Jetzt hat die „Tatort“-Reihe auch ihren Zeitschleifen-Film: In „Murot und das Murmeltier“ (Hessischer Rundfunk) meistert Ulrich Tukur die fantastische Achterbahnfahrt durch ein und denselben Tag mit Bravour. Kommissar Murot stirbt mehrfach und wacht am selben Tag wieder auf, sein Schicksal ist eng verbunden mit einem Bankräuber, der gemeinsam mit seiner Freundin Geiseln genommen hat. Der zweite „Tatort“ von Dietrich Brüggemann (Buch, Regie, Musik) nach „Stau“ ist ein wilder Ritt, komisch, grotesk, hintersinnig. Die Variation der Todesarten gehört zum Vergnügen. Eine herrlich verspielte Reflektion über das Fernsehen, das selbst eine Art Zeitschleife ist. Aber auch ein ernst gemeinter Krimi über den Verdruss der Alltags-Routine mit der sympathischen Botschaft: „Jeder Tag ist ein Geschenk“.
Unkonventionelle Heldin, Überraschungen in der Krimihandlung, Dialoge zum Mitschreiben und Mitschmunzeln, eine Besetzung zum Niederknien und eine trotz umstrittener Islam-Thematik federleichte Tonart… “Kottan“ lässt schön grüßen. Wie bei Peter Patzaks Kultserie bleibt auch beim „Zwerg im Schließfach“ von einem Krimi nicht mehr sehr viel übrig. Und das ist gut so. Ein Reihen-Krimi-Highlight der 00er Jahre. Eine Sat-1-Produktion!!!
„Das Schweigen der Esel“ (Arte / Superfilm) ist mehr als ein „Landkrimi“. Die Fortsetzung von „Das letzte Problem“ (2019) spielt zwar auf dem Land, im österreichischen Vorarlberg, und es geht um Mord, doch auf den zweiten Blick ist der Film ein im doppelten Sinne fantastisches Werk, weil es mit doppeltem Boden arbeitet, vor Ideen nur so sprudelt und einen mit Lust und Wucht in die Irre führt. Beim Fernsehkrimi-Festival 2023 war dieses raffinierte und kluge Spiel mit dem Zuschauer der große Abräumer: Hauptpreis für Karl Markovics und Sonderpreis als beste Darstellerin an Julia Koch. Markovics hat nicht nur dieses wunderbare Drehbuch geschrieben, er führt eigenwillig und einfallsreich Regie und ist als bärtiger Griesgram Horak auch das Gesicht dieses Films um mysteriöse Morde, die stets in magischer Verbindung stehen mit den Tieren aus dem Märchen der Bremer Stadtmusikanten.
„Der Knochenmann“ ist die dritte Wolf-Haas-Romanverfilmung um den sonderbaren Privatdetektiv Brenner. Wieder hat sich das Dream-Trio Hader, Haas, Murnberger zusammengefunden. Bierbichler gibt den Hendlmann mit dem Hackebeil und die Knochenmahlmaschine kriegt viel zu tun. Da wird die Küche zum Mordwerkzeug, der Kühlraum zum Hobbykeller. Ein Fest für Freunde des Grotesken. Nachhilfestunde für deutsche Krimikomödienmacher (aus der Gegend um Münster) & Coen-Brüder-Fans!
So fantasievoll und unberechenbar wie in „Goster“ geht es selten zu im deutschen Fernsehen: Der verschrobene Frankfurter Kommissar Goster & seine zeichnerisch begabte Kollegin Klost werden mit einer verrückten Verbrechensserie konfrontiert. Schießwütige Waffen machen sich selbständig, Menschen treffen sich zum „Break-in-Sex“ in fremden Wohnungen. Didi Danquart inszeniert mit vielen Animationen eine Film-Realität, die nicht realistisch sein will. Gewalt und Sex als Comic, garniert mit philosophischen Dialogen, ein existenzialistischer Schabernack, lässig & ironisch statt intellektuell belehrend. Cathomas & Riedler sind ein wunderbares Duo. Es mangelt ja nicht an Krimis, aber für „Goster“ gilt: bitte mehr!
Der kriminelle Ex seiner Freundin zwingt einen freundlichen Heilpraktiker in eine ihm fremde Welt – und plötzlich ist auch für ihn ein physische Gewalt nichts Außergewöhnliches mehr. „Riskante Patienten“ ist eine rabenschwarze Komödie von Daniel Nocke und Stefan Krohmer. Die Ausgangsidee verfängt wunderbar, weil die Bedrohung sehr real und physisch spürbar wird. Gewiss, die Coen-Brüder standen Pate – dramaturgisch aber, gerade was die Austarierung von Nähe und Distanz, Identifikation und Spiel, TV-Realismus und Genre-Parodie angeht, braucht dieser perfekte TV-Film solche Kino-Referenzen nicht!
Der Titel dieser „Tatort“-Episode des HR verweist auf traditionelle bürgerliche Küche, aber in Wahrheit ist „Falscher Hase“ eine Delikatesse: komisch und grotesk, liebevoll gestaltet und ausgestattet, voller aberwitziger, hinreißender Figuren und abgedrehter Dialoge. Der Cast ist bis in die kleinen Nebenrollen (Johanna Wokalek, Thorsten Merten) superb besetzt. Insbesondere brilliert in diesem komödiantischen Fest Katharina Marie Schubert als liebevolle Gattin, besorgte Unternehmerin und todsichere Schützin. Die preisgekrönte Regisseurin Emily Atef („Drei Tage in Quibéron“) zitiert in ihrem ersten „Tatort“ den Stil der Coen-Brüder. Das mag zwar grundsätzlich nicht mehr besonders originell sein, ein spannendes, zwischen Krimi, Groteske & Tragikomödie gut ausbalanciertes Vergnügen ist „Falscher Hase“ aber doch.
Ulrich Tukur unter Mordverdacht! Nach der Groteske „Das Dorf“ und der Italo-Western-Shakespeare-Oper „Im Schmerz geboren“ mit ihrer ästhetischen Ironie überrascht nun „Wer bin ich?“ durch seine komödiantische Film-im-Film-Konstruktion. Der „Tatort“ von Bastian Günther ist formal eine Mixtur aus Krimi, Komödie & Tragödie. Der Held, der Schauspieler Tukur, ist vereinsamt, verzweifelt und dann verdünnisiert sich auch noch seine Figur. Die Folge: So existentiell nackt begegnete einem der sonst immer noch ein ironisches Schlupfloch findende Schauspieler selten einmal. Das ist gewöhnungsbedürftig. Umso direkter auf den Schmunzelnerv drücken die selbstreferentielle Ironie & die „Tatort“-Stars als sie selber!
Während „Und alles wegen Mama“ (1998), eine Ausnahme-Komödie mit dem Zeug zum Kultfilm, zur Archivleiche verkommen ist, legen nun das Autoren-Duo Einrauch/Kurzawa sowie Regisseurin Hermine Huntgeburth mit „Tödliches Comeback“ (NDR / Josefine Filmproduktion) eine ähnlich gut geschriebene und vorzüglich inszenierte Komödie um eine weitere „Familie“ vor, die mit dem Gesetz in Konflikt gerät. Die Geschichte hat ein prima Tempo, Szenen und Spiel besitzen ein perfektes Timing, und die Beiläufigkeit der Komik ist ein gelungener Kontrast zur deutlich schrägen Personnage. Jede noch so randständig wirkende Figur bringt eine besondere Note ins Spiel – und der jeweilige Darsteller des Top-Ensembles verleiht ihr Klasse. Außergewöhnlich sind auch Fischerkoesens Kameraarbeit, der grummelige Indie-Score, ja sogar die Schauspieler sind recht gut bei Stimme in dieser Komödie mit Gesangs- & Krimibeilage. Und aus alldem ergibt sich ein exzellenter Flow.
„Der Name der Nelke“ (1994) ist die beste Episode der ersten Staffel der Krimikult-Reihe „Alles außer Mord“. Der Film ist die Gesellenprüfung von Regisseur Roland Suso Richter und enthält alles, was die Reihe auszeichnet: Witz und Coolness, ein spielfreudiges Duo und eine Top-Besetzung (Peter Fitz, Kowalski, Knaup, Flint), Sinn fürs Detail und viel Atmosphäre. Und er besitzt mehr – vor allem filmästhetische Klasse, die die Reihe zum Mitbegründer einer „neuen“ Fernsehfilmsprache mit einer realistischeren Ausleuchtungspolitik gemacht hat!
Dieser Mann ist ein Anachronismus in der durchgetakteten, schnelllebigen Fernsehzeit. Das gilt auch für die Inszenierung. Und das seit dem ersten Film der Reihe im Jahr 2002. Gendarm ist Simon Polt längst nicht mehr, das hat er in Episode 4 bereits aufgeben. Ein bisschen Wein keltern und das kleine Kaufhaus führen – das sind seine Beschäftigungen. Aber sein Rat ist noch immer gefragt – auch bei der Polizei. Alfred Komarek hat seiner Figur einen Abschied geschrieben: „Alt, aber Polt“ (ORF/Arte / epo-Film) heißt er. Wieder hat Julian Roman Pölsler die Vorlage in ein Drehbuch gegossen und einen wunderbaren Film daraus gemacht
Ein Filmproduzent ist während einer Probe zu Tode gekommen. Jeder im Team kann es gewesen sein. Sascha Arangos Dekonstruktion einer klassischen Krimi-Reihe ist eine Fundgrube verdrehten Humors: Alles geht hier (auch beziehungstechnisch) ziemlich durcheinander. Ermittlung ist Intuition, ein bisschen Transpiration und eine Menge Zufall. „Eva Blond“ ist weniger Krimi als Genreparodie – verspielt, selbstironisch, schräg.
Bei dem ARD-Schmankerl „Dampfnudelblues“ ist der Krimi nur Vorwand um ein bisschen Handlung in dieses von kauzig-schrulligen Charakteren bevölkertes Kuriositäten-Kabinett zu bringen. Schräge Situationen, Dialoge mit feinem Understatement, schwarzhumoriger Witz dominieren. Eigenheiten, Marotten und Süchte halten die Menschen in der niederbayerischen Pampa am Leben. Das Skurrile obsiegt über das Klischee, lässiger Rhythmus über das Nummern-Revuehafte. Sebastian Bezzel und Simon Schwarz sind umwerfend komisch!
Draußen tobt der Schneesturm, drinnen im Ferienhotel wird gemordet: Ein kniffliges Krimi-Kammerspiel hat Starautor Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) in seinem ersten Film-Drehbuch erdacht. „Das letzte Problem“ (Arte / Superfilm) soll der wunderbare Karl Markovics als Wiener BKA-Kommissar Horak lösen. Der österreichische Mime spielt aber nicht nur die Hauptrolle, er führt auch erstmals in einem ORF-„Landkrimi“ Regie. Was als Whodunit-Krimi beginnt, der Erinnerungen an große Agatha-Christie-Mörderpuzzle weckt, wird zur schrägen Mischung aus Krimikomödie und Schizo-Drama mit grotesk-überhöhten Situationen, einem Schuss Ironie, viel Atmosphäre und reichlich Spannung.
Kommissar Kluftinger ermittelt in und um Kempten. Im Allgäu da mordet es sich lustig – und da tötet man gerne mal nach alten Sagen. Diese urige, charakterstarke Kriminalkomödie ist ein seltenes Musterbeispiel für ein anderes Genreerzählen. Wann legte sich zuletzt bei einem Krimi ein solch wohliges Dauerschmunzeln auf die Wangen des Betrachters?!
Skrupellose Gangster auf der Jagd nach einer wertvollen Formel und ein philosophisches Dilemma: Das ruhige Leben des stoischen Kleinstadt-Polizisten Frank Koops (wunderbar: Aljoscha Stadelmann) wird in der ARD-Krimireihe „Harter Brocken“ (H&V Entertainment) zum vierten Mal gestört. In der Folge „Geheimcode“ wird das beschauliche St. Andreasberg im Harz zum Schauplatz einer ebenso wilden wie originellen Thrillerkomödie um den letzten Willen eines Molekular-Biologen. Drei Personen, die sich nicht kennen, werden posthum von dem Wissenschaftler in den Ort bestellt, um zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Schriftstück mit einer bahnbrechenden medizinischen Formel entgegen zu nehmen. Hinter der ist freilich auch ein eiskalter Auftragskiller her. Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt verzichtet auf puren Realismus und penible Krimi-Logik und unterhält stattdessen bestens mit Tempo, Witz, sympathischen Typen und ein wenig philosophischem Tiefgang.
Nicht nur für Fußball-Fans ist der elfte Film der etwas anderen – etwas schrägeren, etwas weniger realistischen – ZDF-Krimi-Reihe „München Mord“ (TV60 Filmproduktion) ein besonders großes Vergnügen. Am Samstagnachmittag, direkt nach dem Drittliga-Spiel der „Blauen“ kommt ein Fan zu Tode, ertränkt in einem Blumenkübel. Das Autorenduo Friedrich Ani und Ina Jung hat in „Ausnahmezustand“, ihrem sechsten Buch für die Reihe, reichlich Münchner Lokalkolorit, Alltagskultur und Lebensart eingeflochten. Zwischen Stadion und Straße, zwischen Fleischer und Frisiersalon, zwischen Getränkemarkt und Kneipe – alles wirkt authentisch: wie ein Bad in der bayerischen Menge in Vor-Corona-Zeiten. Befragungen sind hier noch absurder als in anderen Episoden, und der Alkoholpegel lässt die bayerische Ursuppe hochkochen. Da sitzt der Krimi auf die Ersatzbank. Schad nix, im Gegenteil!
Turbulente Nacht für die Hamburger Polizei in der Comedy-Szene: Erst will Star-Comedian Jacky Herbst mit seinem Ferrari Opfer eines Sniper-Angriffs geworden sein, dann wird sein Gag-Schreiber erschossen aufgefunden. „Ladies First“ besticht durch Tempo, Witz und die kluge Idee, dass die Comedians und ihre Pointen hier am wenigsten lustig sind. Wie gewohnt bietet Autor und Regisseur Lars Becker in seiner „Nachtschicht“ originelle Typen, klasse Dialoge und ein erlesenes Ensemble (Jürgen Vogel, Nora von Waldstätten, Henry Hübchen) auf. Hinzu kommt das traditionsreiche St. Pauli Theater als prächtige Kulisse. Die Geschichte ist ein wenig unübersichtlich, nicht immer schlüssig, dafür aber wunderbar überdreht!
In Sachen Genre-Variation, Tonlagen-Vielfalt und Einfallsreichtum ist „Nord bei Nordwest“ fast immer Spitze; „Die letzte Fähre“ (ARD / triple pictures) ist es ganz besonders. Nachdem ein Mörder Hauke Jacobs in die Brust geschossen hat und die Kollegin zurückfeuerte, liegen beide Männer im Koma – und Schwanitz steht in der Wahrnehmung des Polizisten Kopf. Alle im Ort haben ihre Identitäten gewechselt. Wagner ist Tierärztin, Jule Polizistin, Töteberg Kriminaltechniker, Puttkammer Gastronom und Frau Bleckmann macht auf Mehmet Ösker, ist bald allerdings mausetot. Alle, die Hauke Jacobs kennen und mögen, schweben in akuter Lebensgefahr. Und so entwickelt sich die 23. Episode der Reihe von einer Krimi-Groteske zu einem bizarren Totentanz. Allerdings ist dieser Film aus der Zwischenwelt ungleich leichter zugänglich und auch die Wechselbäder der Gefühle und Tonlagen besser goutierbar als die philosophischen Tukur-„Tatort“-Experimente. „Die letzte Fähre“ ist kein Kopfkino, sondern wirkt direkt, unmittelbar, emotional. Ein wunderbares „Dazwischen“-Werk, das das herkömmliche Krimi-Reihen-TV mit den modernen Formen des Erzählens versöhnt.
Ein Rauhaardackel trägt stolz einen Finger Gassi. Der wurde nicht abgerissen, sondern abgebissen – von einer Sau. Ermittlungsarbeit ist schwere Arbeit, von Stall zu Stall, von Bissspur zu Bissspur. Selten machte es mehr Spaß, unzufriedenen Menschen bei der sinnlosen Arbeit zuzuschauen als in Max Färberböcks Provinzkrimi „Sau Nummer vier“ und noch nie war Ermittlungsleerlauf so sexy. Nicht sexy sexy, sondern niederbayerisch sexy.