In der Drama-Serie „Reset – Wie weit willst du gehen?“ (ZDF / Gaumont Köln) stößt eine Mutter, die mit dem Selbstmord ihrer 15-jährigen Tochter konfrontiert wird, auf eine Agentur, die das Reisen in die Vergangenheit ermöglicht. Erzählt wird genau das, was sich betroffene Eltern in einer solchen Situation wünschen würden: die Tragödie rückgängig zu machen. Sich nicht von den Gefühlen auffressen lassen, sondern handeln. Ein realistisches Drama würde die Phasen der Trauer durchlaufen. „Reset“ zeigt den großen Schmerz und den Versuch einer Heilung mit fantastischen Mitteln. Die Serie setzt auf ein Sci-Fi-Motiv und erzählt so ein Familiendrama, das über die Rückschau und die Rückbesinnung hinaus noch an Dichte und Vielschichtigkeit gewinnt. Der Sechsteiler, der auch filmisch ganz vorzüglich ist, richtet sein Augenmerk auf psychische Erkrankungen bei Teenagern und komplexe Familienstrukturen, ohne bleiern und bedeutungsschwer zu wirken. Dafür sorgen die Sprünge durch die Zeit, aber auch die großartigen Schauspieler. Was Katja Riemann und ihre feministische Journalistin & aufopferungsvolle Mutter angeht: Da haben sich zwei gefunden.
Stanley Kubrick lässt grüßen: Der Computer in einem Smart Home entwickelt im Jahr 2029 ein beängstigendes Eigenleben. Dabei soll das Zuhause der Zufluchtsort für einen Journalisten und eine Anwältin sein, während das Land vor einem antidemokratischen Umsturz steht. „Das Haus“ (NDR, RBB, Arte – Wüste Medien) ist ein mit Tobias Moretti und Valery Tscheplanowa top-besetzter KI-Thriller von Rick Ostermann (Regie, Drehbuch) und Patrick Brunken (Drehbuch) nach einer Kurzgeschichte von Dirk Kurbjuweit. Das imposante Anwesen in herrlicher Insel-Kulisse ist mit seinen zahlreichen Räumen und Perspektiven der dritte Hauptdarsteller. Spektakuläres Szenenbild, aber kein dystopisches Spektakel, sondern eine kluge Variation des Themas Künstliche Intelligenz (KI) in einem kühlen Kammerspiel. Exzellente Kamera (Stefan Ciupek, Matthias Bolliger), großartige Musik (Stefan Will).
Das Matrix-Zeitalter ergänzt klassische philosophische Denkspiele wie „Wer bin ich? Woher komme ich?“ um ungleich existenziellere Überlegungen: Ist die Welt um mich herum echt oder nur eine Simulation? Bin ich womöglich nur eine digitale Kopie meiner selbst? Um diese Fragen kreist auch der faszinierende und für ARD-Verhältnisse ungewöhnlich mutige Science-Fiction-Fernsehfilm „Exit“ (SWR / Sommerhaus): Linus und seine Freunde haben eine Möglichkeit gefunden, Persönlichkeiten zu digitalisieren; auf diese Weise können Menschen mit ihren verstorbenen Angehörigen auch nach deren Tod in Kontakt bleiben. Die vier Firmeninhaber wollen ihr Programm an einen mächtigen chinesischen Unternehmer verkaufen, der den Markt für Hologramme beherrscht. Als Linus zögert, den Vertrag zu unterschreiben, gerät er in ein Komplott, das ihn an der eigenen Existenz zweifeln lässt.
„Paradise“ (Netflix / Neuesuper), großes Fernsehen mit Kostja Ullmann und Iris Berben, ist eigentlich ein Kinostoff: In einer nahen Zukunft ist Lebenszeit zur Ware geworden. Man altert zwar umgehend um die gespendeten Jahre, ist jedoch auf einen Schlag reich; aber natürlich hat das System seine Tücken. Das originelle und dank vieler beiläufig eingestreuter Nebenaspekte äußerst komplexe Drehbuch beeindruckt zudem durch den Genremix: Die Geschichte bietet eine 120 Minuten lange spannende Mischung aus Science Fiction, Thriller und Krimi; hinzu kommen ethisch-moralische Fragen. Neben der gekonnten Umsetzung durch Regisseur Boris Kunz, der auch am Drehbuch beteiligt war, beeindruckt das aufwändig gestaltete Werk nicht zuletzt durch die Leitung des Ensembles.
Niki Steins Film „HAL“ ist ein anspielungsreicher faszinierender Krimi über ein eigentlich der Sicherheit dienendes Computerprogramm, das sich von seinem Schöpfer emanzipiert. Dem Regisseur gelingt dabei das Kunststück, die vielen Verweise auf Stanley Kubricks Science-Fiction-Werk „2001: Odyssee im Weltraum“ so geschickt zu integrieren, dass man der Handlung auch ohne Kenntnis des Klassikers folgen kann. Bildgestaltung und Ausstattung sind ebenfalls bemerkenswert, doch es ist vor allem die bedrückende Realitätsnähe der leicht futuristischen Geschichte, die „HAL“ zu einem außergewöhnlichen „Tatort“ macht.
Hinter der tödlichen Panne bei einem Bundeswehr-Einsatz in Mali steckt mehr als die offizielle, geschönte Lesart vom menschlichen Versagen. „Krieg im Kopf“ (ARD / filmpool fiction) erzählt von den Begehrlichkeiten, die die Wissenschaft bei Rüstungskonzernen und Militärs immer schon geweckt hat – und er zeigt, wie heute Erkenntnisse der Hirnforschung für militärische Zwecke genutzt werden. Was nach „Terminator“ klingt, die Konstruktion von Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine, ist mittlerweile Realität. Der Film ist also keine spekulative Räuberpistole und auch viel weniger Science-Fiction im „Tatort“-Format als beispielsweise die Episoden „HAL“ oder „Echolot“. Das größte Plus dieses thematisch, dramaturgisch & filmisch gleichermaßen spannenden „Tatorts“ ist die große Anschaulichkeit, Unmittelbarkeit und Sinnlichkeit der Bedrohungsszenarien und der eingesetzten Mind-Control-Techniken. Die hautnahe Betroffenheit der Kommissarinnen tut das Übrige.
Der Traum vom perfekten Glück als surreale Film-Phantasie: In „Murot und das Paradies“ (HR) treibt Florian Gallenberger (Drehbuch, Regie) ein bizarres Spiel mit dem einsamen, lebensmüden LKA-Kommissar Felix Murot. Der gerät nach zwei rätselhaften Todesfällen in die Hände von zwei verführerischen Frauen, die ihm mittels neu verlegtem Port am herausoperierten Bauchnabel den Zugang zu einer Art Parallelwelt verschaffen, in der alle Träume wahr werden. Fantastische Bilder (Kamera: Holly Fink), Film-im-Film-Miniaturen und Kino-Zitate, eine erstklassige Besetzung (Hobmeier, Bugarin, Wuttke, Mattes) und eine abgedrehte Geschichte, die der Murot-Reihe des Hessischen Rundfunks alle Ehre macht: Denn auch im zwölften Film mit Ulrich Tukur und Barbara Philipp wird das gewöhnliche Realismus-Konzept der „Tatort“-Reihe nach Herzenslust gesprengt.
„Alpha 0.7 – Der Feind in dir“ ist ein transmediales Serienprojekt, in das Internet und Hörfunk kreativ eingebunden werden. Potenzielle Fans werden seit Wochen „angefüttert“ mit Infos zur Serie, mit Blogs, mit Videos, mit den Vorgeschichten der Figuren und der wissenschaftlichen Fiktionen. Die sechsteilige Serie von Marc Tensing („Parkour“) kann aber auch für sich bestehen. Sie ist klar und präzise auf das 25-Minuten-Format hin strukturiert, besitzt eine kühle, sachliche Bildsprache und ist bestens besetzt.
„Das blaue Palais“ ist ein von führenden Wissenschaftlern aus aller Herren Länder betriebenes Forschungszentrum. In der fünften Episode („Der Gigant“) der gleichnamigen ZDF-Reihe geht es um künftige Rohstoff-Engpässe und darum, wie ein skrupelloser multinationaler Konzern versucht, darüber die Macht an sich zu reißen. SF-Thriller-Pionier Erler appelliert an das Verantwortungsbewusstsein der Forscher-Intelligenz. Nichts für Feingeister!
Eine Kommissarin wird vom Dienst suspendiert und muss ihre krankhafte Eifersucht in einer Klinik behandeln lassen. Danach muss sie dem Amoklauf eines Soldaten nachgehen. Dabei stößt sie auf ein geheimes wissenschaftliches Bundeswehr-Forschungsprojekt. „Fürchte dich nicht“ beginnt ungewöhnlich – und bleibt bis zum starken Finale so undurchschaubar wie viele der Figuren. Der Film ist Thriller, Krimi, Psychodrama & Science-Fiction zugleich.
Eine deutsche Science-Fiction-Serie als experimentelles Kult-Fernsehen zwischen Dreiraum-Kammerspiel und spacigem Pop-Märchen – phantastisch, anspielungsreich, absurd. „Ijon Tichy – Raumpilot “ ist mehr als bloßer Quatsch in 23-Minuten-Dosen. Stanislaw Lems „Sterntagebücher“ standen Pate, die Salatschleuder wird mal wieder zum Raumschiff, Nora Tschirner zur süßesten Versuchung, seit es Pop gibt, & der Spaß kommt beim Sehen.
Die Handlung dieses ungewöhnlichen Krimis aus Bremen wäre noch origineller, wenn ein „Tatort“ aus Stuttgart („HAL“) nicht vor zwei Monaten eine ganz ähnliche Geschichte erzählt hätte. Beide Filme behandeln das Thema künstliche Intelligenz und spielen in einer unmittelbar bevorstehenden Zukunft, in der die Übergänge zwischen Wirklichkeit und virtueller Realität kaum noch zu erkennen sind. „Echolot“ ist zwar nicht so anspielungsreich wie „HAL“, aber ebenfalls sehenswert: Nach der Ermordung einer IT-Spezialistin stellen Lürsen & Stedefreund verblüfft fest, dass die Frau in Form einer optimierten digitalen Kopie weiterlebt.
„Tatort – Tod im All“ (1997) ist der erste deutsche Science-Fiction-Ausflug im Krimi-Genre. Ein Bestsellerautor, der behauptet, Kontakt zu Außerirdischen zu haben, wird vermisst. Nur ein PR-Gag? Dann gibt es doch die obligatorische „Tatort“-Leiche. Thomas Bohn reizt das Krimi-Genre lustvoll aus. Medien-Macht und Medien-Spaß – darum geht es in diesem anspielungsreichen Film, in dem Nina Hagen der Kommissarin im Traum erscheint.
Das betagte Liebespaar Anna und Hermann kann dank eines neuartigen Verfahrens der Firma Menzana in die Haut junger, gesunder Afrikaner schlüpfen. Das futuristische Szenario eines Persönlichkeitstransfers erscheint hier keineswegs abwegig, sondern als faszinierendes Gedankenspiel. „Transfer“ ist eine schlüssig und stilsicher inszenierte Science Fiction, ein spannendes, sinnliches Spiel mit Identitäten, durchaus geeignet für Philosophie- und Ethikkurse. Starke Besetzung, aber auch einige übertrieben melodramatische Dialoge.
Was bringt die Medizin der Zukunft? Die vierte Staffel der Serie „Charité“ (ARD, ARD Degeto, Arte, MDR / UFA Fiction) entwirft ein Bild von der Gesundheitsversorgung im Jahr 2049. Wieder stehen Ärztinnen und Ärzte der Berliner Spitzen-Klinik, ihre beruflichen Herausforderungen und privaten Beziehungen im Mittelpunkt. Ein unbekannter Erreger, verschiedene medizinische Notsituationen, ein Hackerangriff, Ehe- und Generationenkonflikte, die Umweltkrise sowie eine umstrittene Gesundheitsreform sorgen für Dramatik und Spannung – vornehmlich allerdings erst in den letzten beiden Episoden. Auch medizinethische Fragen kommen im Drehbuch von Tanja Bubbel und Rebecca Martin nicht zu kurz. Lobenswert ist die diverse Besetzung; aus dem Cast ragen Sesede Terziyan, Angelina Häntsch, Timur Işik, Gina Haller, Jenny Schily und Adriana Altaras heraus. Die Inszenierung von Esther Bialas feiert den medizinischen Fortschritt und gleichzeitig die Einsicht, dass Technik nicht alles ist. Das Szenenbild am realen Schauplatz der portugiesischen Champalimaud Stiftung sowie die Mischung aus visionären Technologien und virtuellen Simulationen sind faszinierend, aber die Atmosphäre bleibt kühl und abgehoben. Das Leben außerhalb erscheint weiter weg als in den vorherigen historischen Staffeln, die zur Kaiserzeit, im Nationalsozialismus und während des Mauerbaus in der DDR spielten.
Im Nachfolgeprojekt von „Wer rettet Dina Foxx“ ist die Heldin einer mysteriösen Epidemie auf der Spur. “Dina Foxx – Tödlicher Kontakt” ist ein zweiteiliger TV-Thriller, der sich in seiner Ästhetik an aktuellen internationalen Serienformaten orientiert. Parallel zur TV-Ausstrahlung wird eine eigene Web-Realität bereit gestellt, in der drei Online-Stränge kombiniert werden: eine siebenteilige Webserie, ein Casual-Game (BioBrick-Puzzle) und eine 360°-Video-Ermittlung. Wer nur das TV-Angebot dieses transmedialen Projekts wahrnimmt, dem bietet Dina Foxx modernes, fiktionales Fernsehen, man muss allerdings damit leben, dass einem vieles entgeht und die ganze Wahrheit hinter der Geschichte nur zu erahnen bleibt.
Der Titelzusatz des sehenswerten Science-Fiction-Dramas „KI – Die letzte Erfindung“ (ZDF / Gruppe 5) bezieht sich auf die Sorge, dass eine ausgereifte Künstliche Intelligenz den menschlichen Erfindungsgeist fortan überflüssig machen würde. Ungleich größer ist allerdings die Furcht, sie könnte die Weltherrschaft übernehmen. Darum geht es in diesem im Auftrag der „Terra X“-Redaktion entstandenen Film jedoch nur am Rande. Zentrale Figur ist eine Programmiererin, die mit Hilfe einer von ihr entwickelten KI ihren schwerkranken Vater heilen will; auch um den Preis, den Supercomputer zu entfesseln. Weil „KI“ ein Dokudrama ist, wird der Film immer wieder abrupt unterbrochen, damit Expertinnen und Experten aufs Stichwort passende Erklärungen liefern können. Diese Einschübe sind jedoch Gift für den Handlungsfluss und lassen das Filmerlebnis wie ein Seminar wirken, bei dem ein Dozent ständig die Vorführung stoppt, um bestimmte Szenen zu analysieren.
„The Ordinaries“ ist ein dystopisches Coming-of-age-Drama, das voller cineastischer Ideen steckt und deshalb vor allem filmisch fasziniert. Nicht weniger bemerkenswert ist die Geschichte, in der eine Gesellschaft entworfen wird, die sich durch Abgrenzung und massive Ausgrenzung definiert. Sophie Linnenbaum entwirft eine Dreiklassengesellschaft und arbeitet mit Begrifflichkeiten aus der Welt des Films. Das ist originell, nachdem der erste sinnliche Zauber verflogen ist, aber auch etwas anstrengend. Der außergewöhnliche, etwas zu lange Debütfilm besticht auch durch Sinnbilder, Metaphern und sozial(kritisch)e Subtexte.
„Unsichtbarer Angreifer“ (ZDF / UFA) ist ein sehenswertes Thriller-Drama mit leicht dystopischem Science-Fiction-Touch: Psychotherapeutin Emma, nach dem Suizid einer Patientin ohnehin neben der Spur, muss sich mit ihrem plötzlich verrückt spielenden Smart Home herumplagen; und dann entwickelt auch noch die von ihr selbst entworfene Therapie-App ein Eigenleben. Emily Cox ist sehenswert wie stets, die Zwillingsschwestern Martina Plura (Regie) und Monika Plura (Kamera) sorgen mit Hilfe von Musik und Sounddesign für eine zunehmend bedrohliche Atmosphäre, gelegentliche eingesetzte Horror-Elemente verdeutlichen Emmas seelischen Zustand. Allein der Schluss ist ein wenig enttäuschend.
„Was wir wussten – Risiko Pille“ (NDR / Westside) hätte ein großartiger SciFi-Thriller und ein fesselnder Tatsachenfilm über die Gefahren der Anti-Baby-Pille werden können, vertut jedoch kostbare Sendezeit mit unnötigen Eheszenen. Auch so bleibt zum Glück noch genug Raum für das eigentliche Thema: Ein Pharmakonzern will eine neue Generation der „Pille“ einführen, die neben Schwangerschaftsverhütung positive Nebenwirkungen auf das Aussehen hat. Dass sich gleichzeitig das Risiko einer Thrombosegefahr verdoppelt, wird geflissentlich verschwiegen. Anstatt sich auf diesen Aspekt sowie die clevere Marketing-Strategie zu konzentrieren, mutiert der Film nach einem raffinierten Einstieg zum Beziehungsdrama. Die entsprechende Verpackung wirkt wie ein Tribut ans Publikum, dem offenbar unterstellt wird, es interessiere sich für diesen Stoff nur, wenn es emotionale Anknüpfungspunkte gibt.