Kiez-Pfarrer Stefan Book hat wieder einmal alle Hände voll zu tun. Ein lebensmüder Küster, die alte Rosi, die sterben will, aber nicht loslassen kann, eine schwangere 16-Jährige, die kurz vor der Niederkunft steht und die nach der Geburt zunächst nichts anfangen kann mit ihrem Kind. Aus Books erstem Urlaub seit neun Jahren kann trotz einer aparten Urlaubsvertretung also nicht viel werden. Spontan übernimmt der Pfarrer von St. Pauli die Privatvormundschaft für den Problem-Teenager, an dessen Schwangerschaft er nicht ganz unschuldig ist, da es auf einer von ihm betreuten Kirchenfreizeit zum folgenschweren „goldenen Schuss“ gekommen ist, was ihm auch noch eine Anzeige wegen Kuppelei einbringt. Für Books Freundin Sabine heißt das: mit diesem Helfer aus Passion zusammenziehen, auf Familie machen und die Verantwortung für drei junge Menschen mit übernehmen. Ob das man gut geht!
Der unkonventionelle Reeperbahn-Pastor Stefan Book ist zum zweiten Mal im Einsatz. „Der Hafenpastor und das graue Kind“ ist ein Sozialdrama mit sehr volksnaher Note und einer prominenten Nase. Keine Frage, Jan Fedder, zu dessen 60. Geburtstag (am 14. Januar) der Film gesendet wird, ist die halbe Miete für ein solches leichtgewichtiges Problem-Stück der unterhaltsamen Art. Die Reihe, dessen Auftakt „Der Hafenpastor“ noch mittwochs platziert wurde, passt prinzipiell zum neu ausgerichteten ARD-Freitagabend, der dringend ein paar feste Größen – sprich: Reihen – etablieren muss, um mit der ZDF-Krimikonkurrenz an diesem Tag mithalten zu können. So gut dieser unorthodoxe Pfarrer mit der etwas anderen Gemeinde auch im Ansatz als Herzstück für emotionale Geschichten aus dem Alltag ist, so gibt es an der Ausführung des nicht unoriginellen Konzepts, in dem neben den sogenannten kleinen Leuten auch psychische „Wackelkandidaten“ ihren Platz finden, allerdings einiges zu bemängeln.
Es ist vor allem die in alle Richtungen abgedichtete Dramaturgie, die dem Alltagseindruck deutlich im Weg steht. Die Handlung endet mit der Erkenntnis, dass der unverbesserliche Sozialromantiker Book auch nicht alles hinbekommen kann und etwas mehr Realitätssinn einem gelegentlich so manche bittere Erfahrung ersparen könnte (dann würde allerdings dieser Reihe ihre Existenzgrundlage entzogen); auch der Erzählweise der Geschichte würde etwas mehr (ästhetischer) Realitätssinn durchaus guttun. So wird der Ensemble-Charakter nicht wirklich genutzt, um soziale Räume auszuloten (Rotlichtmilieu, Revier Davidswache, Gemeindewesen, soziale Problemfälle); kein Charakter, kein Berufsstand bricht die Rollen-Erwartung, manchen wie Anna Brüggemanns neuer Vikarin, eine Bereicherung für die Reihe, fehlt es dramaturgisch an Eigenständigkeit und Eigen-Sinn, andere dagegen wie Uwe Bohms Rotlichtbaron fungieren ohnehin nur als Steigbügelhalter für den Plot. Prinzipiell wäre die Geschichte besser gefahren mit etwas weniger Konflikten und dafür mehr Tiefgang.
Autor Stefan Wild hätte ruhig einmal im Stile der modernen Ensemblefilme eine seiner Figurengeschichten offen (enden) lassen können. Der Zwang, alle Schicksale miteinander kurzzuschließen und alles Konfliktpotenzial in einer blauäugigen Altersmilde auflösen zu lassen, gipfelt schließlich in einem groß angelegten Finale unter der Kanzel, bei dem Leben und Tod, Jung und Alt und all die anderen gesellschaftlichen Gegensatzpaare, die die gut meinende Geschichte anreißt, harmonietrunken vereint werden. Dieser Schlusspunkt mag zwar konsequent sein, „Der Hafenpastor und das graue Kind“ bleibt so am Ende aber nur ein Film, der seine Sozialdramen in Watte packt und dem es letztlich nicht um die Themen, sondern nur um eine altmodische Form „kritischer“ Unterhaltung geht. Altmodisch im besten Sinne dagegen ist die Strahlkraft der beiden Hauptdarsteller. Grummler Jan Fedder nimmt den anrührenden Momenten jede Nähe zum Kitsch, und Margarita Broich als des Pastors Herzblatt besitzt genau die Vitalität, die man sich noch von einigen anderen Protagonisten erhofft hätte. Die Schauspielerin, die auch in harter, dramatischer Gangart zu überzeugen weiß, hat das Zeug zur Volksschauspielerin. Man darf gespannt sein, welchen Typus Frau und was für eine Ermittlerin sie im künftigen „Tatort“ aus Frankfurt spielen wird. „Hafenpastor“ Jan Fedder wird wie gehabt weiter im „Großstadtrevier“ seine Runden drehen. (Text-Stand: 12.12.2014)