Alles deutet auf einen eiskalten Brudermord im Clanmilieu hin, doch der Fall erhält eine überraschende Wendung: In knapp neunzig packenden Minuten erzählt der neue Wiener „Tatort – Azra“ (ORF / e&a Film) die Geschichte einer jungen V-Frau, tough, frech, mutig, die Beweise für die Tat liefern will und mit Hilfe von Moritz Eisner einen gefährlichen Alleingang startet. Punktgenaue Dialoge (Autorin: Sarah Wassermair), eine gut temperierte Inszenierung (Regie: Dominik Hartl) und eine Hauptfigur, körperlich und ausdrucksstark gespielt von Mariam Hage, die einen emotional mitnimmt: „Azra“ ist ein starker, dicht erzählter „Tatort“, der das Wiener Duo am Ende in einen tiefen Konflikt stürzt. Wofür sollen sie sich entscheiden: Recht oder Gerechtigkeit?
Es ist der ungewöhnlichste und wohl auch gewöhnungsbedürftigste Film in der 46-jährigen Geschichte der ARD-Vorzeige-Reihe: Der „Tatort – Babbeldasch“ ist komplett improvisiert und das Ensemble besteht größtenteils aus Amateuren, nämlich den Mitgliedern des Ludwigshafener Laientheaters Hemshofschachtel. Regisseur Axel Ranisch ist bekannt dafür, dass er stets ohne Drehbuch arbeitet. Auch hier. So ist alles anders bei diesem “Tatort“ aus Ludwigshafen. Nur die Ermittler-Crew um Ulrike Folkerts ist geblieben. Ein mutiges, interessantes Experiment, das man aber nur phasenweise als gelungen bezeichnen kann.
Mit „Bauernsterben“ (ORF, Graf Film) hat Sabine Derflinger ihren dritten „Tatort-Krimi“ mit dem Duo Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser inszeniert. Der dreht mal wieder am großen Rad. Autor Lukas Sturm greift in seiner klassischen Whodunit-Geschichte die gesellschaftspolitische Frage auf: Wie ernähren wir uns in Zukunft und was ist uns das wert? Es geht um einen Mord an einem Schweinezüchter, den Überlebenskampf österreichischer Bauern, den Kampf der Jungen um die Zukunft auf einem lebbaren Planeten, Auswirkungen eines grenzenlosen Kapitalismus und mafiöse Strukturen in der EU. Viel drin, zuweilen zu viel. So kommt die Leichtigkeit, die die Ösi-„Tatorte“ für gewöhnlich auszeichnen, etwas zu kurz. Dafür ist dieses engagierte ländliche Whodunit-Krimi-Drama kraftvoll inszeniert.
Seit 25 Jahren geht Lena Odenthal in und um Ludwigshafen auf Mörderjagd. Zum Jubiläum löst sie ihren 60. Fall. An ihrer Seite eine junge, taffe Spezialistin für operative Fallanalyse beim LKA (Top-Einstand für Lisa Bitter). Gemeinsam soll das unfreiwillige Duo den Mord an einem Mann nach Verabreichung von K.o.-Tropfen klären. Die versierten Autoren Eva und Volker A. Zahn haben der Kommissarin zum Jubiläum einen wendungsreichen und clever konstruierten Fall auf den Leib geschrieben. Doch der „Tatort: Blackout“ ist mehr als nur ein Krimi: Er ist ein Solo für Odenthal, die auf dem Weg sein könnte, sich neu zu erfinden.
Die Leipzig-Cops auf der Zielgerade: Im 20. und vorletzten Einsatz bekommen es Saalfeld & Keppler mit einem geheimnisvollen Maskenmann zu tun, der eine blutige Spur hinterlässt. Da bleibt es nicht bei einer Leiche. Stefan Kornatz zeichnet für Buch und Regie verantwortlich, erzählt radikal und filmisch ansprechend eine Familientragödie. Doch Thomalla und Wuttke bleiben in ihren Rollen weiter starr verhaftet; so gibt es nicht viel Neues aus dem Osten.
Explosiv geht es zu im neuen Köln-„Tatort – Bombengeschäft“ (WDR / Bavaria Fiction): Ein Sprengmeister fliegt in die Luft. Ballauf & Schenk entdecken schnell, dass es kein Unfall war. Als klassischen Whodunit-Krimi erzählt Thomas Stiller die Story. Es gibt die üblichen Motive – Eifersucht, Streit, Habgier, Rache – und Verdächtige werden der Reihe nach „abgearbeitet“, bis am Ende nur noch einer übrig bleibt. Das ist nicht sonderlich spannend, große Wendungen oder Überraschungen bleiben aus, die Figuren haben wenig Anschlussfähigkeit. Dass Stiller bei der Inszenierung nicht nur auf die klassische Perspektive setzt, verleiht dem Krimi durchaus ein wenig Frische, kann die konstruierte Story aber nicht genügend aufpeppen.
Der Bremen-„Tatort – Brüder“ ist eine Gratwanderung. Die Autoren Wilfried Huismann und Dagmar Gabler spielen mit einem komplexen und beängstigenden Thema: der Angst vor der Übermacht arabischer Großfamilien auf den deutschen Staat. Ein schwieriger Balanceakt zwischen political correctness, Beschäftigung mit Vorurteilen und gesellschaftlicher Realität. Der Film von „Tatort“-Experte Florian Baxmeyer besitzt Spannung, Tempo, Emotionen, Action, aber in der Umsetzung auch (zu) viele Klischees. Dennoch: sehenswert!
Ermittlungen auf zwei Ebenen, und diese liegen sage und schreibe 166 Jahre auseinander: Der „Tatort – Château Mort“ bietet eine kriminalistische Geschichtsstunde, eine kleine Weinkunde und den wohl am weitesten zurückliegenden Mord in der „Tatort“-Geschichte. Doch auch wenn die Fälle durchaus interessant verschachtelt sind, aus seiner Betulichkeit und Blutleere kommt der „Tatort“ vom Bodensee nicht heraus. Der Countdown für Kommissarin Blum und Kollege Perlmann, Mattes & Bezzel, läuft: noch drei weitere Fälle, dann ist Schluss.
Eine junge Mutter, Hartz-IV-Empfängerin, wird ermordet, der Täter steckt in einem Weihnachtsmann-Kostüm. Der „Tatort – Cote d‘Azur“ ist ein warmherziger Sozialkrimi ohne falsche Zwischentöne. Wolfgang Stauch bietet dem Zuschauer einen klassischen Whodunit und mehr noch: Er erzählt von Menschen am Rande der Gesellschaft, jeder mit einer ganz eigenen Geschichte – ganz unten angekommen, in einer Obdachlosen-Barracke namens „Cote d‘Azur“. Der Autor arbeitet zum sechsten Mal mit Regisseur Ed Herzog zusammen. Das Ergebnis ist wie immer sehenswert: konzentriert erzählt, stimmig besetzt, spannend!
Der „Tatort: Geburtstagskind“ ist weniger Krimi denn intensives Familiendrama um einen religiösen Fanatiker, eine zerbrochene Frau und einen ermordeten Teenager. Dicht erzählt & unaufgeregt inszeniert von Tobias Ineichen. Auch Stefan Gubser und Delia Mayer finden immer besser zusammen. Doch die Nebenfiguren und vor allem auch die Dialoge sind Fernsehen mit Ansage. So wird der Geschichte jegliches Geheimnis genommen und auch was das Thema „übersteigerter Glauben“ angeht – so richtig packen will das Ganze nicht!
Ab geht’s ins okkulte Wien. Im neuen „Tatort — Das Tor zur Hölle“ (ORF, Film 27) ermitteln Moritz Eisner und Bibi Fellner im Grenzbereich zwischen Spiritualität, Fakten und irdisch-menschlichen Interessen. Es geht um den Tod eines katholischen Priesters, der ein Amulett mit Satanssymbol bei sich trug, eine Teufelsaustreibung und Menschen, die für paranormale Aktivitäten empfänglich sind. Thomas Roth, Krimi-erfahrener Autor und Regisseur, hat daraus einen stilsicheren Exorzismus-„Tatort“ gemacht – durchweg spooky, in den Dialogen diesmal nur behutsam witzig, aber spannend bis zum überraschenden Showdown.
Der BR-“Tatort: Das verkaufte Lächeln“ beschäftigt sich mit den brisanten Fragen: Wie kann man Jugendliche vor Gefahren durch das Internet schützen, wenn diese überhaupt nicht beschützt werden wollen? Wie bekommen Eltern noch mit, was die Teenager im Netz treiben? Drumherum hat Autor Holger Joos ein spannendes Mörderpuzzle gebaut, schickt die Kommissare Batic und Leitmayr in eine Welt, in der sie phasenweise wie Ermittler-Dinos wirken. Manchmal ist auch der erhobene Zeigefinger zu sehen in diesem Krimi über Cybercrime und körperliche Verführkraft Jugendlicher mittels moderner Technik.
Sie drehen gerne am ganz großen Rad – die ORF-Kommissare Moritz Eisner und Bibi Fellner. In neuen „Tatort – Deckname Kidon“ bekommen es die beiden mit Mord, Korruption, mit internationalem Kerntechnologiehandel & einer Spezialeinheit des israelischen Geheimdienstes zu tun. Ein inhaltlich engagiertes Thema, ein realer Hintergrund, eine moderne Bildsprache und mit Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer ein rot-weiß-rotes, Grimme-Preis-gekröntes Ermittler-Duo – unkonventionell, glänzend im Zusammenspiel & mit saftigen Dialogen.
Seit 25 Jahren spielt Harald Krassnitzer den Oberstleutnant Moritz Eisner. Zu seinem Jubiläum wird er auf einen wahren Horrortrip geschickt. Im „Tatort – Dein Verlust“ (ORF / Epo-Film) hat der Ermittler einen Filmriss, wird angeschossen und des Mordes beschuldigt. Seine Kollegin und Seelenverwandte Bibi Fellner versucht, seine Unschuld zu beweisen und muss bald feststellen, dass sie tiefer in dem Fall steckt, als sie glaubt. Katharina Mückstein ist bei ihrem „Tatort“-Debüt eine äußerst sensible und eindringliche Regiearbeit gelungen, klug leuchtet sie die Tiefen ihrer Hauptfiguren aus. Ein emotional wuchtiger Krimi um den Zusammenhalt der Kommissare, um Vertrauen und die Zweifel daran. Ein emotional wuchtiges Krimi-Drama, das zu einem Klassiker der Reihe werden könnte!
„Tatort“ meets Rap: In ihrem 34. gemeinsamen Fall blicken Fellner & Eisner hinter die Fassade der Wiener Hip-Hop-Szene. Zwei Stars bekriegen sich auf der Bühne mit handfesten Drohungen, der eine wird erschlagen, der andere gerät prompt unter Verdacht. Doch in dieser Welt, in der es um viel Geld geht, mischen auch noch andere mit. Die frühere Musik-Journalistin Mirjam Unger hat den „Tatort – Deine Mutter“ (ORF / Cult Film) gedreht, sie weiß, Milieu und die Protagonisten klischeefrei in Szene zu setzen, findet eine gute Balance zwischen Authentizität und Wiener-„Tatort“-Flair. Neben Indie-Musikstar Aleksandar Simonovski aka „Yugo”, geben die Ösi-Rapperin Kiara Hollatko aka KeKe und der Deutsch-Rapper Frayo 47 ihr Schauspieldebüt. Und schließlich rappen sogar die Kommissare.
Sommer in Ludwigshafen, im Späti-Laden ist viel los, dann ist der Besitzer tot. Autor und Regisseur Martin Eigler bittet im „Tatort – Der böse König“ Odenthal und Stern zum Psycho-Duell mit einer narzisstischen Persönlichkeit. Für Kommissarin Stern kommt es knüppeldick, der Mann baggert sie auch noch an und taucht bei ihr zu Hause auf. Der „Tatort“-erfahrene Eigler hat eine etwas zu verkopfte Story kreiiert, die wenig stimmig, eher sprunghaft wirkt. Christopher Schärf als Antoine spielt überzeugend, doch das Wechselspiel zwischen Ermittlerinnen und Verdächtigem funktioniert nicht sonderlich gut. Die konventionell agierenden Kommissarinnen sind keine Figuren auf Augenhöhe mit dem „bösen König“.
„Uf Wiederluege“ heißt es für Reto Flückiger und Liz Ritschard. 16 Fälle löste das Luzerner Kommissar-Duo gemeinsam, Reto einen allein, denn in der ersten Folge ermittelte er noch ohne seine Kollegin. Die Schweizer Krimis waren nicht unumstritten, behäbig, hölzern, schlecht synchronisiert – das waren die Hauptkritikpunkte. Das gilt leider auch teilweise für den letzten Fall, den „Tatort – Der Elefant im Raum“ (SRF / Turnus Film). Die plakative Story um Waffengeschäfte und sensationshungrige Medien sowie die Erklär- und Belehr-Dialoge führen dazu, dass der Abschied trotz des Duos Gubser/Mayer nicht sonderlich schwerfällt. 2020 kommt der Schweizer „Tatort“ dann aus Zürich.
Achter und letzter Einsatz für Kommissar Jens Stellbrink. Devid Striesow mag nicht mehr – und so endet sein sechsjähriges Intermezzo als TV-Ermittler im Saarland. Nach dem missglückten Einstieg und zahlreichen Korrekturen hat die Figur Stellbrink zum Ende mehr und mehr Kontur bekommen; sie wirkt geerdet. Und so verabschiedet sich der Kommissar auch gänzlich unspektakulär. Der „Tatort – Der Pakt“ (SR / ProSaar Medienproduktion) ist ein klassischer Ermittler-Krimi, klar und unaufgeregt erzählt und inszeniert. Grundsolide Fernseh-Unterhaltung mit einem intensiven Finale, das noch länger nachwirken dürfte.
Ein glänzender Armin Rohde, ein starkes Ensemble mit weiteren Top-Schauspielgästen (Ludwig Trepte & Alice Dwyer) an seiner Seite, Zuwachs fürs Ermittlerteam und eine Mischung aus Gangsterfilm und Vater-Sohn-Drama: der „Tatort – Dicker als Wasser“ von Kaspar Heidelbach & Norbert Ehry hat viel zu bieten. Und Freddy verrennt sich wieder.
Jubiläum für Harald Krassnitzer: Im “Tatort – Die Amme“ (ORF / Prisma Film) schlüpft der Schauspieler zum 50. Mal in die Rolle des meist mürrischen Ermittlers Moritz Eisner. Gibt es bei der Verbrecherjagd in und um Wien meist auch etwas zum Schmunzeln, so ist diesmal nix mit Schmäh und Spaß, ernst und hart ist der neue Fall: Moritz und Bibi, die schlaflos durch die Nacht irrt, tauchen in finstere Psychopathen-Abgründe, jagen einen Frauenmörder und Kindesentführer. Ein schaurig-intensiver Psycho-Krimi von Christopher Schier.