Den Filmpreis der Suchtberatungsstellen wird die 16. „Tatort“-Episode mit Margarita Broich und Wolfram Koch vermutlich nicht erhalten. Denn in „Leben Tod Ekstase“ wird reichlich und alles mögliche konsumiert. Und Vergnügen bereitet dieser Film auch noch – sofern man den heiligen Sonntagskrimi der ARD nicht allzu, pardon, bierernst nimmt. Statt ausgefeilter Krimi-Logik werden hier schwarzer Humor und bizarre Einfälle in einer buchstäblich berauschenden Geschichte geboten. Außerdem sind Kenner von Arnold-Schwarzenegger-Filmen im Vorteil. Was allerdings für einen Filmpreis der Suchtberatungsstellen sprechen könnte: Die Drogen sind hier ausgesprochen tödlich. Gleich sechs Menschen rafft es dahin, nachdem Dr. Adrian Goser (Martin Wuttke) jeweils ein Tröpfchen einer geheimnisvollen Substanz in die mit alkoholfreiem Champagner gefüllten Gläser fallen ließ. Und während Goser lässig an der Wand lehnt und die üblichen Reaktionen seiner „Psychonauten“ bei der schon oft zelebrierten „Reise zum Ursprung, zum Selbst“ erwartet, bricht um ihn herum das Chaos aus. Jede Frau, jeder Mann sucht sich, von der Wahnsinns-Droge getrieben, einen anderen Weg ins Jenseits.
Wer sich von dem Psycho-Geschwurbel der Therapeuten-Figur nicht abschrecken lässt, erlebt einen Martin Wuttke in Hochform. Adrian Goser wird zehn Tage nach dem todbringenden Gruppen-Trip von Kommissarin Anna Janneke und ihrem Kollegen Paul Brix in der U-Haft aufgesucht. Und bald darauf muss er sie zur Tatort-Begehung in seine prächtige Villa begleiten. Goser weiß sich gegen Brix‘ höhnische Bemerkungen zu wehren, wird auch mal zornig, hat sich aber längst, so scheint es, in eine eigene Sphäre verabschiedet. Wuttke spielt diesen Therapeuten wunderbar wolkig und uneindeutig, mal naiv, mal arrogant – ein Psycholyse-Guru, bei dem man nicht sicher sein kann, ob er seine in Bestseller gegossene Weisheiten auch wirklich selbst glaubt. Rilkes „Panther“ rezitiert er einwandfrei, und über Leben und Tod weiß er schlagfertig zu philosophieren. Andererseits erscheint es gut möglich, dass die Drogen in seinem Hirn bereits ein hübsches Chaos angerichtet haben. Manchmal huscht ein wahnsinniges Lächeln über sein Gesicht. Zudem suchen ihn Visionen in den Bäumen seines Gartens heim, über deren Bedeutung man noch nach Filmende rätseln darf.
Das Buch von Nikias Chryssos („Der Bunker“), der auch Regie führte, und Michael Comtesse stützt sich auf die reale, freilich umstrittene Praxis der Psycholyse, bei dem halluzinogene Substanzen zu Therapiezwecken eingesetzt werden. Das ist natürlich eine Steilvorlage für einen Krimistoff, der passenderweise mit zunehmender Dauer immer abgedrehter wird. Logisch: Auch bei der Drogen-Einnahme setzt die Wirkung erst nach und nach ein. Vorher gibt es aber den obligatorischen Info-Block, denn Janneke und Brix lassen beim Bier in Fannys (Zazie de Paris) Bar die Kulturgeschichte halluzinogener Substanzen Revue passieren lassen. Ganz konventionell nach klassischem Drehbuch-Dreisatz, wonach jede Geschichte einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben muss, wird es dann ab der Hälfte des Films turbulent. Während sich Janneke, Brix, Goser und zwei Streifenpolizisten zur Tatort-Begehung in der Villa aufhalten, werden sie plötzlich angegriffen. Außerdem taucht noch ein ebenfalls nur bedingt zurechnungsfähiger Mitbewohner (Pit Bukowski) des Therapeuten auf.
Soundtrack: Demis Roussos & Florence Warner („Lost in Love“),Aphrodite’s Child („It’s five o’clock“), David Hess („Now you’re all alone“ /„Hear my Prayer, O Lord“), Charles Trenet („Douce France“)
Die Wendungen dürfen in einem solchen Film, in dem Wahnvorstellungen eine Rolle spielen, durchaus haarsträubend sein. Aber der Film kippt immer mehr ins Aberwitzige, während die Geschichte eigentlich von einer schrecklichen Tragödie handelt. Ellen Jensen (stark: Aenne Schwarz) war als Kind entführt, eingesperrt und erst nach 18 Tagen freigekauft worden. Von der Drogentherapie erhoffte sie sich die Überwindung des Traumas. In der Goser-Gruppe lernte sie den ehemaligen Bundeswehr-Soldaten Syd (Frederik von Lüttichau) kennen, der nach Auslandseinsätzen ebenfalls traumatisiert war. Beide gelten als vermisst, ihre Geschichte wird in Rückblenden erzählt. Die Inszenierung ist selbst eine Art psychedelischer, farbenprächtiger Trip, bei dem Regisseur Chryssos die Villa als in sich geschlossene, von der Realität „entrückte“ Welt zu nutzen weiß. Da ist es vielleicht ganz gut, dass Janneke & Brix, überzeugend und souverän gespielt von Margarita Broich und Wolfram Koch, inmitten des Wahnsinns die Ruhe bewahren. Wie üblich stehen die beiden für unterschiedliche Haltungen: Während sich die ehemalige Polizeipsychologin Janneke interessiert an Gosers Arbeit zeigt, gibt Brix den Gegenpart, der wenig Verständnis für die „verdammten Freaks“ aufbringt. Am Ende markiert die Episode dennoch einen Entwicklungsschritt im persönlichen Verhältnis. Das „Sie“ ist Vergangenheit, ab jetzt wird gedutzt. (Text-Stand: 19.9.2022)