Doppelentführung in Düsseldorf. Ein Lehrer und seine Tochter werden von unterschiedlichen Männern gekidnappt. Der Vater, ein Hobbyschütze, macht bald Bekanntschaft mit dem Hirn der Aktion: Dr. Ising, bislang ein unbescholtener Bürger, heute ein Mann, der zu allem fähig ist und der einen mörderischen Plan verfolgt. Doch die Situation wächst ihm über den Kopf, die Entführungen laufen aus dem Ruder. Nach wenigen Stunden gibt es bereits drei Tote. Dann hat LKA-Ermittlerin Helen Dorn eine zufällige Begegnung mit dem Mann, den sie für alles andere als für einen eiskalten Kidnapper und Mörder hält. Ihr geschultes Auge ermöglicht bald die Identifikation des bis vor Kurzem noch praktizierenden Düsseldorfer Arztes. Dieser möchte den Präzisionsschützen offenbar für einen ganz privaten Racheakt missbrauchen und hat deshalb auch dessen elfjährige Tochter in seine Gewalt gebracht. Dass das Mädchen ihren Entführer sieht, gehört zu einer Reihe tragischer Ereignisse, die so nicht geplant waren.
Helen Dorn und ihr Kollege Gregor Georgi müssen in ihrem dritten Fall nicht nur hohes Tempo gehen, sondern auch dem überforderten Antagonisten weitgehend das Spielfeld überlassen. „Bis zum Anschlag“ ist ein von der ersten bis zur letzten Minute packender Krimithriller, der vor allem in Sachen Suspense überzeugt: Der Zuschauer hat gegenüber den Kommissaren einen gehörigen Informationsvorsprung. Wie Dorn & Co diesen langsam aufholen, ist im Gegensatz zu anderen Krimis, in denen die Ermittler sehr viel weniger wissen als die Zuschauer (und man so oft den Eindruck hat, dass sie dem Geschehen „hinterher dackeln“), äußerst sehenswert und nicht zuletzt auch aufschlussreich, was die Zeichnung der Hauptfiguren angeht: so wird Dorns Fähigkeit, ihre Umgebung in Windeseile einzuscannen, handlungstreibend eingesetzt. Die professionelle Kombinationsgabe von Dorn und Georgi ist kriminalistisch sexy und steigert das Tempo. Die Zeit, die sich so beim Ermitteln einsparen lässt, wird vor allem genutzt für den Kopf der Entführungsaktion und dessen geplanten Anschlag. Und so kreist letztlich die Handlung der dritten „Helen Dorn“-Episode um jenen Dr. Ising, der grandios vielschichtig, widersprüchlich und explosiv physisch von Joachim Król gespielt wird. Die Figur bekommt zunehmend tragische Züge. Ein Täter, der sich bei seinem Entführungsopfer entschuldigt und geradezu verzweifelt ist über die verhängnisvollen Fährten des Schicksals („Wenn mir nicht dauernd einer dazwischenfunken würde, wäre noch keinem etwas passiert“), sieht man in einem Krimi nicht alle Tage. Zwischenzeitlich umschleicht einen sogar die Vermutung, dieser Getriebene würde zu einem Travis „Taxi Driver“ Bickle mutieren, der mit einem Blutbad den „sozialen Dreck“ von den Düsseldorfer Straßen spülen möchte.
Durch die enorme Präsenz von Joachim Król als obsessiver Racheengel und Barnaby Metschurat als entführter Präzisionsschütze sowie durch den großen Aktionismus bei den Ermittlern und die angespannte Ausnahmesituation, was das allzu bedeutungsschwere Bittermienen-Spiel des zweiten „Dorn“-Krimis verhindert und beim LKA-Team eher in Gesichtsausdrücke höchster Konzentration umschlägt, gewinnt der Film von Markus Imboden seine Klasse. „Bis zum Anschlag“ wird angetrieben von einem dynamischen Erzählfluss, der jeweils aus drei bis vier Handlungssträngen gespeist wird. Dass dabei der offenbar im Exposé angelegte dramatische Widerspruch „ein Pädagoge wird zu einem Mord genötigt“ im Film (und wohl auch schon im klassischen Genre-Drehbuch von Nils Morten-Osburg) nicht vertieft wird, ist nicht unbedingt ein Manko; allerdings hätte man dem entführten, alleinerziehenden Vater dann wohl besser einen anderen (weniger humanistischen) Beruf gegeben, um dem Einwand zu entgehen, hier werde ein Motiv in den Raum gestellt, behauptet, das nicht eingelöst wird… Als hoch spannender, linear erzählter Reihen-Krimi aber erfüllt der dritte „Helen Dorn“-Fall im ZDF höchste Ansprüche. (Text-Stand: 31.12.2014)