Es existieren bislang zwar nur zwei Filme mit dem Titel „Das doppelte Lottchen“, aber Geschichten über zwei Mädchen, die als kleine Kinder getrennt worden sind und sich Jahre später zufällig begegnen, sind im internationalen Kino immer wieder erzählt worden. Tatsächlich hatte Erich Kästner, von den Nationalsozialisten mit einem Berufsverbot belegt, ursprünglich einen Film im Sinn. Als sich das Projekt nicht realisieren ließ, hat er einen Roman daraus gemacht, der 1950 von Josef von Báky verfilmt wurde. 1994 gab es eine weitere Adaption („Charlie & Louise – Das doppelte Lottchen“, Regie: Joseph Vilsmaier). Dass die Handlung 75 Jahre nach dem ersten Entwurf womöglich noch besser funktioniert als damals, hat auch mit den grundsätzlichen Qualitäten der zeitlos schönen, von tiefem Humanismus geprägten Kästner-Romane zu tun, in denen die Kinderfiguren mit großer Empathie geschildert werden. Vor allem jedoch ist das Thema Trennung heute ein ganz anderes als damals. Als das Buch nach dem Zweiten Weltkrieg erschien, galt eine Scheidung noch als unschicklich, ganz zu schweigen von alleinerziehenden Müttern, die zudem noch berufstätig sind.
Niko Ballestrem hat die Grundzüge der Geschichte in seinem ersten verfilmten Drehbuch daher auch kaum verändert: Die zehnjährige Lotte, talentierte Pianistin, gut in der Schule, ansonsten aber eher zurückhaltend, verbringt die Sommerferien in einem traumhaft schön gelegenen Ferienhort am österreichischen Wolfgangsee. Einige Tage nach ihr trifft ein Mädchen ein, das Lotte wie aus dem Gesicht geschnitten, aber von völlig anderem Wesen ist: Die burschikose Luise ist ein impulsiver Wildfang und avanciert dank ihrer Erzählungen aus Afrika, wo sie mit ihrem Vater die letzten Jahre verbracht hat, umgehend zum Star des Ferienheims. Weil sie so verschieden sind, können sich die beiden erst mal nicht ausstehen, aber als sich Lotte voller Heimweh in den Schlaf weint, wird sie von Luise getröstet; so werden die beiden buchstäblich über Nacht Freundinnen. Alsbald finden sie raus, dass sie am selben Tag in Freiburg zur Welt gekommen sind, und beschließen, die Rollen zu tauschen, um ihr jeweils anderes Elternteil kennenzulernen: Luise fährt nach Frankfurt zu ihrer Mutter Charlize (Alwara Höfels), einer Journalistin, Lotte nach Salzburg zu Vater Jan (Florian Stetter), einem bekannten Musiker, der am Mozarteum eine Kinderoper neu arrangiert.
Wie gut die Geschichte in die heutige Zeit passt, zeigt sich nicht zuletzt beim technischen Fortschritt: Während die Kinder in den früheren Verfilmungen in ihren jeweils neuen Umgebungen rätseln mussten, mit wem sie’s gerade zu tun haben, machen sie jetzt ein Foto mit dem Smartphone und schicken es der Schwester. Ihre regelmäßigen SMS-Botschaften werden zum Glück nicht vorgelesen, sondern als Comicsprechblasen eingeblendet. Das Klavierspiel kann Luise vermeiden, indem sie eine Sportverletzung am Arm vortäuscht. Dafür wundert sich ihre Mutter nun, dass Lotte das Kochen verlernt hat, sich aber mit einem Mädchen anlegt, das eine Mitschülerin mobbt. Jan wiederum nimmt erfreut zur Kenntnis, dass die bislang von ihm selbst unterrichtete Luise eine richtig gute Schülerin ist. Als sich zwischen Jan und Leni (Mina Tander), der Leiterin des Opernprojekts, eine Liebesbeziehung anbahnt, droht der Plan der Mädchen, die Eltern wieder zu vereinigen, zu platzen.
Hinter den Kulissen: Zwei Zwillingsmädchen am Set
Die Produzentin von „Das doppelte Lottchen“ ist die frühere Bavaria-Geschäftsführerin Uschi Reich, die 1998 mit „Pünktchen und Anton“ zum ersten Mal einen Kästner-Roman adaptiert hat. Es folgten „Emil und die Detektive“ sowie „Das fliegende Klassenzimmer“; außerdem war sie mit den Filmreihen „Bibi Blocksberg“ und „Die wilden Hühner“ für einige der größten deutschen Kinderfilmerfolge verantwortlich. Für „Das doppelte Lottchen“ haben fünfzig Zwillingspaare vorgesprochen, aber Mia und Delphine Lohmann sind der Produzentin schon beim ersten Casting positiv aufgefallen. Zu den Dreharbeiten sagt sie: „Wer mich kennt, weiß, dass ich die Arbeit mit Kindern liebe. Es geht spontaner zu am Drehort, lustiger, die Regisseure und Setmitarbeiter benehmen sich besser, weil Kinder ja keine Schauspieler sind und eine friedliche Atmosphäre brauchen, um sich entfalten zu können. Das entspricht auch mir. Dreh ist Lebenszeit, und die mag ich gern in Harmonie verbringen. Einen Film zu machen ist wie ein Haus zu bauen. Es gibt Probleme genug.“ Weil man mit Kindern nur wenige Stunden am Tag drehen darf, werden bei vielen Produktionen Zwillingspaare für ein und dieselbe Rolle engagiert. Das war in diesem Fall natürlich nicht möglich: „Beide Mädchen waren immer am Set. Mit liebevoller Strenge wachte die Aufnahmeleiterin Ranke Rakowski darüber, dass die Kinderarbeitszeiten eingehalten wurden, auch wenn der Regisseur gern manchmal noch die eine oder andere Einstellung gedreht hätte. Der komplette Dreh mit zwei Kameras, der wunderbare Drehort, an dem sich die Kinder fast selbst wie in Ferien gefühlt haben, und die großartige Kinderbetreuung durch Hannah Laimer haben ihnen das Leben am Set so leicht wie möglich gemacht. Aber 26 Tage sind es dann doch geworden. Neben all dem Spaß, den Mia und Delphine hatten, haben sie auch gelernt, dass es harte Arbeit ist, einen Film zu drehen.“ tpg
Die ARD zeigt „Das doppelte Lottchen“ Ostersonntag ab 14 Uhr. Das ist einerseits in Ordnung, denn ähnlich wie die weihnachtlichen Märchenadaptionen ist der Film Familien-Fernsehen im besten Sinn. Andererseits ist die Ausstrahlung am frühen Nachmittag bei womöglich schönem Wetter gerade während der Ferien fast eine Verschwendung. Die Geschichte würde auch um 20.15 Uhr prima funktionieren, zumal sie nicht nur komisch und romantisch, sondern auch spannend ist (als Lotte im Ruderboot mitten auf dem See schutzlos einem Unwetter ausgeliefert ist). Auch die Besetzung ist eines abendlichen Sendetermins würdig; in weiteren Rollen wirken unter anderem Oliver Wnuk als Jans Gitarrist und bester Freund sowie Margarita Broich als Leiterin des Ferienheims mit. Die Stars sind jedoch die Zwillinge Delphine und Mia Lohmann, und das keineswegs bloß, weil sie auch die Hauptrollen spielen. Die Mädchen sind offenbar Naturtalente, zeigen sowohl im Spiel wie auch bei den Dialogen keinerlei Schwäche und sind jederzeit glaubhaft. Das mag auch mit ihrem Naturell zu tun haben: „Die Rollen passen super zu uns, weil ich wirklich die wildere bin und Delphine die bravere“, zitiert das ARD-Presseheft Mia, die die Luise spielt. Nicht nur die Filmfiguren, auch die jungen Darstellerinnen haben die Rollen getauscht. Das klingt zwar selbstverständlich, ist es aber nicht. Angesichts der strengen Auflagen, die bei Dreharbeiten mit Kindern beachtet werden müssen, hätten die Filmemacher auch entscheiden können, sämtliche Szenen bei Vater und Mutter mit jeweils demselben Mädchen zu drehen, um Zeit zu sparen.
Respekt gebührt auch Lancelot von Naso, für den dieser Film ungewöhnlich ist, jedenfalls gemessen an seinem bisherigen Schaffen: Nach dem sehenswerten Debüt „Waffenstillstand“ (2009) hat der Regisseur mit Ausnahme des Thrillers „Mein Mann, ein Mörder“ ausschließlich für die ZDF-Krimireihe „Kommissar Marthaler“ gearbeitet. Hier beweist er, dass er auch die romantische Komödie beherrscht. Die Musik von Klaus Doldinger, die gelegentlich auch den afrikanischen Reggae von Jans Band aufgreift, beschert dem Film eine ausgesprochen positive Stimmung. Für weitere Heiterkeiten sorgen kleine Einfälle wie Luise stürmische Begrüßung einer älteren Frau (Hera Lind), die aber keineswegs ihre Oma, sondern eine Zeugin Jehovas ist, sowie Oliver Wnuk, weil seine Figur buchstäblich allergisch auf Line reagiert: Er muss schon niesen, selbst wenn nur die Rede von ihr ist. Sein Hund Pepperl hat den Rollentausch natürlich sofort durchschaut. Irgendwann ist auch Charlize so weit. Anders als bei Kästner sagt ihr der mütterliche Instinkt, dass die vermeintliche Lotte in Wirklichkeit Luise ist; und auch das Ende des Films ist der heutigen Zeit angemessen. (Text-Stand: 24.3.2017)