Vermutlich muss man Friese sein, um die Unterschiede zwischen den Sportarten Klootschießen und Boßeln zu verstehen. Beide Wettbewerbe zeichnen sich dadurch aus, dass schwere Kugeln mit einer bestimmten Wurftechnik so weit wie möglich geworfen werden müssen. Boßeln war vor einigen Monaten bereits ein bereicherndes Element für einen Film aus der ARD-Reihe „Reiff für die Insel“ (Episode: „Katharina und der große Schatz“). Gleiches gilt nun für das angeblich noch ältere Klootschießen, dem die dritte „Friesland“-Episode ihren Titel verdankt. Im Gegensatz zum romantischen Inseldrama spielt der Sport im Friesenkrimi allerdings nur eine untergeordnete Rolle, was schade ist, denn die etwas bizarr anmutende Freizeitbeschäftigung hätte vielleicht ein bisschen Pep in die Geschichte gebracht.
Die Bücher zu den ersten beiden sehenswerten Filmen der Reihe stammten vom Duo Arne Nolting und Jan Martin Scharf (zuletzt „Club der roten Bänder“). Die dritte Episode ist von Timo Berndt, einem jener Vielschreiber, die sich in allen Genres tummeln. Bei der Übergabe scheint jedoch Einiges verloren gegangen zu sein: Der Humor ist längst nicht mehr so witzig und subtil wie gerade im ersten Film, die Geschichte wirkt recht konstruiert, und die beiden Hauptfiguren, das Kleinstadt-Polizistenduo Jens Jensen (Florian Lukas) und Süher Özlügül (Sophie Dal) hat sich weder individuell noch als Team weiterentwickelt. Außerdem werden einige Zuschauer den Filmauftakt mit dem Ausruf „Schon wieder ’ne Moorleiche!“ kommentieren. Immerhin hat das ZDF, das im Januar 2016 mit „Das Mädchen aus dem Totenmoor“ noch über 8 Millionen Menschen erreicht hat, dieses Mal auf den sonst obligaten Schlüsselbegriff im Filmtitel („Tod“ oder „Mord“) immerhin einmal verzichtet.
Ansonsten aber ähnelt die Handlung dem üblichen Moor-Muster: Eine Klootkugel landet in unmittelbarer Nähe einer Leiche. Der Tote entpuppt sich als lokaler Fußballstar, der vor rund 20 Jahren spurlos verschwunden ist. Alle im Ort war damals überzeugt, dass die als krankhaft eifersüchtig bekannte Marlies Jell (Susanna Simon) ihren Mann umgebracht hat. Bei der Obduktion der Leiche durch Hobby-Gerichtsmedizinerin Insa Scherzinger (Underberg) zeigt sich indes, dass der Kicker erschossen worden ist; Gattin Marlies ist damals ergebnislos auf Schmauchspuren untersucht worden. Trotzdem richtet sich der Zorn der Kleinstädter auch jetzt wieder gegen die Witwe; einem Mordanschlag fällt indes ihre Schwester zum Opfer.
Zuschauer, die die Qualität eines Krimis daran messen, wie rätselhaft die Handlung ist und wie rätselhaft und mehrschichtig die Figuren sind, werden von „Klootschießen“ enttäuscht sein. Wer hier Dreck am Stecken hat, steht ebenso außer Frage wie die Tatsache, dass Susanna Simon, die im melodramatischen Fach mehr und mehr zur Nachfolgerin von Gudrun Landgrebe wird, in dieser Geschichte nicht das Opfer spielt. Auch Michael Hanemann muss als Stiefvater von Marlies derart grimmigen Blicks durchs Gebüsch schleichen, dass zumindest seine Mitwisserschaft offenkundig ist; und selbstredend hat auch der arrogante Arzt (Dirk Martens), der den Fußballer einst operiert hat, irgendetwas auf dem Kerbholz. Und der Mordversuch ist gleichfalls ein durchsichtiges Täuschungsmanöver.
Leider bleiben auch die festen Ensemblefiguren jede Überraschung schuldig. Florian Lukas ist kaum gefordert, Sophie Dal immerhin attraktiv; aber in den ersten Filmen hat es deutlich stärker zwischen Jens und Süher geknistert. Hier beschränkt sich die Beziehungsebene auf die mehrfache Betonung, beide seien als Single glücklich, was selbstredend durch ihr Verhalten konterkariert wird, wenn andere Männer bzw. Frauen auftauchen. Und während Süher bislang eine Frau mit Geheimnissen war, was die Figur interessant gemacht hat, ist sie jetzt bloß noch hübsch. Spaß macht immerhin Felix Vörtler als notorisch schlecht gelaunter Kommissar Brockhorst aus Wilhelmshaven, dem die Friesen grundsätzlich suspekt sind. Außerdem regt er sich dauernd auf, obwohl Insa Scherzinger ihm das wegen seines hohen Blutdrucks ausdrücklich verboten hat; die wenigen Szenen von Vörtler und Underberg sind schon deshalb schön, weil die Apothekerin dem Kommissar immer wieder den Wind aus den Segeln nimmt. Da diesmal der Bestatter (Stockhaus) eine entscheidende Rolle spielt (er war Freund & Trainer des Toten und liebte dessen Frau, was ihn verdächtig macht), ist es doppelt schade, dass sich die Mitwirkung Matthias Matschkes auf den ersten Film beschränkt hat.
Regisseur des Films ist Markus Sehr, der 2011 mit seinem sehenswerten Kinodebüt „Eine Insel namens Udo“ (mit Kurt Krömer) auf sich aufmerksam gemacht hat. Sein erster TV-Film ist allerdings völlig unauffällig inszeniert. Einige Handlungsabzweige sind zwar umständlich, aber immerhin hübsch eingefädelt, doch unterm Strich ist das angesichts der sonstigen Qualität, die das ZDF samstags zu bieten hat, viel zu wenig. (Text-Stand: 30.1.2015)