Ein Hotelangestellter, der in seiner Freizeit im Rahmen eines Online-Spiels auf Hexenjagd geht, ist eines Tages überzeugt, eine Kollegin sei mit dem Teufel im Bunde. Ein Student stellt schockiert fest, dass das mysteriöse Haustier seines Onkels seine tiefsten Wünsche erfüllt, dabei allerdings über Leichen geht. Das Bewerbungsgespräch einer jungen Frau wandelt sich erst zum Psychoduell mit einer vermeintlichen Konkurrentin, läuft dann völlig aus dem Ruder und kulminiert schließlich in die Erkenntnis, dass der Schutz des menschlichen Lebens als Direktive mitunter auch hinderlich sein kann: Die Kurzgeschichten, die Alexander Adolph und Eva Wehrum unter dem Sammeltitel „Die nettesten Menschen der Welt“ erzählen, wirken wie eine Anthologie, für die sich Stephen King und Philip K. Dick zusammengetan haben; der eine als Spezialist für das Grauen, das sich in den Alltag schleicht, der vor gut vierzig Jahren verstorbene Science-Fiction-Autor als Verfasser von Vorlagen für Hollywood-Filme wie „Blade Runner“, „Total Recall“ oder „Minority Report“.
Dass derlei mittlerweile selbst im „Ersten“ möglich ist, wo solche Stoffe traditionell verpönt waren, weil sich dafür angeblich bloß Minderheiten interessieren, ist nicht zuletzt den Umwälzungen der Medienlandschaft zu verdanken: Will die ARD das Publikum unter fünfzig im Bereich Fiction nicht komplett an die Streamingdienste verlieren, muss sie seine Seh-Erwartungen zumindest in der Mediathek erfüllen (im Hauptprogramm werden die Kurzfilme nach Mitternacht versendet). Wie groß die Lust auch im Bereich Schauspiel auf Produktionen jenseits der üblichen TV-Genres Krimi, Drama und Komödie ist, belegen die Namen prominenter Mitwirkender wie Silke Bodenbender, Fabian Hinrichs und Axel Milberg. Schon allein die Darbietung Jörg Schüttaufs als verschwörungsgläubiger Hotelhausmeister ist ein großes Vergnügen.
Für den zweifachen Grimme-Preisträger Adolph („Tatort: Im freien Fall“, „Unter Verdacht“, 2002/03), der sich gemeinsam mit Wehrum auch die ZDF-Reihe „München Mord“ ausgedacht hat, ist das Mystery-Genre ebenfalls Regie-Neuland. Der Reiz der Geschichten, eine Hommage an TV-Klassiker wie die US-Reihe „Twilight Zone“, besteht in der King’schen Konfrontation ganz normaler Menschen mit Ereignissen, die ihren Horizont übersteigen; bis die Handlung plötzlich kippt und ihren doppelten Boden offenbart, mitunter erst in der letzten Szene. Typisch für dieses Erzählkonzept ist der erste Film, „Lill“: Eine Mutter (Bodenbender) kommt abends nach Hause und steigert sich in eine an Panik grenzende Sorge um ihre scheinbar spurlos verschwundene schwerkranke Stieftochter Lill (Hannah Schiller). Tatsächlich hockt die junge Frau verängstigt im Kleiderschrank, weil sie überzeugt ist, finstere Mächte wollten sie entführen, um ihre spezielle Begabung zu erforschen.
Zu den besonderen Merkmalen der Reihe gehören nicht zuletzt die visuellen Effekte. Wenn Lill mit ihren Händen Feuer formt und Bodenbender plötzlich wie einst Goldie Hawn in „Der Tod steht ihr gut“ ein Loch von der Größe eines Handballs im Bauch hat, durch das man hindurchschauen kann, ist das durchaus eindrucksvoll. Gleiches gilt für einen Spezialeffekt, als die harmlose Aussage „Es kriecht in dich hinein“ alptraumhafte Wirklichkeit wird. Das eigens für die Doppelepisode „Häxan“ kreierte Online-Spiel ist ebenfalls optisch überzeugend. Clever auch die Idee, Personen ins Zentrum zu stellen, die zunächst unscheinbar wirken: hier das kranke Mädchen, dort Portier Mika (Sebastian Urzendowsky), der nur in der virtuellen Realität ein Held ist, oder Student Marten (Anton von Lucke), dem es nach Ansicht seines Vaters (Milberg) erheblich an Ehrgeiz und Charisma mangelt, weshalb sich Kommilitonin Anne (Lena Klenke) lieber mit seinem Mitbewohner (Liam Mockridge) vergnügt.
Eine große Freude sind zudem die Verzahnungen der allesamt mit einem Augenzwinkern erzählten Geschichten, weil die Figuren auch in den anderen jeweils knapp zwanzigminütigen Episoden auftauchen. Mal laufen sie nur durchs Bild, mal spielen sie eine entscheidende Rolle. Martens Onkel (Fabian Hinrichs) zum Beispiel, der Haustierbesitzer („Elmchen“), ist als Personalchef an dem Bewerbungsgespräch („Junior“) beteiligt, bei dem auch Bodenbender wieder mitwirkt. Dass sich die Begebenheiten größtenteils in Lills Nachbarschaft zutragen, ist natürlich gleichfalls kein Zufall, wie sich beim Epilog von „Häxan“ zeigt; ansonsten funktionieren die Filme komplett unabhängig voneinander. Den Titelsong mit der kraftvollen Zeile „Vor deinem Fenster stirbt die Nacht“ hat Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow beigesteuert, der auch einen kleinen Auftritt als Hotelgast hat, und die immer wieder zu sehenden Comicstrips im Manga-Stil stammen von Hannah Schiller, deren Zeichentalent Adolph während der Dreharbeiten entdeckte. (Text-Stand: 19.6.2023)