Wie man mit frei erfundenen Neukunden an der Börse Kasse machen kann, wie die Sache mit den Leerverkäufen oder dem „Shorten“, dem Reihbachmachen mit den Börsenverlusten anderer, funktioniert, das bekommt man in der deutschen Serien-Satire „King of Stonks“ (Netflix / btf) opulent selbstreferentiell & popkulturell unterhaltsam präsentiert – in sechs dramaturgisch gut strukturierten, tempo- und informationsreichen, aber nie verwirrenden oder gar belehrenden Folgen. Die Geschichte lehnt sich an den Aufstieg und Fall des Digitalbezahl-Startups Wirecard an, das schnell zur großen Hoffnung für den Digitalstandort Deutschland avancierte. Aus der Börsenrakete wurde ein Betrugsskandal, ein Milliardengrab. Da Headautor Philipp Käßbohrer sich nicht am realen Fall entlanghangelt, gelingt dieser herausragenden Serie eine universale bitterböse Abrechnung mit einer perversen Branche – und sie ist dadurch noch verspielter und komischer, noch origineller und überraschender als die dieses Jahr Grimme-Preis-gekrönte Sky-Serie „Die Ibiza-Affäre“. Und Matthias Brandt brilliert – als größenwahnsinniger Narzisst mit Kunstgebiss und Bräunungscreme.
Aus der vermeintlichen sozialsatirischen Zeitgeist-Komödie ist über die Jahre ein Lehrstück über menschliche Dekadenz & zynische Medienmacht geworden. „Kir Royal“ schafft Minaturen der Comédie humaine und die Serie ist nicht deshalb ein Klassiker, weil sie 1986 den Grimme-Preis bekam, sondern weil sie jedem Jahrzehnt eine etwas andere Lesart ermöglicht: eine gesellschaftskritische, eine beziehungsorientierte, eine emanzipatorische, eine fernsehästhetische. tittelbach.tv zeigt, was man über „Kir Royal“ wissen & lesen sollte.
Zwischen Ehekrise und zweitem Frühling, zwischen Spiritualität und Schönheitschirurgie versuchen vier Lehrerinnen zwischen 44 und 52 Jahren ihrem Leben einen Sinn zu geben. Die Handlung von „Klimawechsel“ ist hormongesteuert, die Haltung lebensklug, die Tonlage frisch und respektlos, der Humor angenehm unprüde und gelegentlich köstlich derb, und die Wirkung befreiend. Selten konnte man so viel Spaß haben mit deutscher Komödie!
Der Fall der Mauer als historische Groteske: „Bornholmer Straße“ erzählt von dem Oberstleutnant, der am 9. November 1989 letztlich auf eigene Faust die Grenze öffnete. Ein Helden-Stück zum Jahrestag aus ungewöhnlicher Perspektive, komisch und leicht statt pathetisch und schwer. DDR-Grenzer einmal anders, als tragische Figuren in einer Polit-Farce. Herrlich absurde Dialoge, eine packende Inszenierung und ein großartiges Ensemble neben dem wunderbar lakonischen Charly Hübner in der Hauptrolle. Christian Schwochow („Der Turm“) hat das Drehbuch seiner Eltern Heide und Rainer Schwochow inszeniert.
Die 1980er Jahre als das Jahrzehnt von Simulation & Mode: das Leben eine Inszenierung, Kommunikation ein Rollenspiel, ein Tanz der Zeichen – und mittendrin ein Prominenter, der das alles verkörpert. Alexander Adolph liest die Biographie von Rudolph Moshammer gegen den Strich der TV-Konvention, schlachtet weder Tod noch Trieb des exzentrischen Modemachers aus, sondern entwickelt ein Zeitgeist-nahes Psychogramm seines Helden, indem er das Wesen jenes Jahrzehnts, jene Jubeljahre eines obszönen Kapitalismus‘, sich in der Geschichte und dem klug reduzierten Personal spiegeln lässt. Und so ist „Der große Rudolph“ (ARD / Producers at work) eine fein ziselierte, köstlich gespielte, wunderbar wendungsreiche Gesellschafts-Satire geworden in der Tradition von Wedel & Dietl, mit dem Unterschied, dass Adolph, keinen figurenintensiven Zeithorizont entwickelt, sondern lieber im Detail das Wesen jener postmodern-narzisstischen Epoche (die nachwirkt) in seine Tragikomödie einarbeitet. Eine Aschenputtelfigur gibt es auch noch. Das wirkt klein und ist doch großes Fernsehen.
Ralf Husmann hat nach „Vorsicht vor Leuten“ mit dem Fernsehfilm „Der König von Köln“ (WDR / Zeitsprung Pictures, Dreamtool Entertainment) mal wieder eine Gesellschaftssatire allererster Güte geschrieben. „Politik heißt, alles so lange im Ungefähren zu halten, bis es nicht mehr zu ändern ist.“ Wie das System aus Gefälligkeiten und gezieltem Wegschauen funktioniert, das führt der Autor an der Geschichte eines an sich moralischen Mannes vor, der etwas blauäugig in den Strudel der Korruption gerissen wird. Auch sein ehemaliger Chef hatte einst Bedenken – „aber gegen den Zweifel hat der liebe Gott das Kölsch erfunden.“ Die Einzeiler sitzen, alle Charaktere dieses durchweg wunderbar besetzten Ensemblefilms haben eine eigene Note und eine spezielle Humor-Tonlage. Husmanns induktive Dramaturgie und seine satirische Handschrift ohne jede Didaktik gehören zum Qualitätskonzept dieses Films, genauso wie der stimmige, mit der Handlung korrespondierende kölsche Soundtrack, Richard Hubers flüssige Inszenierung und seine Schauspielerführung, die trotz der unterschiedlichen Figurenfarben (es gibt schließlich auch zwei ehrenwerte Figuren) diese ARD-Komödie zu einem stimmigen Ganzen macht. Ein seltener Lichtblick in Zeiten des Krimi-Wahnsinns.
Einem Landarzt gelingt es, sich ein bayerisches Dorf untertan zu machen. Von der Medizin als Segnung der modernen Zivilisation bis hin zur Gesundheitswelle leistet der Doktor Überzeugungsarbeit bei den gutgläubigen Dörflern. Autor Günter Schütter lieferte 1997 mit „Doktor Knock“ seinen satirischen Beitrag zum Thema Gesundheitswesen. Inszenatorisch lassen sich Dominik Graf und Benedict Neuenfels allerhand Skurrilitäten einfallen.
“Darf man über die Nazis lachen?” Wenn es so satirisch und klug gemacht ist wie in der TV-Satire “Goebbels und Geduldig” auf jeden Fall. Die ARD sah das 2001 nicht ganz so – und strahlte den Film mit zwei Jahren Verspätung und nur ein einziges Mal aus. In Kai Wessels Film geht es um den Propagandaminister des Dritten Reichs & seinen Doppelgänger. Der heißt Harry Geduldig und ist ausgerechnet Jude, der in einem Lager seit zehn Jahren verborgen gehalten wird: Geduldig als Himmlers Wunderwaffe gegen Goebbels?! Ein Doppelgänger könnte Himmlers Marionette spielen. Aber auch ein Doppelgänger in der Hand der Kriegsgegner könnte allerhand anrichten. Ab 22.5.2015 gibt es den Film auf DVD!
Phlegmatischer Wahrheitsverbieger trifft auf notorischen Hochstapler, Aktenmann auf Lebemann, Kleindenker auf Großdenker. „Vorsicht vor Leuten“: Ralf Husmann („Stromberg“) schrieb das Drehbuch zum gleichnamigen ARD-Fernsehfilm nach seinem eigenen Roman. Es ist eine fein nuancierte Gesellschaftssatire der beiläufigen Art. Nach außen komisch und kurzweilig, im Kern doppelbödig und mit sozialer Relevanz. Zwei Männer in einer liebevollen Abhängigkeit. Zwei Schauspieler in Paraderollen: Charly Hübner macht da weiter, wo er in „Bornholmer Straße“ aufgehört hat und Michael Maertens ist eine Entdeckung fürs TV!
Der abgehalfterte Schlagersänger Hansi Haller versucht ein Comeback in einer Private-Life-Dokusoap, die ihrerseits die letzte Chance ist für eine abgefuckte Boulevard-Journalistin. Die will den Schmalzbarden und sein Eifeler Fan-Dorf gnadenlos vorführen… Bei „Das große Comeback“ hat das Comedy-As Mark Werner hingelangt – und Sawatzki gibt grell & grandios die Medien-Schnepfe, Ochsenknecht chargiert göttlich und singt, Valerie Niehaus sorgt für wohligen Romantic-Touch und auch die anderen „geben alles“. Ein bisschen Medienkritik, liebevoll der Umgang mit der Schlagerfankultur, völlig gaga mit viel guter La-La-Laune.
Zeitgenössische Politstoffe haben Seltenheitswert und die Polit-Filmsatire ist ausgestorben. Deshalb: Vorhang auf für den Aufstieg und Fall von Franz Ferdinand zu Donnersberg alias Karl-Theoder zu Guttenberg, dieses komödiantische Kleinod von Grimme-Preisträgerin Dorothee Schön und Uwe Janson, das auch ein Stück Medien- und damit Gesellschaftssatire ist. Eine clevere Drehbuch-Idee à la Cyrano de Bergerac und eine gekonnte Zuspitzung der Wirklichkeit machen „Der Minister“ überaus sehenswert & vergnüglich. Top-Besetzung!
Paul Harathers Wirtschaftssatire „Die Firma dankt” (SWR) basiert auf dem gleichnamigen Bühnenstück von Lutz Hübner und ist ebenso kluge Wirtschaftssatire wie Abrechnung mit dem Jugendwahn. Thomas Heinze ragt dabei als Abteilungsleiter auf dem Abstellgleis aus einem ausgezeichneten Ensemble heraus. Der Reiz des Films liegt in der kafkaesken Stimmung: Der Manager eines geschluckten Unternehmens wird zu einem Wochenend-Seminar eingeladen. Er vermutet, dass er sich beweisen soll, hat aber keine Ahnung, wie ihm das gelingen kann, weil seine Gastgeber ständig widersprüchliche Signale aussenden.
Die sogenannte Ibiza-Affäre hat 2019 in Österreich ein politisches Erdbeben ausgelöst: Nachdem er betrunken über den Verkauf der Wiener „Kronen Zeitung“ an eine angebliche russische Oligarchin schwadroniert hatte, musste Vizekanzler Heinz-Christian Strache, Chef der rechtspopulistischen FPÖ, zurücktreten; die Regierungskoalition zerbrach. Die Drehbücher zur vierteiligen Miniserie (Sky / W&B Television, epo) basieren auf dem gleichnamigen Sachbuch zweier „SZ“-Journalisten, aber das Autorenduo Stefan Holtz und Florian Iwersen erlaubt sich gerade bei den Drahtziehern des Komplotts gegen Strache einige künstlerische Freiheiten. Sehenswert ist „Die Ibiza-Affäre“ vor allem wegen des ausgefallenen visuellen Stils. Die Bildgestaltung (Thomas W. Kiennst) ist ohnehin exzellent, aber Regisseur Christopher Schier baut zudem immer wieder Exkurse ein, die die Ereignisse ähnlich wie die Werke von Michel Moore durch kurze Erklärstücke oder assoziative Momente illustrieren.
„Die letzte Sau“ (ZDF / a little. film production) ist eine sehenswerte Tragikomödie mit Golo Euler als Kleinbauer, der sein Dorf verlässt, mit Moped und Schwein im Beiwagen durchs Land reist und durch seine Befreiungsaktionen von Masttieren ungewollt eine Revolution auslöst. Das ZDF zeigt das Road-Movie im Rahmen seiner Reihe „Shooting Stars“. Trotz einer Freigabe ab 12 wäre eine Ausstrahlung um 20.15 Uhr angesichts einiger drastischer Tierszenen und des ausgeprägten Dialekts der Mitwirkenden wohl nicht in Frage gekommen, aber den Sendetermin 23.45 Uhr hat der Film nicht verdient; selbst wenn schwarzer Humor nicht jedermanns Sache ist. Allein die groteske Verkettung von Missgeschicken zu Beginn ist äußerst amüsant, und außerdem erzählt Aron Lehmann in seiner dritten Regiearbeit nebenbei eine waschechte Romanze. Und gespielt ist das alles ohnehin vorzüglich.
Die größte Bankenpleite in Europa seit der Weltwirtschaftskrise 1932 haben den WDR und Zeitsprung Pictures zu „Goldjungs“ (WDR) bewogen. Das Autoren-Ehepaar Eva Zahn und Volker A. Zahn rückt für den ARD-Mittwochsfilm jene wilden Devisen-Spekulationen, Scheingeschäfte, Kursmanipulationen und die laxe Handhabung des Aktien-Rechts mit dem Abstand fast eines halben Jahrhunderts und mit allen fiktionalen Freiheiten in ein satirisches Licht. „Goldjungs“ ist eine sehr sehenswerte Komödie. Bei aller Kapitalismus-Kritik, Schelte am Konsumismus und an falsch verstandener Demokratisierung von Geldgeschäften reicht es allerdings zur knackigen Gesellschaftsposse mit kölscher Mentalitätsgeschichte à la „Der König von Köln“ nicht. Dafür fehlt es dem Film unter anderem an komplexen Nebenfiguren. Und die Heldin, ideal besetzt mit Michelle Barthel als sexy-Seventies-Ikone, ist zwar ein guter Türöffner in den Film, doch gerade durch die von ihr provozierte Tonlagen-Mischung – dort ein absurdes Schurkenstück, hier eine Komik-resistente Identifikationsfigur, dort Distanz durch Komik, hier Empathie durch Psychologie – ergibt sich eine dramaturgische Schieflage, die eine Narration aus einem Guss verhindert. Vor allem filmisch für Abwechslung jenseits vom Bankalltagsgrau sorgen ausgeflippte Party-Nächte & Gerlings Großbürger-Ambiente. Einen besonderen Genuss für den Zuschauer bieten Szenenbild, Mode und Soundtrack.
Wohnt jedem Aufstieg unweigerlich der Abstieg inne? Drei der vier Heldinnen der RTL-Serie „Herzogpark“ (Letterbox, Amalia) wollen es nicht wahrhaben, dass ihre Zeit im Münchener Nobelviertel bald vorbei sein könnte. Ein Bau-Mogul und halbseidener Emporkömmling hat sie in der Hand. Er würde alles tun für seinen Herzog-Tower. Aber die drei High-Society-Grazien würden noch einiges mehr tun, um in ihrer Komfortzone zu verweilen. „Herzogpark“ mag weder die Brillanz und den satirischen Biss von „Kir Royal“ noch die gesellschaftliche und narrative Komplexität der „Vorstadtweiber“ besitzen, in Zeiten überdehnter und dramaturgisch nicht immer ausgereifter Serien-Ideen, gehen die viereinhalb Champagner-beseelten Stunden dieses eleganten, formschönen Gesellschafts- & Gaunerstücks allerdings sehr flüssig und ohne saure „Aufstößchen“ runter. Beste Unterhaltung ohne finale Reue
Zum 50. Geburtstag überrascht das ZDF mit einer Sitcom aus dem Innenleben der Anstalt. Die Serie heißt zwar „Lerchenberg“, spielt auf dem Lerchenberg, wurde auch dort in der Senderzentrale gedreht, aber ARD-Mitarbeiter dürften sich hier genauso gut wiederfinden. Sascha Hehn spielt sich selbst – und das macht er richtig gut: eitel, großkotzig und immer ein bisschen hintenherum. Großartig auch Eva Löbau als herzensgute, etwas naive Innovations-Redakteurin. Gutes Timing, echte Typen, köstliche Dialoge, leise Ironie. Neue Folgen!
„Outside the box“ (ZDF / Walker&Worm) ist eine stellenweise recht grimmige Satire über ein Bootcamp für junge Unternehmensberater, das komplett aus dem Ruder gerät: Die zukünftigen Führungskräfte sollen sich in Extremsituationen bewähren, aber dann eskaliert eine fingierte Geiselnahme zum Kampf auf Leben und Tod. Auch wenn zwischendurch auf brutale Weise ein paar Tiere sterben: Philip Kochs Film ist bei weitem nicht so grausam wie sein Debüt „Picco“, aber als Abrechnung mit den großmäuligen Seminarteilnehmern nicht minder konsequent. Wie gut schon das Drehbuch gewesen muss, zeigt die beinahe verschwenderisch exzellente Besetzung. Das ZDF eröffnet mit „Outside the Box“ seine Reihe „Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten“, weshalb der Film bedauerlicherweise erst um 23.15 Uhr läuft; er würde auch als „Fernsehfilm der Woche“ montags um 20.15 Uhr funktionieren.
Weihnachten im Kreise der Familie. „Ich werd’ alles so machen, wie es früher bei uns war“, sagt die Oma. „Konsumterror“, schnaubt der Sohn. Das Töchterchen verträgt den Eierlikör nicht, und die entnervte Hausfrau greift zur Pulle. Da verliert selbst Papa seinen Hundeblick. Wo lässt sich die Psyche einer Familie besser studieren als am Fest der Feste? Die Autorin Ulli Schwarzenberger hat ebenso liebe- wie lustvoll reingepiekst in das Geschwülst der falschen Sentimentalität. Ein TV-Klassiker zur Weihnachtszeit! Typisch Schwarzenberger.
Die Kommissare Batic und Leitmayr ermitteln im Umfeld einer Volksmusik-Show. Sie tappen lange im Dunkeln, der Zuschauer ist den beiden weit voraus – und weiß, dass ein Journalist der Mörder ist. Spannend wird Hanns Christian Müllers 90er-Jahre Ausnahme-„Tatort“ nach dem Buch von Orkun Ertner gegen Ende dennoch. Bis dahin lässt „… und die Musi spielt dazu“ nichts aus, was aus einem konventionellen Krimi eine Riesengaudi macht: falsche Bärte und pralle Dirndl, zünftige Bierzelt-Ikonografie und ein Soundtrack, der ironisch zum Mitschunkeln einlädt. Top-Besetzung, tolle Kamera – dieser Spaß muss einfach sein!