Eins der berühmtesten Titelbilder der deutschen Magazingeschichte ist optisch vergleichsweise unspektakulär. Das „stern“-Cover der Ausgabe vom 6. Juni 1971 zeigt 28 Porträtfotos. Einige sind gar nicht zu erkennen, weil die Aufnahmen von einer Schlagzeile verdeckt werden: „Wir haben abgetrieben!“ 374 zum Teil sehr prominente Frauen haben sich an der von Alice Schwarzer initiierten Aktion beteiligt, darunter Senta Berger und Romy Schneider. Schwangerschafts-Abbruch war zu jener Zeit ein Tabuthema und laut Paragraf 218 des Strafgesetzbuches verboten; die Höchststrafe betrug fünf Jahre.
In den fünfzig Jahren seit der aufsehenerregenden Aktion, die eine breite gesellschaftliche Diskussion auslöste, hat sich viel verändert. Eins jedoch nicht: Abtreibung ist nach wie vor illegal; sie wird bis zur zwölften Woche bloß nicht mehr bestraft. Auf dem Papier sind Gesetze geschlechtsneutral, aber die Gesetzgeber waren selbstredend stets überwiegend Männer, was im Grunde absurd ist, wenn ein Thema in erster Linie Frauen betrifft. Natürlich hatte die Rechtsprechung den Schutz des ungeborenen Lebens im Sinn, aber offenbar haben die Männer den betroffenen Frauen unterstellt, sie würden die Abbrüche leichtfertig vornehmen. Wie die Wirklichkeit aussieht, zeigt die Serie „Bauchgefühl“: Lehrerin Lena (Laura Berlin) ist um die dreißig, verheiratet und Mutter einer Tochter. Die Familie sitzt quasi auf gepackten Koffern, weil sie demnächst für zwei Jahre nach Bangkok zieht, wo Lena eine Stelle an einer deutschen Schule übernommen hat.
Mit großer Empathie beschreiben Regisseurin Esther Rauch und ihre Koautorin Anneke Jansen, welchen Spießrutenlauf die ungewollt schwangere Frau nun absolvieren muss. Das beginnt schon mit dem Anruf bei der Frauenärztin, als sie um einen möglichst raschen Termin bittet: „Das hätten sie sich vielleicht vorher überlegen sollen.“ Anderswo kriegt sie den kurzfristigen Termin zwar, aber entgegen der Information auf der Website nimmt diese Praxis keine Abbrüche mehr vor, weil das Personal regelmäßig beschimpft und beleidigt worden ist. Wie sich das anhört, erfährt Lena, als sie beim Besuch einer Beratungsstelle von einem geifernden Mob empfangen wird, der „Mörder, Mörder!“ skandiert (obwohl es doch nicht nur strenggenommen „Mörderin“ heißen müsste). Drinnen geht es in diesem Sinne weiter: „Gerade Sie als Lehrerin sollten doch eine ganz besondere Beziehung zu Kindern haben!“
Verständnis für Lenas Lage zeigt von den Außenstehenden zunächst nur ein Apotheker, der sofort weiß, was sie umtreibt, als sie um einen Test bittet, der auch die Schwangerschafts-Woche anzeigt: „Für keine so tiefgreifende Entscheidung im Leben hat man so wenig Zeit wie für diese.“ Aus dem Rahmen des sehr zurückhaltend inszenierten Gesamtbilds fällt allein Ludwig Trepte als Ehemann, der sich mehrfach und zum Teil sehr unvermittelt in rotgesichtige Rage redet und Lena anbrüllt. Immerhin ist seine emotionale Reaktion nachvollziehbar, denn sie hat ihn nicht mit einbezogen, obwohl es doch auch sein Kind ist: „Mein Körper, meine Entscheidung.“ Viel beredter als der Wutausbruch ist eine Einstellung, die ohne Worte alles sagt: im Hintergrund das schweigende Ehepaar, im Vordergrund ein Karton mit einer Pizza, von der nur ein kleines Stück fehlt; der Appetit ist beiden vergangen.
Bedingungslos auf Lenas Seite ist von Anfang an allein ihre Schwester. Tina (Luise von Finckh) studiert Medizin und beklagt, dass Schwangerschaftsabbrüche selbst bei der Spezialisierung auf Gynäkologie meist kein Thema sind. Das nötige Wissen erhält sie in einem Seminar („Lernt, was die Uni euch nicht lehrt“) jener Ärztin, von der sich später auch Lena beraten lassen wird. Spätestens jetzt, als Dr. Roithner (Antje Lewald) an einer Papaya eine Saugkürettage vornehmen lässt, werden konservative Kreise ähnlich in Wallung geraten wie Felix. Trotzdem bietet „Bauchgefühl“ diesen Leuten kaum Angriffsfläche; abgesehen von der Tatsache, dass die Autorinnen das Thema sachlich und nüchtern von allen Seiten betrachten. Das schließt auch die spirituelle Ebene mit ein, als Lena einen befreundeten Theologen fragt, ab welchem Moment seiner Ansicht nach das Leben beginne.
Anders als Trepte spielt Laura Berlin, deren erster Auftritt gleich die Hauptrolle im ARD-Märchen „Schneewittchen“ (2009) war, viele Momente gar nicht aus; sie beschränkt sich darauf, auf sehr fragile Weise präsent zu sein. So etwas wird gern als „Projektionsfläche“ beschrieben, ist aber tatsächlich weit mehr als das, denn das „Karussell im Kopf“, wie Lena ihr emotionales Auf und Ab mal beschreibt, vermittelt sie dennoch jederzeit glaubwürdig. Die Bedeutung der vom ZDF als „Instant Fiction“, also von der Idee bis zur Umsetzung flott produzierten Serie, die mit dem Kölner Zoo zudem einen originellen Gesprächsschauplatz zu bieten hat, zeigt sich nicht zuletzt an den Kurzauftritten prominenter Mitwirkender wie Kai Schumann als Apotheker und Picco von Groote als Frauenärztin. Der Ausstrahlungstermin von „Bauchgefühl“ ist kein Zufall: Derzeit prüft eine Expertenkommission, ob Abtreibungen außerhalb des Strafrechts geregelt werden können. (Text-Stand: 7.3.2024)