Weihnachten steht vor der Tür. Einige Schwanitzer scheinen dem Fest der Liebe besonders erwartungsvoll entgegenzublicken. Hannah Wagner (Jana Klinge) strahlt in alle Richtungen. Das bekommt als erster Herr Töteberg (Stephan A. Tölle) zu spüren; der kriegt sogar ein Küsschen – und ist sofort verliebt. Aber offenbar hat auch Puttkammer (Joshy Peters), der freundliche Herr von der KTU, ein Auge auf die fesche Polizistin geworfen. Zu allem amourösen Überfluss glaubt Bestatterin Frau Bleckmann (Regine Hentschel), dass die Verliebtheit ihres Kollegen ihr gelte. Und Bine (Victoria Fleer) von der Pension Ahab entdeckt zwei Tage vor Heiligabend die Nächstenliebe. Oder ist da sogar mehr zwischen ihr und Mehmet Ösker (Cem Ali Gültekin). Der ist drauf und dran, Schwanitz zu verlassen; zwanzig gescheiterte Geschäftsideen in wenigen Jahren sind genug. Ähnlich miesepetrig gestimmt ist auch Hauke Jacobs (Hinnerk Schönemann), erklärter Weihnachtsmuffel und kein Typ für extravertierte Liebesbekundungen. Jule (Marleen Lohse) hingegen überkommen in der kalten Zeit wärmende Gefühle; fixiert ist sie dabei aber eher auf bemitleidenswerte Zweibeiner, zwei süße Welpen und ein Prachtkarnickel, das als Weihnachtsbraten seine Erfüllung finden soll. In diese emotionalen Ausnahmesituationen kommt der Mord am Schwanitzer Weihnachtsmann reichlich ungelegen und auch das Wetter wird ungemütlich: Sturm aus Nord bei Nordwest.
Weihnachten in Schwanitz? „Aber nur, wenn der Weihnachtsmann erschossen wird“, soll Holger Karsten Schmidt, Drehbuchautor und Schöpfer von „Nord bei Nordwest“, gesagt haben. Und so hören die Zuschauer*innen ein einziges Mal das unvermeidliche und titelgebende „Ho Ho Ho“, worauf das vermummte Gegenüber sogleich eine knallige Antwort gibt. Der Mord bleibt in der 16. Episode der immer beliebteren ARD-Krimi-Reihe, die im Corona-Lockdown sogar die Zehn-Millionen-Zuschauer-Marke geknackt hat, eher eine Randerscheinung, wenngleich das Mordmotiv im weiteren Sinne auch etwas mit Liebe zu tun hat. Die Überführung des Täters nach einer leichte Spannung vermittelnden Nacht-und-Nebel-Aktion endet mit einem ungewohnten, emotional übertriebenen Moment, der nicht so recht zu dieser Reihe, aber noch weniger zu diesem Krimifall passt, der nebenher mitläuft und an den auch die Charaktere nicht allzu viele Emotionen verschwenden. Denn dieses Weihnachts-Special ist eher eine leicht augenzwinkernde, besinnliche Besinnung auf die (auch kleineren) Episodencharaktere dieser immer launigen, bisweilen aber auch mörderisch lakonischen, etwas anderen Krimi-Reihe. Die Frage ist hier nicht „Wer war’s?“, sondern „Wer mit wem?“. Der Film ist somit eine Reminiszenz an die sogenannten Supporting Actors, die Schauspieler in den wiederkehrenden kleineren Rollen, denen „Nord bei Nordwest“, was den ironischen Grundton und den trockenen Humor angeht, viel zu verdanken hat. Den coolen Killern zum Trotz fühlt man sich als Zuschauer in Schwanitz deshalb immer wie zu Hause.
Soundtrack:
Lou Reed („Perfect Day“), Wham („Last Christmas“), Elvis Presley („Love Me Tender“), Leonard Cohen („Take This Waltz“)
Dramaturgisch ist „Ho Ho Ho“ ein Geflecht aus zahlreichen Missverständnissen. Die Liebe ist bekanntlich ein seltsames Spiel. Und das Fest der Liebe ermöglicht besonders viele Anlässe für die geheimen und weniger geheimen Sehnsüchte der Schwanitzer Bevölkerung. Und wo die Erwartungshaltungen hoch sind, da sind Enttäuschungen unvermeidbar. Das führt erfreulicherweise nicht zu schambesetzten Peinlichkeiten. Selbst ein schwarzhumoriger Sidekick wie Frau Bleckmann erntet keine Schadenfreude, im Gegenteil, der Film schenkt ihr einen kurzen, sehr menschlichen Moment der Trauer. An Tiefe gewinnen auch die Pensionswirtin und vor allem das türkische Faktotum, das ja sonst vornehmlich nur albern sein darf. So bekommt der Film eine menschliche, warmherzige Grundstimmung, ohne auch nur eine Spur gefühlsduselig zu werden. Dafür ist auch in dieser Episode zu viel Lakonie im Spiel. Hauke Jacobs darf im Übrigen ausgiebig seine Vorbehalte gegenüber dem Weihnachtsfest, wie es hierzulande gefeiert wird, vorbringen. Das Fest der Liebe ist für ihn eher das Fest der Selbstmorde und der häuslichen Gewalt, ein Fest des Konsums – und lieben könne man sich schließlich das ganze Jahr. Aus dem Munde des ermittelnden Tierarztes, beiläufig vorgetragen im typischen Hinnerk-Schönemann-Sprachduktus der unvollständigen Sätze, klingt das für diese Figur überaus passend und ist alles andere als billiges Christmas-Bashing.
Mehr noch als gewohnt lebt diese Weihnachtsepisode von seinen zwischenmenschlichen Begegnungen, angelegt als klassische Beziehungsszene, als launige Momentaufnahme oder als gespielter Witz für den mehrwissenden Zuschauer, der hier einer lustvollen Verkettung falsch gelesener Zeichen beiwohnen darf. Der Streifenwagen hängt auf dem Glatteis fest. „Drehen durch“, so Töteberg; er meint die Reifen. „Sie haben ein gutes Auge“, erwidert Hannah Wagner. Im nächsten Moment hat der Bestatter etwas Asche zur Hand, wohlgemerkt Birkenasche; komisch ist die Szene trotzdem. Es gibt Situationen mit Dialogwitz. Bleckmann bei der Leichenpflege: „Michi, Du putzt die Schuhe jetzt schon zum dritten Mal.“ Töteberg: „Ich weiß, aber Herr Krüger war Schuster.“ Einfach schön auch die Szene, in der die beiden zu Leonard Cohens „Take This Waltz“ tanzen – bis plötzlich das Licht ausgeht. Auch die ganz kleinen Details lassen schmunzeln: das Schild an der Polizeidienststelle mit der Aufschrift „Bitte nur im Notfall klingeln“ oder ein Schiff, das – dem Poller sei Dank – „Potenz“ heißt. Hübsch auch, wie Autor Schmidt das angebliche Burt-Reynolds-Zitat „Ein Mann sollte nur heiraten, wenn er ständig interviewt werden möchte“ in ein vermeintliches Date einbaut. Und die schönste Szene gehört Jacobs und Assistentin Jule, in der keiner der beiden zugeben möchte, was er für den anderen empfindet und was in einem heillos paradoxen Schlagabtausch („Ich mag Ihr Einfühlungsvermögen nicht“) endet. Dem Zuschauer bleibt der Subtext, und die zwei können nächstes Mal (drei neue Episoden ab 6.1.) so weiter machen wie bisher.