Mitunter enthalten die Beiträge zu den ZDF-Sonntagsreihen „Rosamunde Pilcher“ und „Inga Lindström“ auch zarte kriminalistische Elemente, aber niemand käme auf die Idee, die Romanzen oder Komödien als Krimi zu bezeichnen. Dabei kommen die kleinen grauen Zellen beinahe ähnlich auf ihre Kosten wie in einer Agatha-Christie-Adaption. Allerdings ist die Herausforderung nicht sonderlich groß, weil sich die Bücher allzu oft bei den immergleichen Versatzstücken bedienen. Wenn sich zum Beispiel rausstellt, dass eine Mutter vor 30 Jahren eine „Wilde Zeit“ hatte, muss man nicht „Tatort“-geschult sein, um der Geschichte auf die Schliche zu kommen. Wer der Schurke der Handlung ist, liegt ebenfalls fast auf der Hand.
Was zunächst nach einem eher schlichten Entwurf klingt, entpuppt sich als facettenreiche Geschichte, weshalb die neunzigste „Lindström“-Episode, „Wilde Zeiten“, aller Vorhersehbarkeit zum Trotz recht unterhaltsam ist. Annette Lobers erstes verfilmtes Drehbuch für einen 90-Minüter – die schreibende Schauspielerin war zuvor an der ZDFneo-Kurzfilm-Reihe „Liebe. Jetzt!“ beteiligt – orientiert sich zwar an der üblichen „Herzkino“-Dramaturgie, bietet den Mitwirkenden aber viel Spielmaterial. Ebenfalls sehenswert ist Hauptdarstellerin Leonie Rainer; sie war 2016 bereits der einzige Grund, die Pilcher-Verfilmung „Schutzengel“ zu empfehlen. In „Wilde Zeiten“ spielt sie die junge Geigerin Clara, die nach zwei Jahren Masterstudium (Musikpädagogik) in den USA in die schwedische Provinz zurückkehrt. Dass sie schon auf der Autofähre dem männlichen Hauptdarsteller (Tobias van Dieken) über den Weg läuft, gehört zu den üblichen „Zufällen“ dieser Reihen. Was genau Erik in Norrköping zu tun hat, lässt Lober erst mal offen, auch wenn ziemlich klar ist, dass sein Auftrag mit der örtlichen Musikschule zu tun hat. Die Einrichtung war das Lebenswerk von Claras verstorbener Mutter, aber Vater Gunnar (Dietrich Adam), der sich um das Vermächtnis seiner Frau gekümmert hat, ist mit den Mieten in Rückstand; die Musikschule ist völlig verschuldet, der Mietvertrag für das Haus gekündigt worden. Weil die hartnäckige Clara nicht locker lässt, gelingt es ihr, mit dem Besitzer zu sprechen. Es handelt sich um einen bekannten Rockmusiker, der einst mit ihrer Mutter auf der Bühne gestanden hat.
Die entsprechende Personalie ist im Grunde spannender als die verschiedenen Fragen, die die Handlung aufwirft: Warum bekommen Gunnar und die beste Freundin (Fanny Stavjanik) von Claras Mutter umgehend schlechte Laune, wenn die Sprache auf den Rockstar kommt? Was ist damals vorgefallen? Wird es Clara gelingen, die Schule zu retten? Und welche Rolle spielt der von Tobias van Dieken, am ehesten bekannt als Andreas aus dem ARD-Vierteiler „Väter allein zu Hause“ (2019/21), eher unauffällig verkörperte Erik? Wird er Claras Herz gewinnen, oder kommt es doch noch zu einer Romanze zwischen der Musikerin und ihrem Jugendfreund Lasse (Ben Blaskovic), der sich sehr zum Missfallen von Freundin Rieke (Helene Blechinger) hingebungsvoll um Clara kümmert? Das Ensemble spielt ausnahmslos gut, was angesichts der Regisseurin nicht weiter überrascht: Sophie Allet-Coche war an fast allen Serien beteiligt, die RTL einst den Ruf des führenden Comedyseriensenders beschert haben.
Und den Rockstar Ruben spielt – Peter Kremer. Das ist zwar nicht unbedingt die erhoffte Besetzungsüberraschung, zumal damit die Chance vertan wurde, den Film mit einem echten Musiker zu schmücken, doch der Routinier versieht die Rolle mit Goldketten, Ringen, Hut und viel Brusthaar nicht nur äußerlich mit den nötigen Zutaten. Die Lieder, die erklingen, hat er allerdings nicht selbst gesungen, und Leonie Rainer hat auch nur so getan, als ob sie Geige spielt; das jedoch sehr überzeugend. Die Musik von Andy Groll plätschert anfangs wie gewohnt gefällig vor sich hin, aber als Ruben ins Spiel kommt und im Hintergrund einige seiner ebenfalls von Groll komponierten und gespielten Bluesrock-Balladen zu hören sind, wird auch die Filmmusik rockiger. Das handwerkliche Niveau des Films ist ohnehin ansprechend. Das gilt vor allem für die Bildgestaltung. Gedreht wurde im vergangenen Herbst, was den Vorteil hatte, dass Kameramann Uwe Schäfer dank der tief stehenden Sonne ständig schönes Licht hatte und für ein bisschen New-England-Flair à la „Katie Fforde“ sorgen konnte; traumhafte Sonnenuntergänge sind bei „Inga Lindström“ ohnehin im Preis inbegriffen. Sehr sorgfältig, ein weiteres Markenzeichen der Reihe (zumindest in den letzten Jahren), ist auch das auf die herbstlichen Farben abgestimmte Kostümbild. (Text-Stand: 7.8.2021)