Bei annähernd dreißig Episoden in zwölf Jahren lässt es sich vermutlich nicht vermeiden, dass auch einmal ein Ausreißer nach unten dabei ist. „Marie Brand und die falschen Freunde“, der 27. Film der ansonsten stets sehenswerten, unterhaltsamen ZDF-Reihe mit Mariele Millowitsch und Hinnerk Schönemann, liegt allerdings auffallend deutlich unter dem Durchschnitt. Die Krimis zeichnen sich in der Regel durch originelle Geschichten, eine gelungene Kombination von Spannung und komischen Momenten sowie durch interessante Gastdarsteller aus. Von alledem ist hier nichts zu sehen, im Gegenteil. Einen gewissen Reiz bietet die Handlung allenfalls für Zuschauer, die sich einen Spaß daraus machen, Figuren zu durchschauen und zu prognostizieren, wie’s weitergeht. Die Herausforderung ist allerdings überschaubar. Die erste Szene hat kaum begonnen, da ist schon klar, in welchem Verhältnis die Mitglieder jener Bauunternehmerfamilie zueinander stehen, von der Drehbuchautor Timo Berndt erzählt: Beim Geburtstagsfest für Luise Angersbach (Angela Roy) verkündet ihr Mann Borris (Klaus Zmorek), dass er die Firma seinem Sohn Malte (Jan Niklas Berg) übergeben wird. Luise ist empört, ihr Sohn Kai (Golo Euler) schockiert: Luise hat das Unternehmen mit in die Ehe gebracht, der frühere Bauarbeiter Borris nur seinen Sohn; rechtmäßiger Nachfolger wäre eigentlich Kai. Kurz drauf ist Malte tot und Kai verdächtig.
Weil das für einen abendfüllenden Krimi ein bisschen wenig wäre, ergänzt Vielschreiber Berndt, der zuletzt vor allem die Drehbücher für die ZDF-Reihe „Die Toten vom Bodensee“ geschrieben hat, die Handlung um ein zweites Verbrechen, das aber womöglich gar nicht stattgefunden hat: Kai ist vor vier Jahren zusammen mit seinem Freund und Mitarbeiter Daniel (Christian Erdt) entführt worden. Borris hat stets gemutmaßt, die Entführung sei bloß vorgetäuscht gewesen. Kai leidet seither unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, die Beziehung zum ohnehin ungeliebten Stiefvater ist endgültig zerrüttet. Nun ist einer der registrierten Scheine aus dem Lösegeld wieder aufgetaucht; und endlich wird eine Geschichte daraus, die sogar in eine halbwegs überraschende Auflösung mündet. Das Ganze hätte vermutlich eine ordentliche Serienfolge ergeben, aber für neunzig Krimiminuten reicht es nicht, weshalb sich Berndt allerlei Ergänzungen einfallen lassen musste, damit Millowitsch und Schönemann mehr als bloß die üblichen Kommissarsfragen stellen können: Jürgen Simmel hat einst gemeinsam mit Kai und Daniel ein Rudertrio gebildet, weshalb sich sein Chef, Gustav Engler (Thomas Heinze), immer wieder aufs Neue die Frage stellt, ob der Mitarbeiter befangen sei. Die entsprechenden Geplänkel ziehen sich wie ein roter Faden durch die Handlung und sollen ebenso für Auflockerung sorgen wie Englers Freude über Simmels früheres Hobby: Eine Delegation der Kölner Polizei soll gegen Kollegen zu einem Ruderwettbewerb antreten, und Engler möchte Simmel als Trainer gewinnen.
In den meisten Episoden sind diese Reviergespräche witzig und nett gespielt, aber diesmal wirken sie bloß bemüht, zumal Schönemann, der für seine kleinen Humoresken sonst eine sehr sympathische Mischung findet, einige Male übertreibt. Deutlich gelungener ist Simmels kindliche Freude, als er das in der Tat beeindruckende Sportcoupé des Mordopfers ausfahren darf. Reizvoll ist auch seine Verletztheit: Die beiden Ruderkameraden haben ihn damals ohne irgendeine Erklärung ausgebootet; der Schmerz sitzt immer noch tief. Die Exkurse für Marie Brand – sie erwärmt sich für Kais Entwurf eines Wohnprojekts, mit dem er Lebensraum für Alt und Jung schaffen will – bieten Mariele Millowitsch dagegen deutlich weniger Spielraum; im Grunde ist sie unterfordert. Für andere Mitwirkende gilt das genaue Gegenteil: Gerade die Episodengäste tragen erheblich dazu bei, dass sich die darstellerische Qualität von „Marie Brand und die falschen Freunde“ teilweise auf dem Niveau einer Nachmittagsserie bewegt. Einzig Golo Euler verkörpert seine Figur durchgehend glaubwürdig. Allen anderen ist anzusehen, dass sie ihre Rollen bloß spielen; und das mitunter auf eine Weise, die ein anspruchsvolles Publikum zum Umschalten animieren könnte.
Wenn die letzten Filme von Isabel Prahl gewissen Schwächen hatten, dann waren sie vor allem inhaltlicher, aber nicht schauspielerischer Natur: „Gefangen“ (2020) war ein intensiver „Tatort“ aus Köln, in dem Kommissar Ballauf gegen seine Dämonen kämpfte. Zuvor hat die Regisseurin im Rahmen der ZDF-Reihe „Friesland“ die sehenswerte Folge „Hand und Fuß“ und für den NDR „Was wir wussten – Risiko Pille“ (beide 2019) gedreht. Ihr „Marie Brand“-Debüt ist dagegen kaum empfehlenswert. Daran ändern auch kleine Einfälle wie jene nichts, als der wohnungssuchende Simmel das Martinshorn seines Dienstwagens einschaltet, um einer Vermieterin telefonisch zu beweisen, dass er Polizist ist. (Text-Stand: 17.8.2020)