Das Bessere ist des Guten Feind, und des Schlechten sowieso: Das gilt selbstredend auch für die darstellenden Künste. Wer einen in der Branche voller Respekt als „Theatertier“ verehrten Bühnenkoloss wie Thomas Thieme in sein Ensemble holt, nimmt in kauf, dass sämtliche weiteren Mitwirkenden verblassen. Eine Szene gegen Ende der vierten Episode aus der Leipziger ZDF-Krimireihe „Das Quartett“ verdeutlicht dies sehr anschaulich: Die anderen schreien, Thieme flüstert. Immerhin entspricht die Besetzung dem Status seiner Rolle. Er spielt einen der führenden Köpfe aus der Zeit der friedlichen Revolution, aber schon der Titel deutet an, dass „Dunkle Helden“ zum Kummer von Teamchefin Maike Riem auch die Geschichte eines Denkmalsturzes ist: Walter Temper war das Idol ihrer Jugend, seinetwegen ist sie 1989 auf die Straße gegangen, aus seiner Rede auf dem Hof der Nikolaikirche – „Lügner werden früher oder später fallen“ – kann sie heute noch zitieren. Diese Konfrontation ist überaus reizvoll, zumal Anja Kling die Bewunderung vermutlich gar nicht spielen brauchte; ihre Haltung gegenüber Thieme dürfte von ähnlich viel Hochachtung geprägt sein.
Leider ist Vivian Naefes Film in vielen anderen Szenen unnötig plakativ. Das beginnt bereits mit dem Prolog: Im Fernsehen läuft ein Beitrag über Temper und seinen Sohn. Jan (Alexander Khuon) hat ein Buch über seinen Vater geschrieben; außerdem kandidiert er für den Posten des Bürgermeisters. Der Mann, der sich den Bericht anschaut, trägt einen Kapuzenpulli; das Kleidungsstück ist im TV-Krimi grundsätzlich gleichbedeutend mit der Einblendung „Achtung, ein Verdächtiger!“ Als Temper senior über Wahrheit und Wahrhaftigkeit spricht, tritt der Mann in den Flachbildschirm, was zumal in Zeitlupe völlig überzogen wirkt, aber typisch für den Stil der Reihe ist: „Das Quartett“ hat von Anfang an daran gekrankt, dass die Teammitglieder keine Menschen wie du und ich sein sollten. Der eine (Anton Spieker) lebt im Cyberspace und hat von der Bürgermeisterwahl nichts mitbekommen, obwohl die ganze Stadt plakatiert ist, die andere (Annika Blendl) fährt regelmäßig aus der Hand und lässt sich zu Taten hinreißen, die den Klagen über Polizeigewalt im richtigen Leben erheblichen Vorschub leisten würden, und dem dritten (Shenja Lacher) unterlaufen in dieser Episode ständig Missgeschicke, weil er einen Talisman verloren hat, der ihn vor bösen Geistern schützen soll.
Diese Mätzchen wären überhaupt nicht nötig, denn die Krimistory ist dank der verschiedenen Ebenen richtig gut: Das Drehbuch (Andrea Deppert, Martin Behnke) kombiniert die klassische Mördersuche mit einem Familiendrama und würzt die Handlung mit schmutzigen Wahlkampftricks. Umso bedauerlicher, dass der Film deutliche Mängel hat. Das Team trifft am Tatort ein, eine weibliche Leiche liegt mit unübersehbarer klaffender Kopfwunde auf dem Boden, und Riem stellt fest: „Sieht aus, als wär’ sie durch einen Schlag auf den Hinterkopf getötet worden.“ In einem Sketch von Loriot würde nun jemand „Ach was!“ sagen. Bei der Überprüfung der telefonischen Verbindungen zeigt sich, dass Manuela Weidner als letztes Jan Kemper angerufen hat, aber der hat sein Mobiltelefon angeblich schon vor Wochen verloren. Die Familie versichert zwar, die Tote nicht zu kennen, doch dank des guten Auges von Technikgenie Roth (Spieker) stellt sich raus, dass Manuela kurz zuvor in eine Lesung Kempers gestürmt ist und die Familie als „Lügner und Betrüger“ beschimpft hat; die Eltern des Kandidaten waren ebenfalls zugegen. Die Ermittlungen konzentrieren sich zunächst jedoch auf Georg (Vladimir Burlakov), Manuelas spätpunkigen Sohn, der in der linken Szene aktiv ist und Psychopharmaka nimmt. Sie wollte nach dem Mauerfall die Welt sehen und hat ihn damals Kind weggegeben; dafür hat er nun sich womöglich gerächt. Die Pflegefamilie, in der der Junge zunächst aufgewachsen ist, waren die Kempers, der ältere Jan hat Georg immer für seine Aufmüpfigkeit bewundert; und jetzt wird die Geschichte richtig interessant.
Grimme-Preisträgerin Naefe („Einer geht noch“, 1999) ist eine ungemein erfahrene Regisseurin, weshalb die verschiedenen Aussetzer umso unverständlicher sind. Wenn Pia Walther (Blendl) einer kooperationsunwilligen jungen Hausbesetzerin den Arm auf den Rücken dreht, damit sie mit der Sprache herausrückt, und anschließend „Geht doch“ sagt, ist das eher lächerlich als empörend. Diverse Dialoge zwischen den Teammitgliedern wirken ohnehin wenig glaubwürdig, was den Eindruck verstärkt, dass die Mitwirkenden nicht in ihren Rollen aufgehen. Nach wie vor ein faszinierendes Alleinstellungsmerkmal sind dagegen die späteren Tatortbegehungen per 360-Grad-Video; auf diese Weise fallen Riem und Walther gleich zwei Details auf, die entscheidend zur Lösung des Falls beitragen. Die wiederum ist wenig originell, zumal sich versierte Krimifans die Antworten auf die wichtigsten Fragen ohnehin längst zusammengereimt haben dürften; und den tragischen Ausgang der Geschichte teilt der Film beiläufig im Epilog mit. (Text-Stand: 10.2.2022)