Es weihnachtet in Münster, aber zum Glück nicht allzu sehr. Vor zwei Jahren hat sich die am gleichen Ort angesiedelte ZDF-Reihe „Wilsberg“ an einem humorvollen Weihnachtskrimi versucht („Alle Jahre wieder“); das Ergebnis war krampfhaft komisch. Auch beim „Tatort“ mit Axel Prahl und Jan Josef Liefers wird der Klamauk gelegentlich wichtiger genommen als die Mördersuche, damit die Filme über den brummigen Bullen und den arroganten Rechtsmediziner dem Etikett „Schmunzelkrimi“ gerecht werden. Den größten Spaß machen die Filme, wenn die Autoren eine überzeugende Balance gefunden haben und die eigentliche Handlung nicht bloß Vorwand für heitere Wortwechsel ist. Stefan Cantz und Jan Hinter gelingt das in der Regel recht gut, was nicht weiter überrascht: Sie haben das Ermittlerduo erfunden und den „Tatort“ aus Münster maßgeblich geprägt; „Väterchen Frost“ ist bereits ihr vierzehntes Drehbuch für Prahl und Liefers (von insgesamt nunmehr 36 Episoden).
Dass der Film nicht ganz an die Qualität der erst vor einigen Wochen ausgestrahlten und gleichermaßen einfalls- wie abwechslungsreichen Folge „Lakritz“ heranreicht, liegt unter anderem an der letztlich doch recht schlichten Geschichte: Ausgerechnet wenige Tage vor Weihnachten wird Thiels Kollegin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) entführt. Der Kidnapper fordert den Kommissar auf, einen eigentlich glasklaren Fall neu aufzurollen: Der homosexuelle Russe Kirill (Oleg Tikhomirov) steht kurz vor der Verurteilung, weil er angeblich seinen Freund ermordet hat; Boerne hat zweifelsfrei nachgewiesen, dass es die Hände des jungen Mannes waren, mit denen das Opfer erwürgt worden ist. Bei einer Untersuchung von Kirills Fingern kommen dem Rechtsmediziner jedoch Zweifel, und tatsächlich stellt sich heraus, dass er Leidtragender eines perfiden Plans ist
Während sich Thiel & Boerne den Kopf zerbrechen, wer den Toten warum auf dem Gewissen haben könnte, erlebt Nadeshda nicht zuletzt dank des Wodkas reiner Seele eine besondere Spielart des Stockholm-Syndroms: Es dauert nicht lange, bis sich der als Weihnachtsmann verkleidete Entführer als Kirills Vater Artjom (Sascha Alexander Geršak) entpuppt. Seine Motive sind also durchaus ehrenhaft, er scheint zudem ein ganz netter Kerl zu sein, und da die Polizistin ebenfalls russische Wurzeln hat, kommen sich die beiden auf allerlei amüsante Umwege näher. Die entsprechenden Szenen könnten auch aus einer romantischen Komödie stammen und sind die vergnüglichsten Momente des Films. Die Dialoge von Prahl und Liefers sind dagegen teilweise allzu offenkundig auf Gag gebürstet. Das ist zwar meist witzig, hat mitunter aber auch allenfalls kalauerndes Comedy-Niveau, wenn Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) verkündet, sie werde sich an Weihachten auf die Suche nach der verlorenen Zeit begeben und Boerne „Na dann Proust“ wünscht oder wenn Thiel seinen Nachbarn auffordert, das „Weihnachtskrematorium“ aufzulegen. Viel schöner sind beiläufig eingestreute Humoresken (beim JVA-Besuch spielen Häftlinge im Hintergrund „Lufttennis“).
Sehr amüsant sind auch die kleinen Weihnachtssabotagen, zumal der Film weitgehend ohne die eigentlich doch unvermeidlichen Weihnachts-Popsongs auskommt. Beim Ausflug auf den Weihnachtsmarkt gelingt es Carl-Friedrich Koschnick dank seiner insgesamt ohnehin sehr sorgfältigen und stellenweise recht raffinierten Kameraarbeit immer wieder, die typische Ausstattung eher bedrohlich als heimelig erscheinen zu lassen. Das gilt auch für eine Nussknackersammlung, die im Verlauf der Handlung zusammengetragen wird. Die Holzfiguren wirken ebenso wenig vertrauenerweckend wie ihr Besitzer: Regisseur Torsten C. Fischer hat dafür gesorgt, dass David Bennent als Gegenspieler des Duos auch dank des Maskenbilds ausgesprochen diabolisch auftritt, wobei er mit seinen straff zurückgekämmten Haaren auf irritierende Weise an den Politiker und TV-Moderator Michel Friedman erinnert. Natürlich lebt der Film nicht zuletzt von der Frage, was dieser rätselhafte schmächtige Mann mit dem Fall zu tun hat und warum die Handlung immer wieder in das Juweliergeschäft führt, in dem die Schwester des Opfers arbeitet.
Zu Fischers bekanntesten Arbeiten zählt sicherlich der Romy-Schneider-Film „Romy“, aber der Regisseur steht dank seiner Beiträge zu Reihen wie „Bella Block“, „Spreewaldkrimi“ oder „Polizeiruf 110“ sowie seinen beiden „Emma nach Mitternacht“-Folgen auch für vorzügliche Krimiunterhaltung. Die Spannung von „Väterchen Frost“ mag sich in Grenzen halten, doch schon allein die Bildgestaltung ist ausgezeichnet. Zu ganz großer Form läuft Koschnick zum Schluss auf, als er das dank spezieller Lichtverhältnisse und viel Mehl in der Luft schwarzweiß wirkende Finale als Hommage an den expressionistischen deutschen Stummfilm gestaltet. Ähnlich liebevoll sind zwei Alpträume Thiels inszeniert, die wie Reminiszenzen an billige Horrorfilme aussehen. Gerade in diesen Details zeigt sich die Klasse des Regisseurs, zumal die Musik (Fabian Römer) einige Male sorgsam auf die Schnitte abgestimmt ist. Das gilt vor allem für die Szene, in der Nadeshda aufwacht und von allerlei ausgestopftem Getier bedrohlich beäugt wird. Diese Innenaufnahmen sind in der Burg Bubenheim in Nörvenich gedreht worden, die Außenaufnahmen sind im Mühlenhof-Freilichtmuseum Münster entstanden. Wie Thiel & Boerne dank eines Elefanten in Kombination mit „Bäcker-Asthma“ auf die richtige Spur kommen, ist hübsch ausgedacht und ziemlich fesselnd umgesetzt; und wer hätte gedacht, dass ein bisschen Volkslied-Russisch genügt, um einen Killer zu verwirren.