KI – Die letzte Erfindung

Lisa Bitter, Daniel Donskoy, Hanig/Baumgarten, Christian Twente. Neue Götter

Foto: ZDF / Oliver Ziebe
Foto Tilmann P. Gangloff

Der Titelzusatz des sehenswerten Science-Fiction-Dramas „KI – Die letzte Erfindung“ (ZDF / Gruppe 5) bezieht sich auf die Sorge, dass eine ausgereifte Künstliche Intelligenz den menschlichen Erfindungsgeist fortan überflüssig machen würde. Ungleich größer ist allerdings die Furcht, sie könnte die Weltherrschaft übernehmen. Darum geht es in diesem im Auftrag der „Terra X“-Redaktion entstandenen Film jedoch nur am Rande. Zentrale Figur ist eine Programmiererin, die mit Hilfe einer von ihr entwickelten KI ihren schwerkranken Vater heilen will; auch um den Preis, den Supercomputer zu entfesseln. Weil „KI“ ein Dokudrama ist, wird der Film immer wieder abrupt unterbrochen, damit Expertinnen und Experten aufs Stichwort passende Erklärungen liefern können. Diese Einschübe sind jedoch Gift für den Handlungsfluss und lassen das Filmerlebnis wie ein Seminar wirken, bei dem ein Dozent ständig die Vorführung stoppt, um bestimmte Szenen zu analysieren.

Der Blick in eine rundum rosige Zukunft wäre ähnlich langweilig wie ein Krimi ohne Verbrechen; deshalb sind literarische und filmische Utopien in der Regel Dystopien. Dabei geht es gern um die Furcht vor einer unkontrollierbaren Technik. Das Spektrum reicht vom Supercomputer HAL in Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ (1968) bis zum Krieg gegen die Maschinen in James Camerons „Terminator“-Saga (seit 1984). Der Schrecken all’ dieser Geschichten basiert darauf, dass der Mensch Kräfte entfesselt hat, die das Kommando übernehmen. Hätte zum Beispiel eine Künstliche Intelligenz den Auftrag, den Klimawandel zu stoppen, würde sie vermutlich recht bald zu dem Schluss kommen, dass der Planet ohne den Homo sapiens besser dran wäre. Dieses Szenario bildet so etwas wie die Vorbemerkung des Films „KI“: Eine Insel nahe Hawaii ist plötzlich unbewohnbar, weil das von einer Software entwickelte Pflanzenschutzmittel zwar sanft zu Bienen ist, aber nicht zu Menschen.

KI – Die letzte ErfindungFoto: ZDF / Oliver Ziebe
Als der Gesundheitszustand ihres Vaters rapide abnimmt, muss Vida (Lisa Bitter) sich entscheiden: Setzt sie die Künstliche Intelligenz ein, an der sie arbeitet frei, um ihren Vater zu retten oder schreckt sie vor den unberechenbaren Konsequenzen zurück?

Weibliche Hauptfigur des Dramas ist KI-Entwicklerin Vida (Lisa Bitter), die den amerikanischen KI-Code entschlüsselt hat. Ihr Chef, Mark Reinhard (Thomas Heinze), hat einen Weg gefunden, der garantieren soll, dass der Geist in der Flasche bleibt: Die Software hat keinen Zugriff auf die Welt außerhalb ihres Computers. Außerdem können ihr nur Ja/Nein-Fragen gestellt werden, damit sie niemanden manipulieren kann. Als Vida mit Hilfe der KI eine Therapie für ihren an der Muskelschwundkrankheit ALS erkrankten Vater sucht, helfen ihr Ja/Nein-Antworten jedoch nicht weiter. Lisa Bitter verkörpert die stets dunkel gekleidete Programmiererin betont distanziert; eine schwarze Perücke und dunkle Kontaktlinsen lassen Vida noch düsterer wirken. Emotionaler Gegenentwurf ist die männliche Hauptfigur: Rechtsanwalt Tom (Daniel Donskoy) wird nicht mehr gebraucht, eine KI hat seinen Job übernommen. Ein Schulfreund gibt ihm den Tipp, den Kontakt zu einer früheren Mitschülerin aufzunehmen: Es war Vida, die diese KI entwickelt hat. Sie verrät ihm das Geheimnis ihrer sprunghaft gewachsenen Intelligenz: Ein ins Gehirn implantierter Chip hat ihren IQ regelrecht explodieren lassen. Als sich Tom ebenfalls auf diese Weise optimieren lässt, kommt es prompt zur Beziehungskrise: Freundin Mari (Halima Ilter) fühlt sich ihm nicht mehr gewachsen.

KI – Die letzte Erfindung
Als Tom (Daniel Donskoy) seinen Job als Anwalt verliert, möchte er sich eine Chip ins Hirn implantieren lassen, um so wieder konkurrenzfähig zu werden. Halima Ilter

„KI – Die letzte Erfindung“ ist nicht im Auftrag der ZDF-Fernsehfilmabteilung, sondern der „Terra X“-Redaktion entstanden und auch kein reiner Spielfilm: Immer wieder wird die Handlung abrupt unterbrochen, damit Expertinnen und Experten aufs Stichwort passende Erklärungen liefern können. Das stört den Handlungsfluss enorm. Im Sinne des ungetrübten Rezeptionsgenusses wäre es geschickter gewesen, den Film um eine Dokumentation zu ergänzen. Davon abgesehen ist „KI“ deutlich gelungener als das kürzlich im „Ersten“ ausgestrahlte Drama „Zero“. Das gilt auch für den Zukunftsentwurf. Die Anmutung ist zwar insgesamt ähnlich kühl und farblos wie in vielen anderen vergleichbaren Science-Fiction-Dramen, weshalb Vidas knallroter Nagellack umso stärker auffällt, aber die optische Umsetzung wirkt aufwändiger und stimmiger: Panoramabilder von Berlin zeigen diverse Wolkenkratzer, im Hintergrund rattern nicht die bekannten S-Bahnen, sondern sausen lautlose Hochbahnen durchs Bild. Dank spezieller Linsen führen die Menschen Videotelefonate quasi vor ihrem geistigen Auge, Computermonitore sind virtuell, und als Tom sein „Upgrade“ bekommen hat und zur wandelnden Enzyklopädie geworden ist, wird er mit Informationen über seine Umgebung regelrecht überschüttet. Ein reizvoller Kontrast zum futuristischen Ambiente ist die Song-Auswahl: Die elektronische Filmmusik wird durch Klassiker aus den Achtzigern ergänzt. Interessanteste Nebenfigur und mehr als bloß eine Ergänzung des Ensembles ist Lorna zu Solms: Reinhards Tochter Ricarda hört gern Oldies, fährt Skateboard und will die Schule schmeißen, weil Roboter sämtliche Arbeiten übernehmen. Darüber hinaus erfreut das Drehbuch (Florian Hanig; Überarbeitung Tamar Baumgarten-Noort) durch Details am Rande: Tom und Vida haben einst das Greta-Thunberg-Gymnasium besucht, und die Programmiererin arbeitet am Berliner Konrad-Zuse-Zentrum; die nach dem Erfinder des Computers benannte Einrichtung gibt es wirklich, sie heißt mittlerweile nur Zuse-Institut.

Dramaturgisch folgt „KI“ dem üblichen Thrillermuster: Vida wird von der Polizei gejagt, dann folgt eine lange Rückblende über die Ereignisse der letzten drei Monate. Regie führte Christian Twente, dessen Inszenierung recht statisch ist. Er hat fürs ZDF unter anderem „Uli Hoeneß – Der Patriarch“ (2015, mit Thomas Thieme), „Karl Marx – Der deutsche Prophet“ (2018, mit Mario Adorf) oder „Stunden der Entscheidung“ (2019, über die „Wir schaffen das“-Stunden von Angela Merkel) gedreht. Diese Filme waren „echte“ Dokudramen, boten also eine schlüssige Mischung aus Spielszenen, Archivmaterial und Interviews. Die Ausführungen der diversen internationalen Sachverständigen (darunter auch „Terra X“-Koryphäe Harald Lesch) sind durchaus interessant: Die einen warnen davor, eine Künstliche Intelligenz zu entfesseln, weil wir, wie der frühere WikiLeaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg warnt, auf diese etwas „erschaffen, das mächtiger wird als wir selbst“; die anderen freuen sich auf eine schöne neue Welt. Darauf bezieht sich auch der Titelzusatz „Die letzte Erfindung“: Eine ausgereifte KI würde den menschlichen Erfindungsgeist überflüssig machen. Die Einschübe lassen das Filmerlebnis jedoch wie ein Seminar wirken, bei dem ein Dozent ständig die Vorführung stoppt, um bestimmte Szenen zu analysieren.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Lisa Bitter, Daniel Donskoy, Halima Ilter, Thomas Heinze, Abak Safaei-Rad, Lorna zu Solms, Hans Brückner, Johannes Ahn, Agnes Mann

Kamera: Martin Christ, Dominik Moos

Szenenbild: Eva Bertlings, Jörg Fahnenbruck

Kostüm: Lena Wolf, Christina Künstler

Schnitt: Ramin Sabeti

Musik: Rudi Moser

Soundtrack: The Cure („Boys Don’t Cry“), Lili van de Cosmic („Wiedersehen”)

Redaktion: Friederike Haedecke, Johannes Geiger, Martin R. Neumann

Produktionsfirma: Gruppe 5

Produktion: Stefan Schneider

Drehbuch: Florian Hanig, Tamar Baumgarten, Christian Twente

Regie: Christian Twente

EA: 06.11.2021 20:15 Uhr | 3sat

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