Der kölsche Karneval wirft seine Schatten im „Tatort“ voraus
Dicke Luft bei der Karnevalsgesellschaft „De Jecke Aape 1971“: Die Tänzerinnen streiten, der Präsident schimpft, die Trainerin will kündigen. Kurz vor Sessionsbeginn liegen die Nerven blank, der Traum vom Auftritt auf der großen Bühne beflügelt offenkundig nicht das Gemeinschaftsgefühl, sondern Neid und Eifersucht. Bereits zwei Monate zuvor hatte sich Evelyn, eine der Tänzerinnen, von einer Rheinbrücke in den Tod gestürzt. Mit der Suizid-Szene beginnt die Kölner „Tatort“-Folge „Tanzmariechen“, deren Ausstrahlung kurz vor Beginn des Straßenkarnevals passend terminiert wurde. Wenn man es gut meint, kann man über diesen durchschnittlichen Krimi notieren: Der WDR, der sich in seinem Programm selbst ausgiebig der närrischen Folklore hingibt, setzt sich kritisch mit dem Leistungsdruck im harten Geschäft Karneval auseinander. Die Proben der Tanzformationen, das lernt man hier, gehen schon kurz nach Aschermittwoch wieder los. Auf dem Höhepunkt der Session stehen täglich mehrere Auftritte an. Karneval bedeutet Dauerstress, interne Machtkämpfe, Konkurrenz mit anderen Formationen. Im Film verheimlicht Tanzmariechen Saskia (Sinja Dieks) ihre Schmerzen im Fuß und wirft Aufputschmittel ein. Und die Tanzszenen lassen durchaus erkennen, dass die Choreographien fleißiges Üben voraussetzen.
Autor Jürgen Werner legt schon zu Beginn überdeutliche Spuren
In „Tanzmariechen“ hat der Stress tödliche Konsequenzen: Trainerin Elke Schetter (Katja Heinrich) wird in der Wagenhalle zwischen lauter Karnevalsutensilien erschlagen aufgefunden. Der viel beschäftigte Drehbuch-Autor Jürgen Werner legt hier schon zu Beginn überdeutliche Spuren zu verschiedenen Verdächtigen. Tänzerin Annika (Natalia Rudziewicz) giftet gegen Saskia und wird von der Trainerin abgefertigt. Auch der ehrgeizige Präsident, Bauunternehmer Günther Kowatsch (Herbert Knaup), hat kurz vor der Tat einen Streit mit dem Opfer. Außerdem gibt Evelyns Vater Rainer Pösel (Tristan Seith) dem Verein die Schuld am Selbstmord seiner Tochter, und Trainerin Schetter war es, die Evelyn herausgeworfen hatte. Später findet Tobias Reisser (Patrick Abozen), der Assistent der Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär), noch heraus, dass Evelyn von Saskia und den anderen Tänzerinnen in den sozialen Netzwerken gemobbt worden war.
Herbert Knaup spielt einen Bau-Unternehmer mit Geltungsdrang
Die Ermittlungen werden nun auf dem üblichen Wege vorangetrieben: Eine Befragung jagt die nächste, das gibt eine Menge Dialoge im Stile tausendfach versendeter Krimis („Wir stellen Ihnen jetzt noch eine Frage, und dann fahren wir aufs Präsidium. Da wird unser Gespräch aber nicht so freundlich ablaufen wie jetzt“). Auch viele Figuren erfüllen bestenfalls Klischees: Zickige Frauen in der Umkleide, ein Bau-Unternehmer mit Affäre in der Zweitwohnung. Diesen Präsidenten mit Geltungsdrang kann auch ein Herbert Knaup nicht herausreißen. Voll ins Schwarze trifft immerhin die Szene, in der Kowatsch mit dem Bauer aus dem Kölner Dreigestirn telefoniert. Dieser soll seinen Verein in die KölnArena bringen, denn: „Ich hab dir deine Terrasse für lau gemacht.“ So funktioniert der Kölner Karneval.
Ein Wutbürger, der „gegen die Bonzen auf dem Festwagen“ wettert
Der Film erzählt aber nicht nur von Stress und Klüngel, sondern auch von übersteigerter Liebe zum Karneval. Die Familie Pösel lebt, wie es scheint, nur für die fünfte Jahreszeit. Tristan Seith spielt mit Verve und rheinischem Zungenschlag den Vater als eine Art Karnevals-Wutbürger, der gegen „die Bonzen da oben auf dem Festwagen“ wettert. „Die da oben wollen doch nur ihre Rübe ins Fernsehen halten.“ Mit den Pösels entfaltet diese Folge ein Familiendrama im Krimi, das Zuschauern jenseits des Rheinlands seltsam vorkommen dürfte. Trotz Evelyns Selbstmord wird nun auch Paul, der jüngere Bruder, vom Vater unter Druck gesetzt: Paul büffelt für seine Büttenrede. Mutter Martina (Milena Dreißig) verzweifelt zunehmend am Fanatismus ihres Mannes. Schließlich erfährt man noch, dass Evelyn am 11.11. per Kaiserschnitt zur Welt gekommen war. Das alles wirkt etwas haarsträubend. Aber die Überzeichnung der jecken Begeisterung als Obsession; der eine tragische Wendung nehmende Frohsinn – das ist ein interessanter dramatischer Ansatz, der hier allerdings mit aller Krimi-Routine abgearbeitet wird. Einige vom Kölner Festkomitee zur Verfügung gestellte Requisiten sorgen für Authentizität, aber über die Tanzszenen hinaus entwickelt Jauchs hölzerne Inszenierung keine Idee, wie sich die Karnevalsatmosphäre originell einfangen ließe.
Seitenhieb auf das vielleicht doch gar nicht so tolerante Köln
Die Kommissare sind hier die klassischen Ermittler, denen das Publikum vertrauensvoll durch den etwas überfrachteten Fall folgen kann. Und die sich mit mehr (Schenk) oder weniger (Ballauf) Verständnis für den Karneval durch die vielen Dialoge arbeiten. Man darf sich auch sicher sein, dass sie immer gerade zur rechten Zeit auftauchen, wenn sich Verdächtige gegenseitig an die Gurgel gehen oder abzustürzen drohen. Nebenbei gibt es noch eine Lektion in Sachen Toleranz. Tobias‘ Freund David (Marc Rissmann) soll für Schenks Enkelin ein Prinzessinnen-Kostüm besorgen und taucht damit im Kommissariat auf. Sein forsches Auftreten bringt Tobias in Verlegenheit, und Schenk findet knutschende Schwule in seinem Büro doch nicht so toll, auch wenn er energisch behauptet: „Ich hab doch keine Schwulen-Phobie wie Putin.“ Ein kleiner Seitenhieb auf Köln, wo es unter der Oberfläche vielleicht nicht ganz so tolerant zugeht, wie gerne behauptet wird. Das Ende wird dann wieder versöhnlich: Alle feiern gemeinsam, und der nörgelnde Ballauf, der notorisch von „Fasching“ redet, wird im Konfettiregen abgeführt. Mit einem netten Schlussbild entlässt der WDR-„Tatort“ sein Publikum in die heiße Phase des Straßenkarnevals, was wohl als Aufforderung zu verstehen ist, dass man sich den Spaß nicht verderben lassen soll. (Text-Stand: 25.1.2017)