Vincent Ruiz fehlen neun Tage. Der Leiter der Hamburger Mordkommission kann sich an nichts mehr erinnern. Man hat ihn am Elbufer gefunden, bewusstlos, von zwei Kugeln getroffen. Er ist offenbar von einem Boot gefallen oder gestoßen worden, das unbemannt auf der Elbe treibt. Dort wurden sein Blut und das einer weiteren Person festgestellt; außerdem muss es einen Schusswechsel gegeben haben. Während gegen Ruiz ein internes Ermittlungsverfahren läuft, macht der sich – reichlich angeschlagen – auf die Suche nach den letzten Tagen. In seiner Tasche findet er ein Foto eines Mädchens aus einem seiner früheren Fälle. Ihr Mörder wurde vor drei Jahren in einem Indizienprozess überführt, die Leiche aber nie gefunden. Er muss in den letzten Tagen diesen Fall wieder aufgerollt haben. Der Psychiater Johannes Jessen soll ihm helfen, sein Gedächtnis wiederzufinden. Nur langsam kommen Bruchstücke seiner Erinnerung zurück. Und irgendwann ist er sich sicher, dass das Mädchen noch lebt. Angeblich soll er in eine Lösegeldtransaktion verwickelt gewesen sein. Dr. Jessen glaubt, in seinen Therapiesitzungen mit Ruiz tiefer gehen zu müssen. Irgendetwas treibe ihn dazu an, Menschen retten zu müssen und sich mit dem Tod zu umgeben.
Nach „Adrenalin“, der sehr vielversprechenden ersten Verfilmung eines Michael-Robotham-Romans, führt auch „Amnesie“ den knallig suggestiven Thriller-Stil des ersten TV-Movies fort, macht allerdings auch die Schwächen dieser Genrefarbe deutlich, indem es die Möglichkeiten der Konstellation Psychiater/Kommissar zwar dramaturgisch erstklassig nutzt, narrativ-thematisch aber nur unzureichend ausspielt; alle anderen Figuren sind ohnehin bloße Manövriermasse. Die Amnesie, ein überaus beliebtes Krimi(drama)-Motiv, ist in dem Film des kinoerfahrenen Duos Cyrill Boss und Philipp Stennert („Neues vom Wixxer“), das wie beim Einstand von Jessen und Ruiz wieder gemeinsam Drehbuch und Regie übernommen hat, kaum mehr als ein Vorwand für eine ausgefallene Erzählstruktur. Das Vergessen und das langsame Sich-Erinnern sind ein Kniff, der dem Zuschauer eine an sich gewöhnliche Krimi-Geschichte als ungewöhnliche „verkauft“. Die Momente, in denen sich Erinnerungsschübe ergeben, sind wenig schlüssig; sie sind strukturell nicht „vorbereitet“, ergeben sich eher zufällig. In ihrer konkreten Ausführung allerdings sind sie dann doch äußerst mitreißend, da die Autoren-Regisseure nicht nur das Erinnerte vom Kommissar und seinem Psychiater während der Rekonstruktion nachspielen lassen, sondern es auch im Gegenschnitt kontrastieren mit der entsprechenden Situation, die Ruiz vor ein paar Tagen passiert ist.
„Neben der Spur – Amnesie“ ist ganz auf den Mann, der seine Erinnerung partiell verloren hat, und auf den „Fall“, in den er verstrickt ist, zugeschnitten. Die Energie des Ermittlers von der Internen, der Ruiz zwar deutlich auf dem Kieker hat („Du hast Scheiß gebaut… Deine Amnesie-Nummer kauf ich dir nicht ab“), verpufft ziemlich schnell, wird also nicht als ein möglicher paralleler Handlungsstrang aufgebaut, mit dem der Druck auf Ruiz noch erhöht werden könnte. Das irritiert vor allem deshalb, weil immerhin Joachim Król diese (ziemlich überflüssige) Rolle übernommen hat. Auch Ulrich Noethen, dessen Psychiater so gut wie möglich dem Polizisten hilft, sich aber dann doch lieber – was auch stimmig ist – immer wieder nach Hause zu seiner schwangeren Frau verabschiedet, steht deutlich im Schatten von Juergen Maurer, der den Film trägt und ihm psychophysisch sein Gesicht gibt. Die Dialoge sind einfach und klar, bisweilen etwas zu klar. Erzählfluss und Schauwerte sind gut. Hamburg sah man selten so düster, die Locations sind schön heruntergekommen, das Wetter trostlos. Als cooler Genrefilm, der nichts weiter als vordergründig unterhalten will, ist „Amnesie“ eine runde Sache. Aus der Konstellation, kaputter, bindungsloser Polizist & glücklich verheirateter Psychiater mit Parkinson, ließe sich aber mehr machen. (Text-Stand: 19.12.2015)