Die Eifelpraxis – Erste Hilfe aus Berlin

Rebecca Immanuel, Simon Schwarz, Janek Rieke, Sibylle Tafel. Der „Landlust“ auf der Spur

Foto: Degeto / Martin Valentin Menke
Foto Tilmann P. Gangloff

Weil sich eine alleinerziehende Berlinerin von einem Minijob zum nächsten hangeln muss, ist sie heilfroh, als sie in ihren Beruf zurückkehren kann: Sie bekommt das Angebot, für einen Landarzt zu arbeiten. Die Sache hat nur einen Haken: Die Praxis befindet sich in der tiefsten Eifel. Der Auftakt zur neuen ARD-Reihe „Die Eifelpraxis“ folgt einem Muster, das sich auch schon anderswo bewährt hat. Machart und Figuren sind nicht frei von Klischees, aber die Rureifel ist als Schauplatz noch relativ unverbraucht, Sibylle Tafels Film hat viele schöne Kalenderbilder zu bieten und Rebecca Immanuel ist in ihrer Rolle jederzeit glaubwürdig.

Vera Mundt, alleinerziehende Mutter, ist Krankenschwester aus Passion. Wegen der Kinder musste sie ihren Beruf aufgeben. Zuletzt hat sie sich mit Teilzeitjobs über Wasser gehalten, nun will sie zurück in die Festanstellung. Tatsächlich bekommt sie ein Angebot als Versorgungsassistentin eines Landarztes. Dafür muss sie allerdings mit ihren Kindern von Berlin in die Nähe der belgischen Grenze aufs Land ziehen. Für Vera ist das kein Problem, für Töchterchen Mia auch nicht, sie freut sich auf die Tiere; bloß der 16jährige Paul rebelliert.

„Unbestreitbar ein Fall aus der ARD-Freitagabend-Fernsehpraxis… Leichte Moraltinktur ohne Nebenwirkungen“ (TV-Spielfilm)

Die Eifelpraxis – Erste Hilfe aus BerlinFoto: Degeto / Martin Valentin Menke
Eifel, wir kommen! Vera (Rebecca Immanuel) ist guter Dinge. Auch Mia (Mascha Schrader) freut sich, Paul (Tom Böttcher) dagegen ist wenig begeistert vom Land.

Auch sonst bedient sich Autorin Brigitte Müller (zuletzt: 10 „Bergdoktor“-Episoden) diverser Versatzstücke: Selbstredend gibt es im neuen Haus, dessen Einrichtung ein Sammelsurium aus den Sechziger- und Siebzigerjahren ist, kein Internet. Vera muss sich erst einmal die Anerkennung ihres querschnittsgelähmten neuen Chefs (Simon Schwarz) verdienen, dem sie sich seltsamerweise nie vorstellen brauchte. Und ihre Kollegin (Olga von Luckwald), ein buntbemaltes junges Ding in Leggings und High Heels, betrachtet sie als Konkurrentin. Dafür ist Schulrektor Leon Ortmann (Janek Rieke) umso sympathischer. Merkwürdig nur, dass Paul (Tom Böttcher) und Mia (Mascha Schrader) dieselbe Schule besuchen, denn sie ist erst acht. Aber auf diese Weise wird der Rektor Zeuge, wie der trotzige Paul das Mädchen stehen lässt, um sich mit seinen neuen Freunden in einem Jugendzentrum zu vergnügen. Dort werden Herr Ortmann und Frau Mundt später in dunkler Nacht aufeinandertreffen: Er sucht seine Tochter, sie ihren Sohn; der mögliche Beginn einer Liebesgeschichte.

Deutlich mehr Zeit widmet der Film den Patienten. In dieser Hinsicht funktioniert „Die Eifelpraxis“ wie jede andere Arztserie: Rund um die zentralen Figuren werden diverse Erzählstränge geflochten, die je nach Geschick mehr oder minder plausibel miteinander verknüpft sind; so lassen sich auch unterschiedliche Tonarten kombinieren. Zumindest im Auftaktfilm zur neuen ARD-Reihe geht es allerdings überwiegend dramatisch zu, denn schon am ersten Tag ist Vera heillos überfordert. Als Versorgungsassistentin übernimmt sie die Hausbesuche, und weil sie sich nicht bloß als Servicekraft sieht, die einem Patienten den Verband wechselt und dann zum nächsten eilt, hinkt sie alsbald dem engen Zeitplan hinterher. Außerdem geht es natürlich um mehr als bloß um vordergründige Wehwehchen: Ein Bankdirektor (Max Herbrechter), der einen Autounfall hatte, entpuppt sich als lebensmüde, ein pensionierter Amtsrichter (Felix von Manteuffel) beschuldigt seine polnische Haushaltshilfe (Karolina Lodyga), ein wertvolles Buch gestohlen zu haben. Zu allem Überfluss geht ständig Veras Auto kaputt; vom Ärger mit dem renitenten Paul ganz zu schweigen.

Die Eifelpraxis – Erste Hilfe aus BerlinFoto: Degeto / Martin Valentin Menke
Einer von zwei sehr schwierigen Patienten für Vera (Rebecca Immanuel): der zuckerkranke Ex-Richter Kirberg (Felix von Manteuffel)

Das klingt alles etwas überfrachtet, aber Regisseurin Sibylle Tafel ist erfahren genug, um die verschiedenen Ebenen nicht episodisch aneinanderzureihen. Schon der fast verschwenderisch aufwändig gestaltete Einstieg, als Vera zum Vorspann innerhalb einer guten Minute in diversen gänzlich unterschiedlichen Jobs zu sehen ist, gibt einen Vorgeschmack auf die Komplexität des Films. Tafel (zuletzt „Für eine Nacht … und immer?“) steht vor allem für romantische Komödien; „Der Butler und die Prinzessin“ wurde 2007 für den Deutschen Fernsehpreis nominiert, „König Drosselbart“ (2008) ist eins der besten ARD-Märchen und mit dem Robert Geisendörfer Preis ausgezeichnet worden. Auch „Die Eifelpraxis“ ist durchaus sehenswert, selbst wenn die Umsetzung alles andere als originell ist; Veras Autofahrten durch die Eifel zum Beispiel legen die Vermutung nahe, dass Bildgestalter Thomas Etzold erstmals die Vorzüge einer Kameradrohne entdeckt hat. Immerhin sorgt er für Aufnahmen, die auch den regionalen Sparkassenkalender schmücken würden. An einigen Stellen wirken diese Schmuckbilder allerdings eskapistisch: Veras Auto springt wieder mal nicht an? Schnitt auf die Rurtalsperre, Problem gelöst. Auch die heiter-harmlose Allerweltsmusik legt nahe, dass die diversen Dramen alle nicht so schlimm sind. Dazu passt, dass sich der mürrische Arzt, seit einem Unfall Rollstuhlfahrer, schließlich doch noch als umgänglicher Zeitgenosse entpuppt, weshalb sich Vera vermutlich irgendwann zwischen ihm und dem Rektor entscheiden muss.

Auch der Handlungsrahmen ist mittlerweile etwas abgenutzt. Man könnte dieses Muster das „Landlust“-Phänomen nennen: Wenn immer mehr Menschen in Städten leben, zeigt das Fernsehen antizyklisch immer öfter Geschichten, die auf dem Land spielen. Nach dem gleichen Schema – Frau zieht von der Stadt in die Provinz – funktionierten neben diversen Freitagsproduktionen der ARD-Tochter Degeto auch die Auftaktfilme der ZDF-Reihen „Lena Lorenz“ und „Hanna Hellmann“ sowie die „Frühlingsfilme“ mit Simone Thomalla. Immerhin sind die Rureifel und gerade das belgische Grenzgebiet filmisch noch weitgehend unerschlossen. Zumindest die Außenaufnahmen für „Eifelpraxis“ sind zum großen Teil in und um Monschau entstanden; das Städtchen, völlig zu Recht als „Perle der Eifel“ gerühmt, war auch schon Schauplatz des Degeto-Films „Weihnachten für Einsteiger“ (2014). Ähnlich sehenswert sind die Leistungen der Darsteller. Rebecca Immanuel ist in ihrer Rolle als empathische Krankenschwester jederzeit glaubwürdig, und gerade die beiden filmisch noch unerfahrenen jungen Männer, Tom Böttcher und Sebastian Griegel (als Sohn des Bankdirektors), hat Tafel ausgezeichnet geführt. Sehr nett sind auch einige Details am Rande, etwa das Schreibtischrotlicht im Polizeirevier, das zu leuchten beginnt, wenn das Telefon klingelt. Der Dorfpolizist ist übrigens der einzige, der auch akustisch für Lokalkolorit sorgt.

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Reihe

ARD Degeto

Mit Rebecca Immanuel, Simon Schwarz, Janek Rieke, Karolina Lodyga, Max Herbrechter, Felix von Manteuffel, Tom Böttcher, Mascha Schrader, Sarah Giese, Olga von Luckwald, Tom Keune, Anna Böttcher, Karin Giegerich, Sebastian Griegel, Tijan Marei

Kamera: Thomas Etzold

Szenenbild: Marion Foradori

Kostüm: Bettina Weiß

Schnitt: Melania Singer

Musik: Stefan Hansen

Soundtrack: Timothy Auld („Waste Some Time“), Matt Simons (“Catch & Release”)

Produktionsfirma: UFA Fiction

Drehbuch: Brigitte Müller

Regie: Sibylle Tafel

Quote: 4,64 Mio. Zuschauer (16,1% MA)

EA: 16.09.2016 20:15 Uhr | ARD

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