Bosheit“, bringt es Kollege Matthias Tuchmann auf den Punkt. All das findet sich im Film wieder, doch richtig rund läuft dieser Genre-Themen-Mix nicht.

Vielleicht sind die beiden Realos von Radio Bremen, die etwas gestrenge Lürsen und der nur vordergründig cool wirkende Stedefreund, der auch nichts anderes als ein vernünftiger, korrekter Beamter ist, nicht das richtige Ermittler-Team für eine solche krude Sozial-Utopie mit knalliger Genre-Beilage. Außerdem ächzen Handlung und Figuren sichtlich unter diesem Überbau aus Politik und Metapher, ohne dass die Ironie-Ebene deutlich markiert wäre (was mit diesen Kommissaren auch nur schwer möglich ist). So reduziert sich das ganze Ermittlungsspiel wie so oft in Krimis, in denen die Tonlagen miteinander kollidieren und der Flow fehlt, auf die Duelle der Hauptfiguren. Diese neigen weniger zum Charakter- als zum Abziehbild. Außerdem ist „Alle meine Jungs“ nicht arm an thematischen Gemeinplätzen („der Beruf macht einsam“) und dramaturgischer 08/15-Rhetorik (die gute alte Parallelmontage). Originell, aber nicht konsequent weitergeführt ist der thrillerhafte Zweikampf zwischen Lürsen & „Papa“ mit dem Spielchen „Zeig mir deinen Müll und ich sag dir, wer du bist“. Fazit: dieser „Tatort“ setzt auf zu viel Genre-Recycling und zu wenig eigenen Stil. Auch Florian Baxmeyers Inszenierung macht da – obwohl das Konzept mit den kommentierenden Songs, allesamt Klassiker, eine gute Idee ist – keine Ausnahme. (Text-Stand: 25.4.2014)

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RB

Mit Sabine Postel, Oliver Mommsen, Jacob Matschenz, Roeland Wiesnekker, Genija Rykova, Camilla Renschke, Hendrik Arnst, Patrick Abozen, Maria Hartmann, Bernd Stegemann, Patrick von Blume

Kamera: Marcus Kanter

Szenenbild: Detlef Provvedi

Schnitt: Friederike Weymar

Produktionsfirma: Bremedia

Drehbuch: Erol Yesilkaya, Boris Dennulat, Matthias Tuchmann

Regie: Florian Baxmeyer

EA: 18.05.2014 20:15 Uhr | ARD

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