Die Kamera folgt einer Frau einige Meter durch das Untergeschoss eines Bahnhofs, wendet sich dann einem Mann zu und entdeckt schließlich eine Person, die auf dem Boden sitzt. Neugierig fährt sie um die Ecke, schaut ihr ins Gesicht, zieht sich zurück und offenbart den Blick auf ein Bild, das wie eine Pietà wirkt. Die zwei jungen Frauen erinnern in der Tat an eine der unzähligen Marien-Darstellungen mit dem Leichnam Jesu: Der Kopf der einen ist in den Schoß der anderen gebettet; auch ihr Schlaf ist endgültig… Dieser Prolog zum siebten Fall für das Quartett der Leipziger Mordkommission verdeutlicht bereits, wo die große Stärke des Films liegt: „Das Schweigen“ ist vorzüglich fotografiert und vor allem der Bildgestaltung (Bjorn Haneld) wegen sehenswert. Regie führte Elmar Fischer, dessen Filme ohnehin grundsätzlich sehenswert sind. Seine letzte Arbeit fürs ZDF, „Die Whistleblowerin“ (2023), war ein fesselnder Mix aus Romanze, Drama und Polit-Thriller; eins seiner bislang besten Werke war „Unterm Radar“ (2015) mit Heino Ferch und Christiane Paul, ebenfalls ein fesselnder Thriller und eine bittere Parabel auf die Willkür des Überwachungsstaates.
An die Qualität dieser Filme reicht die „Quartett“-Premiere des Regisseurs allerdings nicht heran, was zum einen an der nicht sonderlich aufregenden Geschichte (Buch: Jonni Remmler, Judith Angerbauer), zum anderen an einigen darstellerischen Diskrepanzen liegt. Sehr eindrucksvoll ist Emma Floßmann, zumal ihre Rolle über weite Strecken stumm bleibt und sie nicht den Fehler begeht, umso eifriger mimisch zu kommunizieren; anfangs starrt Julia Kuschke nach der Ermordung ihrer Zwillingsschwester in einem von den Überwachungs-Kameras nicht erfassten toten Winkel der Passage ohnehin bloß ins Leere. Ihr wichtigster Szenenpartner ist Anton Spieker: Linus Roth, das Technikgenie des Quartetts, sonst zumeist als typischer Nerd abgestempelt, entwickelt dank seiner eigenen Erfahrungen als Außenseiter viel Empathie für die unter Schock stehende junge Frau und gewinnt ihr Vertrauen. Trotz ihres Schweigens bekommt das Team rund um Maike Riem (Anja Kling) recht bald heraus, um wen es sich bei den beiden Schwestern handelt. Ein Besuch bei den drogensüchtigen Eltern von Julia und Anna führt jedoch nicht nur in sozialer Hinsicht ans andere Ende des Spektrums und bleibt auch nicht die einzige darstellerische Schwäche; allerdings sind schon weitaus größere Mimen an der Herausforderung gescheitert, „nach unten“ zu spielen.
Weitaus glaubwürdiger sind die Szenen an einem gänzlich anderen Schauplatz. Die Fotos auf Annas Kamera führen Riem und ihren Kollegen Hofherr (Shenja Lacher) dank Roths Internetrecherche in einen gesellschaftlichen toten Winkel: In einem schon lange leerstehenden Gebäude an der Peripherie Leipzigs hat vor einigen Jahren der Aussteiger Raphael Wegner (Torben Liebrecht) eine Gruppe überwiegend weiblicher verletzter Seelen um sich geschart. Um herauszufinden, ob der wie ein Sektenführer verehrte Mann etwas mit Annas Tod zu tun hat, gibt sich Pia Walther (Annika Blendl) als traumatisiertes Opfer ihres gewalttätigen Ex-Freunds aus und lässt sich auf ein gewagtes Experiment ein. Wegner will den Menschen helfen, sich ihren Dämonen zu stellen, und natürlich fragt sich Walther, ob er womöglich ebenfalls ein Dämon ist.
Sonderlich spannend ist das alles trotzdem nicht, selbst wenn die Handlung um einen etwas undurchsichtigen früheren Sittenkollegen Hofherrs bereichert wird: Der ist auf eine Weise in die Sache verstrickt, die ihn nicht mehr unbefangen ermitteln lässt. Eine Shakespeare-kundige Hausmeisterin (Jana Julia Roth) weist beizeiten darauf hin, dass Männern mit diesem Vornamen ohnehin nicht zu trauen ist; Mathis Reinhardt sorgt dafür, dass der Polizist auch darstellerisch interessant ist. Dennoch stand der wichtigste Mann dieses Films hinter der Kamera: gerade Bjorn Hanelds Lichtarbeit ist beeindruckend und lässt sogar die vielen Revierszenen kunstvoll erscheinen. Den produktionell preiswerten, filmisch jedoch denkbar uninteressanten häufigen Autofahrten kann allerdings auch der Kameramann keine reizvollen Aspekte abgewinnen. Nicht gänzlich neu, aber in diesem Rahmen ungewöhnlich genug ist dagegen die Idee, Emma Floßmann die Kamera in die Hand zu drücken und sich selbst filmen zu lassen, als Julia in den Räumen der Mordkommission Besuch von ihrer Mutter bekommt: eine clevere Idee, die die körperliche Reaktion der jungen Frau unmittelbar überträgt.