So stellt sich Lieschen Müller das dekadente Frankreich vor der Revolution vor: allüberall Wollust und Intrigen. Und damit es von vornherein keinen Zweifel darüber gibt, wer die Bösen sind, müssen sich sämtliche Darsteller ausgesucht unsympathisch aufführen. Als einzige klaren und reinen Blicks inmitten all der Sexmonster: die unschuldige Angelique, von Bettina Zimmermann allerdings als sehr moderne Schönheit verkörpert. Selbst ihr Göttergatte hat Dreck am Stecken, und das nicht zu knapp. Trotzdem ist die Trauer selbstredend groß, als er im finstern Wald feige gemeuchelt wird. Praktischerweise hat der Ehegespons noch ein Bruderherz, das man, wie frau so sagt, auch nicht von der Bettkante schubsen würde. Hier aber enden die Parallelen vorerst, denn Angeliques Schwager zeigt sich widerspenstig.
Einfaches Mädel vom Lande trotzt allen Versuchungen, kämpft sich kompromisslos durch und schafft es bis in den höchsten Adel. Solche Geschichten haben junge Frauen früher verschlungen. Ob man auch heute noch ein junges Publikum damit ködern kann, ist fraglich. Für Männerhände ist die Geschichte ohnehin viel zu zart, auch wenn Frau Zimmermann in der Tat ein Augenschmaus ist. Autorin Brigitte Blobel und Regisseur Karl Kases erzählen Angeliques Geschichte (nach einem Exposé der Bohlen-Biografin und „Bild“-Texterin Katja Kessler) so überraschungsarm, dass man meist erahnen kann, was passieren wird. Das gilt für den Anschlag auf Angeliques Herzog (Stefan Jürgens) ebenso wie für den Polizeidirektor des armen Udo Schenk, der mittlerweile dermaßen verbraucht ist als Verbrechervisage, dass man seiner Figur schon beim ersten Auftritt das Schlimmste unterstellt.
Prompt erweist sich der Ordnungshüter als schlimmster Finger, und Angelique hat ihr Motiv für Teil 2: Berryer verdingt die Ärmsten der Armen als Zwangsarbeiter. Jeder weiß Bescheid, jeder guckt weg. Und als sich die selbst ernannte Retterin von Witwen und Waisen allzu sehr gegen das Unrecht engagiert, landet sie prompt selbst im Gefängnis. Ein richtiger Kostümschinken also mit allem, was das Herz der Zuschauerin begehrt. Ein kurzes Alibi-Degenduell zwischen den beiden ungleichen Brüdern ist der einzige Tribut an ein zufälliges männliches Publikum. Und natürlich die wild- und schwarz gelockte Bettina Zimmermann, eine unbotmäßige Heldin, die dem verruchten Adel mit angemessener Respektlosigkeit begegnet. Das ganze Gesocks bettelt in Blobels Unsittengemälde regelrecht um die Revolution.
Regisseur Karl Kases scheint im Übrigen vielsagende Blicke für seine Spezialität zu halten. Die Figuren werfen gerade nach Gesprächen mit Intimfeinden derart hingebungsvoll mit Blicken um sich, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann: Das hat der Regisseur zuvor extra proben lassen. Dafür erheitert Blobel mit unfreiwillig absurden Dialogen. „Der Mensch ist ein Käse, aber Gott ist der Ozean“, predigt Angeliques Privatpfarrer; auch er aber, das sei zu seiner Ehrenrettung erwähnt, war längst in ihr Dekolletee geplumpst.