Die Ouvertüre ist beeindruckend. Hasen hoppeln über ein Stoppelfeld, im Hintergrund eine Vogelscheuche. Ein Rabe schwingt sich in die Luft, die Kamera hinterher, gleitet über Windräder, eine hoch gelegene Wetterstation, alte Gemäuer. Schließlich hüpft der Vogel durch ein vergittertes Fenster, auf den Boden einer Kornmühle, wo Bauer Ludwig Hirtreiter (Bernd Stegemann) seine übergewichtige Tochter Frauke (Kathrin Filzen) auf die Waage zwingt und in Worten drangsaliert. „Ne dicke Kuh wie dich, die nimmt doch keiner.“ Ein Trost sind ihr die Briefe eines Freundes aus den USA, doch der lieblose Vater nimmt sie ihr kurzerhand weg.
15 Jahre später entspricht Frauke Hirtreiter noch immer nicht den Maßgaben der Schönheitsindustrie, aber sie weiß sich zu behaupten. Sie ist eine Meisterschützin geworden, auch pariert sie selbstbewusst das Ansinnen eines Unternehmensvertreters, der ihr ein Geschäft vorschlägt, bei dem es um Windräder und drei Millionen Euro geht. Das Land der Hirtreiters ist entscheidend für das Gelingen eines Windparkprojekts, aber der alte Hirtreiter bleibt stur und vertreibt Eindringlinge notfalls mit einem Warnschuss aus der Flinte. Die Kriminalpolizei kommt ins Spiel, als in den Firmensitz des Windenergieunternehmens eingebrochen wird und der Nachtwächter den Tod findet. Wie sich zeigt, wurde sein Herzschrittmacher von einem Elektroschocker stillgelegt. Eine offenbar unbeabsichtigte Wirkung, denn der Täter versuchte noch eine Wiederbelebung, allerdings erfolglos. Einige Tage später ist auch der streitbare Ludwig Hirtreiter tot. Dieses Mal sind die Tatumstände eindeutig: Er wurde mit mehreren Gewehrschüssen ermordet.
Die Ermittler Pia Kirchhoff (Felicitas Woll) und Oliver von Bodenstein (Tim Bergmann), erdacht von der Bestsellerautorin Nele Neuhaus, bereits zum fünften Mal auf dem Bildschirm, sehen sich mit komplexen Konstellationen konfrontiert. Sie ermitteln unter Befürwortern und leidenschaftlichen Gegnern der Windenergie, bekommen es mit einem korrupten Meteorologen, gefälschten Gutachten, die ständig hin und her geklaut werden, geraubten Patenten, einem Mordversuch per Brandstiftung zu tun. Oliver von Bodenstein gerät auch noch privat in die Affäre, sein Vater ist in der Bürgerinitiative wider die Windenergie aktiv und Bodenstein junior beginnt obendrein eine Liebelei mit einer polizeilich gesuchten Zeugin und potenziellen Täterin (Ulrike C. Tscharre). Eine Femme fatale (natürlich gespielt von Nadeshda Brennicke) verführt ein Jüngelchen, ihr Lebensgefährte (Aleksandar Tesla) wird anderweitig zudringlich. Bodenstein muss obendrein die Trennung von seiner Frau bewältigen, und der Gerichtsmediziner freut sich, dass er nicht der Erzeuger des ihm angetragenen Kindes ist.
Dieser ganzen Geheimnistuerei und geballten Hinterlist ist nicht leicht zu folgen – Spannungen, auch erotische, so weit das Auge reicht. Da wurde zu viel hineingepackt in die 90 Minuten. Einerseits schön, wenn auch Nebenfiguren sorgsam ausgestaltet werden, eigene Lebenswirklichkeit, individuelle Merkmale und Interessen zugebilligt bekommen. Ungut dann aber, wenn dies auf Kosten anderer Charaktere geht und dem Verständnis schadet. Fast scheint es, als wäre es den Urhebern selbst zuviel geworden. Das heillos verwickelte Handlungsknäuel wird am Ende nicht säuberlich aufgedröselt, sondern mit einer Gewaltaktion zerschlagen: Eine Geiselnahme muss her und ein vom Geiselnehmer erzwungenes Geständnis, damit die beiden Kommissare endlich durchblicken. Gerichtsverwertbar ist ein solches Geständnis natürlich nicht, aber was soll‘s. Irgendwann muss man ja mal zum Ende kommen.
„Wer Wind sät“ ist einer dieser Stoffe, der als Mehrteiler nach britischem Vorbild, in der Art von „Amber“, „Glue“, „Broadchurch“ eine angemessenere Form gefunden hätte. Meist sind diese Geschichten auf zwischen fünf und acht Folgen angelegt, in denen ein einziger Kriminalfall – nicht immer ein Mord, manchmal auch das rätselhafte Verschwinden einer Person – in all seinen Verästelungen, mit Blick auf die Auswirkungen einer solchen Erfahrung auf alle Beteiligten, erzählt werden kann. „Wer Wind sät“ hätte das Potenzial dazu geboten: lokalpolitische Verwicklungen, psychologischer, möglicherweise auch körperlicher Missbrauch und einiges mehr. In einer Nebenhandlung um die Figur des korrupten Klimawissenschaftlers Dirk Eisenhut (Peter Benedict) klingt der Fall des früheren TV-Meteorologen Kachelmann an, der der Vergewaltigung angeklagt und frei gesprochen wurde, ein Sujet, das unter diesem Umständen zwangsläufig zu kurz kommen muss, nur noch zitathaft aufblitzt und dadurch sträflich trivialisiert wird. Fazit: Trotz erkennbarer Ambitionen und kleiner Fortschritte der ZDF-„Taunuskrimis“ bei Buch und Regie – das Ergebnis kann, auch angesichts krasser Verstöße gegen die Logik, nicht überzeugen. (Text-Stand: 14.4.2015)