Der Prolog dieses ORF-Landkrimis gibt den richtigen Vorgeschmack: Das erste Opfer der Geschichte ist der Nikolaus, der in Folge einer Explosion gleichsam schwerelos durch die Luft schwebt. Dann blendet der Film vier Monate zurück und erzählt, wie alles begann: Ein Mann beobachtet seinen Chef beim Seitensprung mit einer Mitarbeiterin und will ihn erpressen, es kommt zum Handgemenge, der Erpresser stürzt unglücklich und bricht sich das Genick. Zur Kläranlage, bei der beide arbeiten, gehört auch eine Fleischmühle. Auf diese Weise ist die Leiche rasch entsorgt und nun Teil jenes „Superdüngers“, der Anton Galba (Wolfgang Böck), den Leiter der Einrichtung und Mörder aus Versehen, international bekannt gemacht hat.
Trotz des gleich zweifach makabren Auftakts könnte der Krimi immer noch einen herkömmlichen Verlauf nehmen, selbst wenn die Polizei – hier in Gestalt des Dornbirner Chefinspektors Nathan Weiß (Tobias Moretti) – angesichts der unauffindbaren Leiche vor einer echten Herausforderung stünde. „Alles Fleisch ist Gras“ stammt jedoch aus der ORF-Reihe „Landkrimi“, und deren Geschichten sind bekannt dafür, gern auch mal aus dem Rahmen zu fallen. Galba ist ein ehemaliger Mitschüler des Polizisten, und der muss ihn nur ansehen, um Bescheid zu wissen: Der Schulfreund macht genauso ein Gesicht wie früher, wenn er beim Schwänzen erwischt worden ist. Dank der Fotos, die der verstorbene Mitarbeiter gemacht hat, kennt Weiß auch das Motiv, aber anstatt Galba zu verhaften, schlägt er ihm einen mörderischen Deal vor: Es gibt verschiedene Zeitgenossen, denen er gern einen Denkzettel für die Ewigkeit verpassen würde, etwa den gewalttätigen zweiten Ehemann seiner nach wie vor geliebten Ex-Frau oder einen stadtbekannten Drogenhändler, dessen Stoff schon mehrere junge Menschen das Leben gekostet hat. Als Galba die Sache über den Kopf wächst, wendet er sich an einen bekannten TV-Moderator (Harald Schrott); doch auch in dessen Dasein gibt es Menschen, die zum Problem geworden sind. Und so kommt es schließlich zu jenem Finale, das der Film zu Beginn vorwegnimmt; aber der Prolog erzählt nicht die ganze Wahrheit.
Die Geschichte ist ungewöhnlich genug. Richtig sehenswert wird „Alles Fleisch ist Gras“ jedoch durch die Umsetzung: weil Regisseur Reinhold Bilgeri und Kameramann Tomas Erhart ein reizvolles Spiel mit Licht und Schatten treiben. Auch diverse ungewöhnliche Blickwinkel verdeutlichen den sichtbaren Vorsatz der beiden, keinen Krimi von der Stange zu inszenieren, was sie nicht daran hindert, Vorarlberg von seinen schönsten Seiten zu zeigen. Kontrapunkt zu den frühherbstlichen Landschaftsbildern ist die eine oder andere unappetitliche Aufnahme vom sehr roten Fleisch im Knochenhäcklser. Das hätte vielleicht nicht sein müssen, gehört aber zum speziellen Humor des Drehbuchs von Agnes Pluch (Romanvorlage: Christian Mähr), der auch im Titel zum Ausdruck kommt. Er bezieht sich auf ein Requiem von Johannes Brahms („Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“), der den Text seines Werks aus Bibelzitaten zusammengesetzt hat. Diese Zeile stammt aus dem ersten Petrus-Brief: „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras / und alle Herrlichkeit des Menschen / wie des Grases Blumen. Das Gras ist verdorret / und die Blume abgefallen.“ Kein Wunder, dass Bilgeri und Erhart auch mal eine Perspektive aus Sicht des Gekreuzigten im Herrgottswinkel gewählt haben.
Der Regisseur ist in Österreich viel eher als Popstar bekannt: Bilgeri war in den Achtziger- und Neunzigerjahren ähnlich populär wie Falco. Sein Regiedebüt war 2010 „Der Atem des Himmels“. „Alles Fleisch ist Gras“ ist sein Zweitwerk. Der bereits 2013 entstandene Film war der dritte „Landkrimi“ (Erstausstrahlung ORF: 27.12.2014); er wirkt aber trotzdem recht frisch. Einzig der ausgesprochen sexualisierte männliche Blick auf Anna Unterberger (als Galbas Geliebte) lässt erahnen, dass die Dreharbeiten vor „#MeeToo“ stattgefunden haben. Agnes Pluch hat sich durch mehrere Arbeiten für Nikolaus Leytner einen Namen gemacht, darunter das herausragende Alzheimerdrama „Die Auslöschung“ (2013, mit Klaus Maria Brandauer und Martina Gedeck) sowie „Am Ende eines Sommers“ (2015), die mit viel Feingefühl erzählte Geschichte eines jungen Mannes, der mit einer kapitalen Lebenslüge aufgewachsen ist. „Alles Fleisch ist Gras“ ist schon vom Tonfall her ein völlig anderer Film, dessen großer Reiz allerdings gerade in der Unschärfe der Genrezugehörigkeit liegt. Bilgeris Inszenierung trägt mitunter fast parodistische Züge, zumal die Opfer des Trios allesamt überzeichnet sind, aber trotz des schwarzen Humors ist der Krimi keine Komödie. Die Ermordung des Nebenbuhlers zum Beispiel ist zwar nur indirekt zu sehen, aber das lässt die Szene sogar noch brutaler wirken. Wenn schon Etikett, dann am ehesten „Krimi-Groteske“.