Droht dem Planeten ein Ungemach, dem ein Einzelner nicht gewachsen ist, tun sich in Comics und deren Verfilmungen die Heldinnen und Helden zusammen, um die Bedrohung abzuwenden. Das „Märchen von der silbernen Brücke“ überträgt das Konzept in die Welt der Gebrüder Grimm: Als ein Märchenbuch zu Boden fällt, purzeln nacheinander Schneewittchen, Rotkäppchen und Rumpelstilzchen heraus. Zwei weitere finstere Gestalten entpuppen sich später als die Hexe aus „Hänsel und Gretel“ sowie die Titelfigur der Geschichte vom „Teufel mit den drei goldenen Haaren“. Dieses illustre Quintett und mit ihm die gesamte Märchenwelt schwebt in großer Gefahr, denn das dicke Ende naht, und das ist nicht so witzig, wie es klingt: „Dickes Ende“ ist der Name eines Riesen, der nichts anderes im Sinn hat, als sich das Buch einzuverleiben, damit alle Märchen und mit ihnen die Figuren in Vergessenheit geraten. Deren Rettung liegt nun in den Händen zweier Bäckerkinder: Wenn es ihnen gelingt, über eine silberne Brücke in den Märchenwald zu gelangen und dort das Rad der Zeit zu finden, können sie die Märchen zu neuem Leben erwecken.
Das Drehbuch von Enrico Wolf basiert auf Motiven des Buchs „Die Silberne Brücke“. In dem bereits 1937 als Theaterstück verfassten, aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg uraufgeführten Drama von Hertha Vogel-Voll müssen die beiden Kinder Rose und Heinrich eine blaue Blume suchen, um zu verhindern, dass die Herzen der Menschen versteinern. Die Version von Wolf, der als Autor unter anderem am herausragenden „Märchen vom goldenen Taler“ (2020, auch vom RBB) beteiligt war, ist ungleich witziger, weil zwei Nebenfiguren allen anderen die Show stehlen: Abgesehen von der Kernidee ist der 57. Beitrag zur ARD-Reihe „Sechs auf einen Streich“ schon allein wegen Christina Große als Hexe und Detlev Buck als Teufel das Einschalten wert. Die Dialoge dieses großmäuligen Duos, dessen Hexereien und Teufeleien regelmäßig im Ansatz einer großen Geste stecken bleiben, sind pure romantische Komödie. Das Kostümbild hat hier ganze Arbeit geleistet, beide sind kaum zu erkennen; Bucks Maskerade würde jeder alemannischen Fastnacht zur Ehre gereichen.
Johanna Gastdorf ist dagegen als „Liebegüte“, Hüterin des vor lauter Sand im Getriebe kräftig knirschenden Zeitrads, eine typische Märchenfigur, die dauernd wichtige Weisheiten zum Besten gibt: „Nur das Miteinander hält die Welt zusammen.“ Ihre bittere Erkenntnis „Niemand hat mehr Zeit, niemand hört mehr zu, jeder ist nur noch mit sich selbst beschäftigt“ gibt der Geschichte ihren Bezug zur Gegenwart: Die Eltern (Peter Schneider, Luise Wolfram) von Rose und Heinrich müssen jeden Tag hundert Brote verkaufen, um über die Runden zu kommen. Schneewittchen, Rotkäppchen und Rumpelstilzchen streiten sich zwar auch mal darüber, wer wohl prominenter ist, machen sich aber immerhin in der Backstube nützlich.
Etwas enttäuschend ist allerdings das „Dicke Ende“: Der Gigant erinnert physiognomisch an Samson aus der „Sesamstraße“ und ist viel zu harmlos, um für Nervenkitzel zu sorgen. Den visuellen Effekten ist anzusehen, dass das Budget nicht reichte, um Wolfs Visionen Wirklichkeit werden zu lassen. Für die hörenswerte Filmmusik (Marian Lux), die stellenweise an John Williams’ Kompositionen zu den Familienfilmen aus Steven Spielbergs Produktionsfirma Amblin Entertainment erinnert, gilt das ähnlich: Mit einem echten Orchester aufgenommen wäre sie noch imposanter. Auch die eher tempoarme Umsetzung fällt nicht weiter aus dem Rahmen. Cüneyt Kaya hat zuletzt als Autor und Regisseur an Bucks Serie „German Genius“ (2023, Warner TV) mitgewirkt und mehrere Folgen für Marvin Krens knallharte Gangster-Serie „Crooks“ (2024, Netflix) gedreht. Das „Märchen vom goldenen Taler“ hat er ebenfalls inszeniert, aber an diese Qualität reicht das „Märchen von der silbernen Brücke“ nicht heran. Und selbst wenn es „old school“ sein mag: Modernismen wie „Alles gut bei euch?“ haben in einem Märchenfilm nichts zu suchen. Zum Ausgleich erfreuen Hexe und Teufel mit witzigen Wortschöpfungen wie „Fratzengewitter“.