Helen Dorn – Der deutsche Sizilianer

Anna Loos, Tristan Seith, Benedict, Stötzner, Friedemann Fromm. Streunende Hunde

Foto: ZDF / Georges Pauly
Foto Tilmann P. Gangloff

Der vorzügliche zwanzigste Krimi aus der stets sehenswerten Reihe mit Anna Loos wandelt sich zur Tragödie, als Helen Dorn im Verlauf ihrer Ermittlungen auf ein altes familiäres Geheimnis stößt. Das Drehbuch von Grimme-Preisträger Friedemann Fromm beeindruckt ohnehin durch seine zunehmende Komplexität, zumal „Der deutsche Sizilianer“ (ZDF / Network Movie) allem Drama zum Trotz stellenweise verblüffend witzig ist. Bildgestaltung und Musik haben hohes Niveau, auch kleinste Nebenrollen sind prägnant besetzt.

Viele Menschen haben ein Geheimnis, das sie, wenn überhaupt, nur mit wenigen Vertrauten teilen. Wenn es sich um ein düsteres Ereignis handelt, sind diese dunklen Seiten meist eine Bürde. Wer um sie weiß, kann daran arbeiten. Manchmal tragen Menschen jedoch eine Last, von deren Existenz sie keine Ahnung haben, weil sich die entsprechenden Vorfälle womöglich noch vor ihrer Geburt ereignet haben; sie werden von einem Gewicht erdrückt, das sie nicht abschütteln können. Das ist das Thema dieser vortrefflichen zwanzigsten „Helen Dorn“-Episode; und betroffen ist ausgerechnet die stets so unerschütterlich wirkende Titelheldin.

Helen Dorn – Der deutsche SizilianerFoto: ZDF / Georges Pauly
Luisa (Liane Forestieri) ist realistischer als ihr Vater Toni (Peter Benedict): Sie glaubt, dass sie beide in Deutschland nicht sicher sind. Diese Geschichte des „deutschen Sizilianers“ ist nur eine in Friedemann Fromms komplexen, dichten Drehbuch.

Friedemann Fromm, der mit „Der deutsche Sizilianer“ und meist nach eigenem Drehbuch seinen sechsten Film in Folge für die ZDF-Krimireihe gedreht hat, beginnt die Geschichte jedoch völlig anders. Ein älterer Mann und seine Tochter geraten nach einer Rundfahrt durchs Alte Land in einen Überfall auf eine Tankstelle vor den Toren Hamburgs, machen allerdings kurzen Prozess mit den Angreifern, die sich für ihr Verbrechen eindeutig den falschen Tag ausgesucht haben: Beide werden von der Tochter, die sich als Personenschützerin ihres Vaters entpuppt, erschossen. Gerade die Tötung des zweiten Mannes wirkt auf LKA-Kommissarin Dorn (Anna Loos) bei der Rekonstruktion des Tathergangs allerdings wie eine Hinrichtung. Videoaufnahmen gibt es nicht, das Überwachungssystem ist ausgerechnet heute defekt.

Für ein erkennungsdienstliches Verfahren gibt es laut Dorns Chef (Stipe Erceg) keinen Anlass, schließlich haben sich Antonio Vizzante (Peter Benedict) und seine Tochter Luisa (Liane Forestieri) aus Palermo nichts zuschulden kommen lassen. Mit einem Trick beschafft sich Dorn trotzdem die Fingerabdrücke des Sizilianers, und tatsächlich gibt es einen Treffer: Der Mann hieß einst Ole Jacobsen, stammt aus dem Alten Land und ist 1965 als Teenager spurlos verschwunden, nachdem seine Eltern bei einem Brand auf ihrem Hof gestorben sind. Vizzante gilt als ehrenwerter Geschäftsmann, er ist ein wichtiger Handelspartner der Obstbauern in der Umgebung, aber es gab immer wieder den Verdacht, sein Unternehmen sei bloß Fassade für einen schwunghaften Drogenhandel; nachzuweisen war ihm das jedoch nie. Für Dorns Vorgesetzten ist der Fall damit erledigt, doch die Kommissarin ahnt: Hier stimmt was nicht; erst recht, als sie rausfindet, dass sich Vizzantes Tochter wenige Tage vor dem Überfall offenbar mit den Räubern getroffen hat. Der Überfall wäre dann bloß eine Inszenierung.

Soundtrack:Nancy Sinatra („Bang Bang“), Neil Diamond („Juliet”), Guns’n’Roses („Welcome To The Jungle”), Jane Birkin & Serge Gainsbourg („Je t’aime … moi non plus”), Sigur Rós („Dauðalogn”)

Helen Dorn – Der deutsche SizilianerFoto: ZDF / Georges Pauly
Das Zusammenspiel von Anna Loos & Tristan Seith als Kriminaltechniker ist auch diesmal ein zuverlässiger Quell kleiner Freuden.

Schon dieser Teil der Geschichte ist fesselnd, aber zu einem besonderen Krimi wird „Der deutsche Sizilianer“, als Dorn entdeckt, dass der Fall sie ganz persönlich betrifft: Vater Richard (Ernst Stötzner), ehedem ebenfalls Polizist, kannte Vizzante. Der Italiener ist in seine alte Heimat zurückgekehrt, um mit der Vergangenheit abzuschließen und sich auf dem einstigen Hof seiner Eltern zur Ruhe zu setzen: „Ohne Land bist du kein Mensch, sondern ein streunender Hund“, belehrt er seine Tochter. Den heutigen Besitzern hat er ein Angebot gemacht, das sie nicht ablehnen konnten. Als Dorn den grundsätzlich nicht gerade gesprächigen Richard zur Rede stellt, sucht er sein Heil erst in Ausflüchten und macht sich dann tatsächlich aus dem Staub. Spätestens jetzt ahnt die Kommissarin, dass ihr Vater und die verstorbene Mutter ein Geheimnis gehütet haben, das auch auf ihren Schultern lastet.

Schon allein die stetig zunehmende Komplexität der zudem durch Rückblenden angereicherten Geschichte, die sich vom Krimi zum zweifachen Familiendrama und schließlich zu einer klassischen Tragödie wandelt, ist faszinierend; das Bild der streunenden Hunde gilt für alle vier zentralen Figuren. Trotzdem gibt es einige heitere Momente, die vor allem deshalb witzig sind, weil Helen Dorn doch eigentlich durch und durch humorlos ist. Das Zusammenspiel von Anna Loos und Tristan Seith als Kriminaltechniker Weyer ist ohnehin ein zuverlässiger Quell kleiner Freuden, erst recht, seit der Spurensucher hoffnungslos in die Kollegin Isabella Alighieri (Nagmeh Alaei) verliebt ist und entsprechend eifersüchtig reagiert, als sich die Rechtsmedizinerin anscheinend auf ein Techtelmechtel mit Luisa Vizzante einlässt. Neben der Bildgestaltung (Heinz Wehsling) und der Musik (Ina Meredi Arakelian) beeindruckt „Der deutsche Sizilianer“ nicht zuletzt durch die prägnante Besetzung selbst der kleinsten Nebenrollen; auf diese Weise hinterlässt zum Beispiel Emmy Pilawa in den Rückblenden als Vizzantes Jugendliebe einen bleibenden Eindruck.

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Reihe

ZDF

Mit Anna Loos, Tristan Seith, Peter Benedict, Ernst Stötzner, Nagmeh Alaei, Liane Forestieri, Stipe Erceg, Bärbel Schwarz, Riccardo Campione, Emmy Pilawa

Kamera: Heinz Wehsling

Szenenbild: Frank Godt

Kostüm: Nana Kolbinger

Schnitt: Richard Krause

Musik: Ina Meredi Arakelian

Redaktion: Daniel Blum

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Lasse Scharpen

Drehbuch: Friedemann Fromm

Regie: Friedemann Fromm

Quote: 5,30 Mio. Zuschauer (22,7% MA)

EA: 23.11.2024 20:15 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: 30.11.2024 20:15 Uhr | ZDF

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