Die Stellenanzeigen schneidet sie fein säuberlich zurecht, pint sie an die Landkarte an der Wand. Dann zieht sie ihre wollene Polizeimütze übers Gesicht, greift zu Dartpfeilen und schon startet die Jobsuche. Ein Pfeil bleibt links unten stecken – in Freiburg. Aber wird Tanja Wilken (Katharina Nesytowa) dort auch genommen? Das erfährt man in der nächsten Szene: Denn da sitzt das dortige Team um Revierleiterin Dorothea (Johanna Gastdorf) und Hauptkommissar Dennis (Joscha Kiefer) vor Bewerbungsmappen, und die Wahl fällt auf sie. Dennis ist gespannt: „Zwischen Rostock und Freiburg liegen 900 Kilometer, da frag ich mich: Wovor läuft die Frau davon?“ So geht es für Tanja mit dem alten Volvo ins Breisgau, sie landet im Polizeirevier Freiburg-Süd. Und dort hat quasi ein Familienclan das Heft in der Hand. Das erfährt sie auf der Geburtstagsfeier für Patriarchin Dorothea im Stammlokal von Daniel (Rüdiger Klink): Dennis ist ihr Neffe, Doreen (Julika Jenkins) die Phantombildzeichnerin, Dominik (Valentin Erb) der Rechtsmediziner, David (Daniel Friedl) der Polizeimeister. Und alle heißen: Danzeisen. Das ganze Revier ist verwandt, verschwägert und mittendrin: Tanja.
Der erste Fall konfrontiert die Neue mit einer toten Silke Bär (Maria Helgarth). Die Journalistin war hinter einem schrägen Typen her, stieg mit einem Fotoapparat im Wald in dessen Transporter, wurde entdeckt, floh und wurde von dem Mann verfolgt. Arthur Bär (Andreas Borcherding), Vater der Toten, steckt Tanja, dass seine Tochter wegen Korruptionsverdacht ausgerechnet im ihrem neuen Revier recherchiert hat. Hat der Danzeisen-Clan etwas mit ihrem Tod zu tun? Schließlich macht der Compliance-Beauftragte (Sebastian Löwe) so merkwürdige Andeutungen. Eine heiße Spur führt zum vorbestraften Olaf „Opi“ Pieper (Marc Rissmann), der regelmäßig Kurierfahrten für eine Dentalfirma unternimmt. Doch da gibt es ein Problem: Der ist ein guter Kumpel von Kommissar Dennis. Tanja bleibt dran. Doch dann geraten Zahntechniker Marcel Häberli (Alexander Finkenwirth) sowie dessen Mitarbeiterin und Geliebte Marie Faber (Anna Hausburg) ins Visier der Ermittler. Die beide hatten kürzlich erfolglos versucht, einen Rapper (Imad Mardnli) um viel Geld zu betrügen.
Familienbande, Vetternwirtschaft , ein flirtender Kommissar, ein Rapper mit Diamanten im Mund und eine neugierige, geradlinig agierende Ermittlerin: „Bullenstall“, der Auftakt zur neuen ZDF-Krimireihe „Breisgau“, ist ziemlich vollgepackt. Die Autoren Michael Vershinin und Andreas Heckmann setzen mehr auf Figuren und Konstellationen als auf einen handfesten Fall und Spannung. Heckmann hat bisher eher Serien geschrieben, einige Folgen von „Tierärztin Dr. Mertens“ und „Heiter bis tödlich – Akte Ex“. Vershinin kennt man auch unter dem Namen Michael Illner, er bevorzugt seit einigen Jahren seinen neuen Ehenamen. Er wurde bereits in den 1990er-Jahren mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet für „Polizeiruf 110 – Totes Gleis“, hat in den letzten Jahren sieben Drehbücher zur Reihe „Der Usedom-Krimi“ und zwei zur Reihe „Krimi aus Passau“ beigesteuert. Auch da geht es um regionale Eigenarten. Und so steht nun der Breisgau rund um Freiburg im Mittelpunkt. Die ARD hat die Region vor Jahren auch entdeckt, den Schwarzwald-“Tatort“ aus der Taufe gehoben. Nun zieht das ZDF nach. Die neue Reihe erinnert allerdings eher an die regionalen Schmunzel-Krimiserien, die die ARD vor einigen Jahren im Vorabend ausufernd produzierte und ausstrahlte. Spaß geht vor Spannung, der Mordfall ist nur Garnierung, die Typen und die Region stehen im Vordergrund.
Zum Start hat man sich einen Krimi-erfahrenen Regisseur geholt: Thomas Jauch hat mehr als zwanzig „Tatort“-Krimis gedreht – von „Lastrumer Mischung“ bis „Tanzmariechen“. Dass er aber auch das leichte Fach beherrscht, bewies er kürzlich mit der Komödie „Einmal Sohn, immer Sohn“. Er spielt mit einer nicht ungewöhnlichen Konstellation: Kommissarin wechselt die Region und muss sich dort erst zurecht finden. Mit dem Weg von Rostock nach Freiburg hat man fast die größte Entfernung zwischen zwei Städten in dieser Republik gewählt. So kommt das Nordost-Licht in den Südwesten, wo man Dialekt spricht, jeder jeden kennt und die Welt noch fast heile ist. Locker-leicht führt Jauch seine Protagonisten durch den Fall, lässt den jungen Single-Kommissare die Neue ein wenig anbaggern. Die erste Begegnung beginnt gleich mit einer durch einen Sturz verursachten engen Umarmung. Und diese clandestine Organisation im Revier lässt Jauch viele Spielmöglichkeiten und hält auch für weitere geplante Folgen der Reihe noch reichlich Stoff parat. Ein bisschen bieder und bemüht kommt der Humor daher – ob der Schweizer Unternehmer, der im Kampfanzug zur Bundesheerübung aufbricht oder der Rapper MC D‘ecsta Sy, der mit seinen Bodyguards in die Zahnarztpraxis kommt, um sich die Zähne mit funkelnden Diamanten aufpeppen zu lassen. So richtig witzig ist das alles nicht, eher platt. Das wird auch nicht besser, wenn der junge Polizeimeister auf dem Revier einen Song des Rappers zum Besten geben darf. So lacht man im Zweiten.
Katharina Nesytowa kommt als Ermittlerin sympathisch rüber. Die 36jährige deutsch-russische Schauspielerin hat sich über die ZDF-Telenovela „Wege zum Glück“ als Arzthelferin über den Ableger des ARD-Dauerbrenner „In aller Freundschaft“ zur „jungen Ärztin“ hochgearbeitet hat, bewies früh in Dominik Grafs Grimme-Preis-Abräumer „Im Angesicht des Verbrechens“ (2010) oder der Top-Krimireihe „Zorn“ (2014-19), dass sie mehr draufhat. Aktuell spielt sie die Hauptrolle in der unkonventionellen Top-Serie „Wir“. Mit Joscha Kiefer als Kollege Dennis bildet sie ein Paar, noch beruflich, aber – da muss man kein Prophet sein – auch privat knistert es bereits. Und was inhaltlich zu erwarten ist, das bringen die beiden ZDF-Redakteure Martin R. Neumann und Florian Weber im Presseheft zu der Reihe auf den Punkt: „Dennis & Co. wirtschaften zwar nicht in die eigene Tasche, aber sie nehmen von den (kriminellen) Reichen und geben den Bedürftigen. Eine Art Robin Hood 2.0 im Schwarzwald? Die Polizistin in Tanja sagt: No way! Die Tanja in der Polizistin sagt: Wie, wenn nicht so?“. Spaß geht vor Spannung in diesem Schmunzelkrimi, der ursprünglich als „Samstags-Krimi“ konzipiert war, zum Start aber am Mittwoch läuft, auf einem Sendeplatz, auf dem auch „Marie Brand“ gern mal ermittelt. Fazit: „Breisgau – Bullenstall“ ist leicht, lustig, launig, mitunter auch ein bisschen langweilig. Da bleibt noch (viel) Luft nach oben.