Lautlos ziehen die Staubsauger-Roboter ihre Bahnen, Türen, Musik- und Lichtanlage reagieren auf Zuruf, beim Zähneputzen analysiert das Smart Home den Eisen- und Calcium-Mangel seines Bewohners, und der Kühlschrank bestellt den Lebensmittel-Nachschub eigenständig. Alles, was die computergesteuerten Smart Homes heute bereits können, kann auch der Titelheld im Fernsehfilm „Das Haus“: die ausladende, imposante Villa von Johann (Tobias Moretti) und Lucia Hellström (Valery Tscheplanowa), gelegen irgendwo auf einer kleinen Insel vor einer nicht näher bezeichneten Küste. Die Handlung spielt in der nahen Zukunft, im Jahr 2029. Das dystopische Szenario knüpft an moderne, bereits bekannte Technologien an und dreht die Schraube ein Stück weiter. Anfangs wirkt das alles recht harmlos. Als sich Johann und Lucia auf der Terrasse eine Zigarette anzünden, schließt sich die Tür von selbst. „Es wittert einen Giftgasangriff“, witzelt Johann Hellström.
Weniger harmlos hat sich die politische Lage in Europa entwickelt. Die Demokratien stehen auf der Kippe. Journalist Johann Hellström wurde vier Wochen vor der Wahl wegen einer angeblich fehlerhaften Recherche entlassen und flieht nun mit seiner Frau in das Refugium im Meer. Das Haus ist eine luxuriöse Trutzburg – und ein angeblich geschlossenes System ohne Verbindung zum Internet. Da ist es leider nicht ganz logisch, dass es dennoch bei Farhood (Samir Fuchs) Lebensmittel ordern oder zum Beispiel aktuelle Fernseh-Nachrichtensendungen abrufen kann. Unverkennbar ist das Stanley-Kubrick-Zitat: Der alles steuernde Computer des Smart Homes erinnert mit seinem kreisrunden, rot schimmernden „Auge“ stark an HAL 9000 aus dem Kubrick-Klassiker „2001 – Odyssee im Weltraum“ von 1968. Filme und Serien, in denen sich die mit Künstlicher Intelligenz (KI) gefütterte Maschine den Menschen untertan macht, sind seit langem ein eigenes SciFi-Filmgenre. Im Gegensatz zu HAL 9000 und ungeachtet der längst entwickelten Sprachassistenten bleibt das Haus in „Das Haus“ allerdings stumm, was sein Eigenleben erst recht bedrohlich macht.
Parallel zum zunehmend rätselhaften Treiben des Hauses eskaliert „Spiegel“-Journalist Dirk Kurbjuweit in seiner dem Drehbuch (Patrick Brunken, Rick Ostermann) zugrundeliegenden Kurzgeschichte auch den politischen Hintergrund. Neben dem von Chefredakteur Paschke (Hans Jochen Wagner) gefeuerten Johann befürchtet auch seine Frau, zur Zielscheibe von antidemokratischen Kräften zu werden. Anwältin Lucia hatte vor Gericht Aktivistin Layla (Lisa Vicari) vertreten. Dann ereignet sich ein Bombenanschlag auf eine Polizei-Einheit mit vielen Toten. Als „geistiger Brandstifter“ wird Journalist Hellström öffentlich denunziert, der unterdessen eine Maschinenpistole findet – weil ihn das Haus zielstrebig zum Versteck führt. Die Waffe hatte Lucia in Laylas Auftrag versteckt. Ein vom Haus gefilmtes Video eröffnet Johann außerdem, dass seine Frau mit Paschke Sex hatte – „weil er mich erpresst hat“, wie Lucia beteuert. Ohnehin hatte sie schon das Gefühl: „Das Haus mag mich nicht.“
Drinnen wie draußen spitzt sich die Situation zu, aber „Das Haus“ bleibt ein kühl inszeniertes Kammerspiel mit gelegentlichen Ausflügen in die herrliche Naturumgebung. Das großzügige, einsam auf einer Insel platzierte Bauwerk mit seinen vielen verschiedenen Räumen und Perspektiven hat durchaus etwas von einem Raumschiff. Der postmoderne Luxus wirkt alles andere als heimelig, häufig sind die Bilder in kaltes oder düsteres Licht getaucht. Und die Musik von Stefan Will transportiert kongenial Spannung und Atmosphäre in dieser fremdartigen Zukunftswelt. Im Gegensatz zu „Freunde“, das Rick Ostermann ebenfalls inszenierte, bleibt es nicht bei einem Zwei-Personen-Stück plus Haus, denn Lalya und ihr Aktivistenfreund Alex (Max von der Groeben) sind auf der Flucht und suchen ebenfalls Unterschlupf. Großartig vor allem die Top-Besetzung mit Tobias Moretti und Valery Tscheplanowa, die sich einen aufreibenden, prickelnden Beziehungs-Zweikampf auf Augenhöhe liefern, aber nicht zu exaltiertem Spiel neigen. Das passt, denn hier wird trotz der spektakulären Kulisse kein dystopisches Spektakel, auch kein auf Effekt getrimmter Horror aufgeführt. Der Kontrollverlust vollzieht sich langsam und leise, beinahe unbemerkt. Und weil die Algorithmen hier nicht aus purer Überlegenheit die Macht über den Menschen übernehmen, sondern eigentlich nur Gutes tun wollen, wird der Ansatz vieler Filme aus diesem Genre klug variiert. (Text-Stand: 20.11.2021)