Davos 1917

Dominique Devenport, Hain, Kross, Adrian Illien, Mack, Lazarescu, Theede. Frauen des Krieges

Foto: SRF / Patricia Neligan
Foto Thomas Gehringer

Historischer Agententhriller und Seifenoper am „Zauberberg“: Die Hochglanzserie „Davos 1917“ (SRF, ARD Degeto – Contrast Film, Letterbox Filmproduktion) bietet pralle Unterhaltung in einer Bilderbuch-Winterlandschaft, üppig ausgestattet und toll fotografiert. Die neutrale Schweiz ist ein spannender Schauplatz, denn am Luftkurort Davos bündelt sich die Zeitgeschichte wie unter einem Brennglas. Im Curhaus Cronwald begegnen sich Lungenkranke aus den besseren Kreisen verschiedener Länder, verwundete Soldaten und Spione aller Couleur. Im Mittelpunkt der Handlung steht die jüngere Tochter des verwitweten Curhaus-Besitzers, die nach der Geburt eines unehelichen Kindes in lebensgefährliche Geheimdienst-Abenteuer gerät. Neben Dominique Devenport und David Kross prägt vor allem Jeanette Hain als deutsche Agentin die erste Staffel von „Davos 1917“.

Was wohl Thomas Mann dazu sagen würde? Jedenfalls ist es erstaunlich, dass bisher niemand zuvor auf die Idee gekommen ist, eine historische Serie über die Zeit des Ersten Weltkriegs am Schauplatz eines mondänen Sanatoriums in der neutralen Schweiz zu erzählen. Von wegen abgelegen, von wegen unbeteiligt: Im Curhaus Cronwald tummelt sich halb Europa, und nicht nur die Tuberkulose bringt sie alle zusammen, den britischen General, die russische Prinzessin, die deutsche Gräfin. Denn die meisten hier, Ärzte und Krankenschwestern inklusive, haben doppelte Identitäten, sind Spione oder Deserteure oder Abgesandte mit geheimen Missionen. Man belauscht und belauert sich gegenseitig, bahnt kriegswichtige Geschäfte in Hinterzimmern an oder trachtet sich nach dem Leben. Und dann sind da noch die verwundeten Soldaten, die den Schrecken des Krieges ahnen lassen, der hier stets Thema ist, aber nur in wenigen Rückblenden ins Bild gesetzt wird. „Davos 17“ ist mehr „Zauberberg“ als „Im Westen nichts Neues“.

Davos 1917Foto: SRF / Degeto / Pascal Mora
Die Geschichte kommt schnell in Gang: Mathilde Gabathuler (Anna Schinz) hilft Johanna (Dominique Devenport) bei der Geburt – und verrät sie. Das Baby wird ihr weggenommen. Daraus ergibt sich der Motor des Geschehens: Johanna wird Spionin.

Wobei: Der Vergleich mit Thomas Manns Roman oder Hans W. Geißendörfers Verfilmung vor 40 Jahren trägt auch nicht allzu weit. Statt sich in melancholischer Stimmung und betrüblicher Selbstbezogenheit langsam aus dem Leben zu verabschieden, wird hier, hustend zwar, aber nach Kräften intrigiert, gerauft und geschossen. Zwar weht auch ein Hauch „Charité“ durch die sechs Episoden, denn die Hauptfigur ist Krankenschwester und ab und zu ist die Kamera auch im Operationssaal zugegen, aber am Ende lässt sich kurioser Weise sagen: An Schwindsucht ist hier niemand gestorben, wohl aber auf andere, eher unnatürliche Arten. „Davos 17“ ist also wiederum mehr „Mata Hari“ als „Zauberberg“ – mit einem kräftigen Western-Touch, denn es wird auch viel durch den tiefen Schnee geritten. Die Bilder von der fantastischen Winterkulisse mit den verschneiten, einsamen Tälern vor einer imposanten Bergkulisse sind großes Kino.

Neben einem spektakulären Lawinen-Moment sind es vor allem die Schauplätze und die Ausstattung, in denen sich der hohe Aufwand dieser deutsch-schweizerischen Hochglanzproduktion manifestiert. „Davos 1917“ reicht nicht ganz an den Serien-Hit „Babylon Berlin“ heran, aber das üppige Szenenbild und die Kostüme der untergehenden Belle Époque haben allemal einen hohen Schauwert. Und das imposante Berghotel Schatzalp in Davos, in dem gedreht wurde, hat den Glanz der Epoche um die Jahrhundertwende eindrucksvoll konserviert. Anfangs mit 15 Millionen Euro taxiert, wie der Schweizer „Blick“ berichtete, ist im Lauf der Jahre möglicherweise noch die ein oder andere Million dazugekommen. Jedenfalls soll „Davos 1917“ die teuerste Serie in der Geschichte des Schweizer Fernsehens sein. Zur Unterstützung holte man die ARD-Tochter Degeto als Koproduzent mit ins Boot, was sich auch in der Besetzungsliste niederschlug.

Davos 1917Foto: SRF / Degeto / Repro
Du kannst dir niemals sicher sein. Die wendungsreiche Beziehung zwischen Johanna (Dominique Devenport) und Ilse von Hausner (hinreißend gut: Jeanette Hain) sorgt für die Dynamik der Handlung. Die deutsche Mata Hari zwingt Johanna zur Spionage.

Die Hauptrolle der Johanna Gabathuler spielt freilich die Luzernerin Dominique Devenport, in Deutschland bekannt als „Sisi“ aus der gleichnamigen RTL-Serie. Johanna stammt aus wohlhabendem Hause: Das imposante Curhaus Cronwald ist im Besitz der Gabathulers, allerdings droht dem Familienunternehmen die Pleite. Johannas Hochzeit mit Großrat Thanner (Sven Schelker) soll die Existenz sichern – blöd nur, dass die Tochter mit einem unehelichen Kind im Bauch von ihrem freiwilligen Einsatz als Krankenschwester in einem Lazarett an der Westfront heimkehrt. Gleich nach der Geburt wird ihr das Baby weggenommen. „Du hast kein Kind, ist das klar?“, sagt ihr verwitweter Vater Peter Gabathuler (Hanspeter Müller-Drossaart) drohend. Den Platz der verstorbenen Mutter nimmt Mathilde (Anna Schinz) ein, die mit Verachtung auf ihre jüngere Schwester Johanna herabblickt und mit dem örtlichen Polizeichef Caduff (Caspar Kaeser) verheiratet ist. Die Arbeit als Krankenschwester ist für Johanna ein gewisser Trost. Aber als der künftige Ehemann verkündet, dass sie nach der Hochzeit nicht mehr arbeiten werde, denkt Johanna daran, sich das Leben zu nehmen.

Mit einem Brief der deutschen Gräfin Ilse von Hausner (Jeanette Hain) beginnt ihre Geheimdienst-Karriere: „Ich weiß, wo dein Kind ist“, schreibt die Gräfin. Um die kleine Tochter, die bei einer Pflegefamilie auf einem nahegelegenen Hof untergebracht ist, wieder in die Arme schließen zu können, ist Johanna zu allerlei gefährlichen Missionen bereit – und fähig. „Hübsch und verwöhnt, mehr nicht.“ Dieser Ansicht ist ihr designierter Gatte, der überhebliche Großrat, noch in der fünften Episode. Da täuscht er sich natürlich gewaltig, und so sind all die Abenteuer auch ein vergnüglicher Akt der Emanzipation. Johannas Affäre mit einem deutschen Soldaten an der Westfront spielt weiter keine Rolle, stattdessen ist der charmante Chirurg Dr. Mangold (David Kross) der Auserwählte für den obligatorischen Liebes-Süßstoff. Die Krankenschwester verliebt sich in den Arzt, dem sie assistiert – das ist zwar das Klischee aller Weißkittel-Serien schlechthin. Allerdings erweist sich Johanna, die bereits in der ersten Episode eigenhändig eine lebensrettende Not-OP durchführt, medizinisch auf Augenhöhe. Und schon bald stellt sich heraus, dass Dr. Mangold nicht nur ein traumatisches Kriegserlebnis zu verarbeiten hat, sondern ebenfalls als Agent unterwegs ist.

Davos 1917Foto: SRF / Degeto / Repro
Der Nebenrollen-Cast der nicht deutschsprachigen Charaktere ist überzeugend. Sehr passend: Sunnyi Melles als überkandidelte russische Prinzessin. Dagegen ist der Österreicher Cornelius Obonya als britischer General eher gewöhnungsbedürftig.

Das Curhaus Cromwald wird in der Serie zu einem zentralen Ort im Ringen der verschiedenen europäischen Mächte. Das mag historisch arg zugespitzt sein, aber das Schweizer Geschick, verschwiegene Handel zu treiben und von den Kriegen der anderen zu profitieren, ist bekanntlich nicht erfunden. In „Davos 1917“ geht es um Geschäfte mit moderner Technologie – und um russische Exilanten, die tatsächlich in dem Luftkurort so zahlreich lebten, dass dort ein Konsulat eröffnet wurde. Lenin hielt sich zwar in Zürich auf, aber die Gelegenheit, die folgenschwere Unterstützung des Deutschen Reichs für den russischen Revolutionär miteinzubeziehen, mochte sich das Autorenteam (Headwriter: Adrian Illien) nicht entgehen lassen. Zumindest in der Fiktion reist Lenin (Bozidar Kocevski) also auch nach Davos. Als historisch exakte Serie taugt „Davos 1917“ wohl nur bedingt, aber die Zeitumstände werden nicht romantisiert. So kommen neben den Klassengegensätzen – die Soldaten lagern im Keller, während sich die Lungenkranken aus den besseren Kreisen auf der Terrasse erholen – immerhin auch die kolonialistischen Verbrechen zur Sprache; dafür steht die Figur des aus dem Kongo stammenden Leibwächters Zaire Honoré (Welket Bungué).

Davos 1917Foto: SRF / Degeto / Repro
Die Liebesbeziehung ist abzusehen, doch wegen des politischen doppelten Bodens dieser Liaison zwischen Arzt (David Kross) und ambitionierter Krankenschwester (Dominique Devenport) erhöht diese Geschichte eher die Spannung, als dass sie für Kitsch-Momente sorgen würde. In dieser Serie gilt: Der Krieg wird in Beziehungs-Kämpfen ausgetragen, ähnlich wie in „Casablanca“ (für den Zweiten Weltkrieg).

Die Besetzung der internationalen Figuren gelingt freilich nicht immer überzeugend, etwa im Fall von Cornelius Obonya, der den britischen General Taylor spielt. Die einzigartige Sunnyi Melles ist dagegen in ihrer überkandidelten Divenhaftigkeit wie geschaffen für die Rolle der russischen Prinzessin Olga Belova. Allerdings steht sie im Schatten der zweiten weiblichen Hauptrolle, in der Jeanette Hain alle Register ziehen kann: als Adlige mit geheimnisvoller Aura, als raffinierte Manipulatorin und Strippenzieherin, als skrupellose, aber auch tragische Heldin. Gräfin Ilse von Hausner – eine Art Mata Hari, die Johanna für den deutschen Geheimdienst anwirbt, umgarnt und ausnutzt – ist die faszinierendste Figur der Serie, interessanter als die doch recht glatte Heldin Johanna. Jeanette Hain spielt, so scheint es, mit Genuss und Freude diese ambivalente, ebenso abstoßende wie anziehende Frau, der alles zuzutrauen ist, sogar die Beseitigung Johannas, auch wenn sie für ihren jungen Zögling wachsende Zuneigung hegt.

Manche Männer wirken in ihren Uniformen recht steif und ausstaffiert, aber Kostüme und Maske insbesondere der extravaganten Prinzessin und der wandlungsfähigen Gräfin sind ein eigenes Vergnügen. Das gilt auch für die teils opulente Inszenierung in dem Curhaus, das sich mal in einen glanzvollen Ballsaal, eine schummrige Bar oder auch in ein Musiktheater verwandeln kann. „Wir beide brauchen den Krieg. Wir sind Frauen des Krieges“, sagt die Gräfin zu Johanna in der vierten Episode, nachdem sie das Geheimnis ihrer persönlichen Herkunft gelüftet hat. Am Ende dient eine Aufführung von Mozarts „Zauberflöte“ als populärer musikalischer Rahmen für die finalen Wendungen, und nicht nur deshalb lautet der Titel der letzten Episode der ersten, aber möglicherweise nicht letzten Staffel sehr zurecht: „Königinnen der Nacht“. (Text-Stand: 30.11.2023)

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ARD Degeto, SRF

Mit Dominique Devenport, Jeanette Hain, David Kross, Anna Schinz, Hanspeter Müller-Drossaart, Sven Schelker, Thomas Prenn, Sunnyi Melles, Caspar Kaeser, Max Herbrechter, Cornelius Obonya, Pierre Siegenthaler, Ivan Shvedoff, Welket Bungué, Stipe Erceg

Kamera: Tobias Dengler, Timon Schäppi

Licht: Roman Breitwieser, Ernst Brunner

Szenenbild: Benedikt Herforth

Kostüm: Ute Paffendorf, Fred Fenner

Maske: Anette Keiser

Schnitt: Simon Gutknecht, Benjamin Fueter, Janina Gerkens

Musik: Adrian Frutiger, Marcel Vaid

Redaktion: Bettina Alber, Gabriella de Gara, Fabienne Andreoli, Christoph Pellander, Claudia Grässel, Laura Vella

Produktionsfirma: Contrast Film, Letterbox Filmproduktion

Produktion: Ivan Madeo, Stefan Eichenberger, Lisa Arndt, Andreas Knoblauch

Headautor*in: Adrian Illien

Drehbuch: Adrian Illien, Thomas Hess, Julia Penner, Michael Sauter

Regie: Jan-Eric Mack, Anca Miruna Lazarescu, Christian Theede

Quote: (1-3): 3,27 Mio. Zuschauer (12,5% MA); (4-6): 2,56 Mio. (10,2% MA)

EA: 20.12.2023 20:15 Uhr | ARD

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