Das Logistikzentrum ist riesig, überall Pakete und Förderbänder, es herrscht emsige Betriebsamkeit – bis eine erhebliche Störung die Automatismen zum Stillstand bringt. Schon der Einstieg zum fünften Krimi mit dem titelgebenden Quartett vom K14 in Leipzig ist ungewöhnlich und interessant, aber die Geschichte wird noch viel besser, weil das Drehbuch schließlich einen völlig unerwarteten Haken schlägt. Zunächst jedoch geht die Handlung ihren gewohnten Krimigang: Maike Riem (Anja Kling) und ihr Team sprechen erst mit Sarah Graf (Alina Levshin), der Chefin des erstochenen Paketboten, und dann mit der Witwe (Lodi Doumit). Die Familie ist vor einigen Jahren aus Syrien nach Deutschland geflohen. In seiner Heimat war Diab Essa Anwalt, hier bereitete er sich neben seiner Arbeit für den Online-Riesen Kurion im Abend-Studium auf die Rückkehr in seinen Beruf vor. Die Chefin lobt ihn als „besonderen Mitarbeiter“. Er sei „päpstlicher als der Papst“ gewesen, heißt es, und so wurde er auch genannt: der Papst.
Aber der Papst hatte Feinde, wie sich herausstellt: Nicht jeder mochte seine Pingeligkeit. Außerdem hat er maßgeblich zur Aufklärung des Diebstahls von Retouren beigetragen. Der entsprechende Kollege ist entlassen worden und hat sich offenbar mit einer Tracht Prügel revanchiert. Essas Mörder ist er jedoch nicht: Der ehemalige Junkie hatte einen Rückfall und ist an einer Überdosis gestorben. Dafür stößt das Team auf eine andere Spur: In den letzten Wochen ist der penible Paketbote mehrfach von seinem minutiös durchgetakteten Routenplan abgewichen. Dank des GPS-Protokolls lässt sich nachweisen, dass er in einem Wohnhochhaus regelmäßig mehr Zeit verbracht hat als vorgesehen. Dort lebt Melissa Kurtz (Anke Retzlaff), mit der Essa jedoch keineswegs, wie sein zorniger Sohn (Shadi Eck Jens) vermutet, eine Affäre hatte, im Gegenteil: Der Krieg hat den Mann wieder eingeholt. Melissa war IS-Mitglied und ist nach ihrer Rückkehr mit einer vergleichsweise milden Strafe davongekommen, weil sie nicht an Kriegshandlungen teilgenommen, sondern sich in einem Camp um die Kämpfer gekümmert hat. Die junge Frau wird vom BKA observiert, und der Einsatzleiter (Rainer Bock) ist ziemlich erbost, als sich Computergenie Roth (Anton Spieker) die Verschlussakte kurzerhand unter Umgehung des Dienstwegs besorgt.
Bis zu diesem Zeitpunkt hat das Drehbuch (Willi Kubica, Janosch Kosack) bereits diverse hochinteressante Fragen angerissen. Besonders faszinierend sind zunächst die elektronischen Details im Zusammenhang mit dem Tatort: Wer das Kurion-Gebäude betreten will, bekommt ein Armband, das jeden Schritt protokolliert. So lässt sich exakt nachvollziehen, wer sich wann wo aufgehalten hat. Dank der Daten findet Roth heraus, dass eine Mitarbeiterin auffällig oft zur gleichen Zeit wie der Retourendieb zur Arbeit gekommen ist, was der Handlung einen reizvollen Exkurs beschert: Alexandra Albrecht (Amelie Kiefer) nimmt regelmäßig an sogenannten Robot-Wars statt, eine Art „Transformers“-Zweikämpfe im Kleinformat. Für die Aufklärung des Falls ist das zwar zunächst völlig unerheblich, aber der Besuch einer solchen Veranstaltung hat immerhin zur Folge, dass Pia Walther (Annika Blendl) auf einem Video, das Essa von Melissa Kurtz aufgenommen hat, den Schauplatz wiedererkennt. Jetzt schlägt die Handlung eine Richtung ein, die selbst erfahrene Krimifans verblüffen dürfte, und das wird nicht der letzte Haken bleiben, denn auch Kurion-Managerin Sarah Graf hütet ein Geheimnis.
Eine weitere Qualität von „Tödliche Lieferung“ liegt in der Umsetzung. Die Kamera (Mathias Neumann) ist passend zur temporeichen elektronischen Musik (Dominik Giesriegl) auffällig agil, Farbgebung und Lichtsetzung sorgen für eine hochwertige Optik; gerade die Beleuchtung eines offenbar in einer Industriebrache untergebrachten Techno-Clubs ist sehr besonders. Bei Innenaufnahmen liegt gern ein leichter Dunst in der Luft. Im Unterschied zur nüchternen Hightech-Anmutung des Unternehmens (die Szenen sind in einem großem Logistikzentrum im Süden von Berlin nahe dem Flughafen BER entstanden) strahlen die Buchhandlung, in der Djamilla Essa arbeitet, sowie die Räume im Revier eine fast schon übertriebene Behaglichkeit aus. Die kärglich möblierte Wohnung von Melissa Kurtz ist dagegen in kühles Grau getaucht; ein klares Signal dafür, dass die Bewohnerin noch nicht in ihrem neuen Leben angekommen ist. Die ersten vier „Quartett“-Filme sind von Vivian Naefe inszeniert worden, diesmal führte Christian Theede Regie; seine letzten Beiträge zu Reihen wie „Die Toten vom Bodensee“, „Solo für Weiss“ oder „Der Dänemark-Krimi“ waren ebenfalls ausnahmslos sehenswert.
Widerspruch provoziert dagegen nach wie vor die Rolle von Annika Blendl: Pia Walthers mangelnde Impulskontrolle streift zuweilen die Grenze zur unfreiwilligen Lächerlichkeit, erst recht im Vergleich zu der Ruhe, mit der Shenja Lacher seine Rolle als Vierter im Bunde verkörpert. Pias Beziehungsprobleme sind im Gegensatz zu Maike Riems Trauer um ihren ebenfalls den Drogen zum Opfer gefallenen Bruder für die Handlung ohnehin völlig unerheblich. Seltsam auch, dass der Vorspann nach wie vor ihren Briard Theo zeigt, sich im Revier aber ein Border Collie tummelt. (Text-Stand: 17.1.2023)