Mord mit Aussicht – Staffel 4

Wackernagel, Schwarz, Bühnen, Rotter, Sehr. Gegensätze ziehen sich an & machen Spaß

Foto: ARD / Frank Dicks
Foto Rainer Tittelbach

Sieben Jahre musste die seit der Premiere 2008 stetig wachsende Fangemeinde von „Mord mit Aussicht“ auf ein neues Lebenszeichen aus dem fiktiven Hengasch warten. Nun geht die Serie in die vierte Staffel. Beim dramaturgischen Konzept setzen die Macher auf das, was sich in 39 Folgen und einem Fernsehfilm bewährt hat. Die Gegensätze zwischen dem dörflichen Mikrokosmos mit seinen eingefahrenen Strukturen und der in die Eifel strafversetzten Großstädterin sind nach wie vor die Urquelle der Komik. Und die Polizeiwache und die konträren Arbeitsauffassungen bleiben das Herzstück der Serie. Die drei Hauptdarsteller wurden allerdings ausgetauscht. Das ist erst mal schwer gewöhnungsbedürftig. Die sechs, in Tonlage und Gangart sehr abwechslungsreichen Folgen mit ihren Schmunzel-Jokes, den Running Gags, den amüsanten Hengascher Eigenheiten und einem eher beiläufigen, nie überpointierten Sprachwitz bleiben aber solide Familien-Unterhaltung und sind durchaus eine Bereicherung für den ARD-Seriensendeplatz am Dienstag.

Sieben Jahre musste die seit der Premiere 2008 stetig wachsende Fangemeinde von „Mord mit Aussicht“ auf ein neues Lebenszeichen aus dem fiktiven Hengasch warten. Nun geht die Serie in die vierte Staffel. Einige Zuschauer werden sich die Augen reiben: Denn vom bewährten Ensemble um Caroline Peters, Bjarne Mädel und Meike Droste sind allein Petra Kleinert als mittlerweile verwitwete Heike Schäffer, Michael Hanemann als Oberstinkstiefel Hans Zielonka und Patrick Heyn als Medicus Dr. Bechermann übriggeblieben. Was Hauptcharaktere und Geschichte angeht, setzt Autor Johannes Rotter alles auf Anfang: Wieder wird eine erfahrene Kommissarin aus Köln in das verschlafene Eifeldörfchen versetzt. „Nur vorübergehend“, betont Marie Gabler (Katharina Wackernagel). „Das hab ich schon mal gehört“, giftet die Alpha-Frau des Dorfes zurück. Polizeihauptmeister Heino Fuss (Sebastian Schwarz) und Kommissarsanwärterin Jennifer Dickel (Eva Bühnen) sind hingegen einfach nur baff: Hengasch soll Kripo-Stützpunkt für die Gegend werden – zuständig für Einbruch, Überfall und Mord! „Aber das haben wir hier doch gar nicht“, weiß der Kollege. Egal, die Zielvorgabe steht: „Einführung und Sicherstellung funktionierender Ordnungs- und Ermittlungsstrukturen.“ Und die Neue macht deutlich, dass sie es ernst damit meint.

Mord mit Aussicht – Staffel 4Foto: ARD / Frank Dicks
Polizeihauptmeister Heino Fuss (Sebastian Schwarz) und Kommissarsanwärterin Jennifer Dickel (Eva Bühnen) fühlen sich am Stammtisch wie zu Hause – auch während der Arbeitszeit. Und wenn die Neue auftaucht, dann ist der Gasthof ein geeigneter Ort für konzentrierte Kontrast-Komik. „Wenn wir Fremde sehen wollen, fahren wir in den Urlaub.“ Michael Hanemann, Petra Kleinert und Felix Vörtler

Beim dramaturgischen Konzept setzen die Macher auf das, was sich in 39 Folgen und einem Fernsehfilm bewährt hat. Die Gegensätze zwischen dem dörflichen Mikrokosmos mit seinen eingefahrenen Strukturen und der Großstädterin, die sich niemals freiwillig um diesen Job bemüht hätte, sind nach wie vor die Urquelle der Komik. Und die Polizeiwache bleibt das Herzstück der Serie. Es sind vor allem wieder die unterschiedlichen Arbeitsauffassungen, die für latente Spannungen im Team und beim Zuschauer für gute Laune sorgen. Gabler ist extrem strukturiert (darin unterscheidet sie sich von ihrer schusseligeren „Vorgängerin“), Fuss sieht sich eher der Dorfgemeinschaft als seiner Berufsehre verpflichtet („kostenfrei verwarnt“), und Dickel ist stets bemüht und wäre gern etwas mehr so wie ihre Chefin. Ein Ort für Kontrast-Komik ist auch der Gasthof. Hier prallen immer wieder die kleinkarierte Dorfmentalität und der sachliche Pragmatismus der schlagfertigen Hauptkommissarin aufeinander. Und wenn dem Stammtisch die Argumente ausgehen, hat irgendeiner der Altvorderen immer einen blöden Spruch parat: „Wenn wir Fremde sehen wollen, fahren wir in den Urlaub.“ Beim preiswerten Essen allerdings hört die Fremdenallergie auf: So hat sich direkt gegenüber vom Gasthof der Paschagrill etabliert. Klare Sache, dass sich die Neue mit dessen Besitzer Mehmet (Cem Ali Gültekin, „Nord bei Nordwest“) anfreundet. Einem anderen im Dorf wenig Gelittenen, dem Schweinebauern Gisbert Cremer (Kai Schumann), kommt sie sogar noch näher.

Die Krimihandlung bleibt erfreulicherweise auch in den sechs neuen Folgen ein vielfältiges Spielmaterial, um den Gegensätzen Futter zu geben: So wird der Mord als „typische Großstadtphantasie“ abgetan. Tenor, wie gehabt: Bei uns macht man so was nicht! Die stets skurrilen Geschichten sind in Tonlage und Gangart sehr abwechslungsreich: Mal weht etwas Horror-Touch durch die Szenerie, mal ist mehr Tempo drin und mal bringt Rotter sogar etwas Gefühl ins Spiel; als Marie Gabler auf ihre Hippie-Eltern trifft. Wenn eine Gruppe Althippies – wie in „Die Letzten ihrer Art“ – im Wald in einer Art heimlichem „Freilichtaltenheim“ zusammenlebt, hat das wenig mit Realismus zu tun, doch es passt zum spielerisch-komödiantischen Grundton von „Mord mit Aussicht“. Auch die Darstellung einer in esoterisch-paradiesischen Vorstellungen lebenden Gemeinschaft ist als Pendant zum dörflichen Spießerkosmos gelungen und so ironisch übertrieben, dass es nicht in die Blumenkinder-Klischeefalle tappt. Besonders viel drin‘ ist in der Wundertüte „Brenne Hengasch!“: Das ganze Dorf schaufelt beim traditionellen Backwettbewerb Apfelkuchen in sich rein, doch der kommt bald wieder raus. Denn eine mumifizierte ehemalige Lehrerin liegt tot im Silo – und man muss sich nicht lange fragen, woher das Mehl kommt für diese leckeren Appeltaats. Dann brennt es bei der Feuerwehr, Kinder werden entführt, Rachepläne geschmiedet. Besonders gelungen: Wie die Kommissarin mit Hilfe ihres Kollegen an heikle Infos zur Dorfgeschichte kommt. Im Rahmen eines Kneipenquiz‘ sind die Teilnehmer gesprächiger als sie es wären, wenn sie polizeilich befragt würden. Außerdem verspürt man in dieser „Massenszene“ wie in der gesamten Folge viel vom Geist von Hengasch.

Mord mit Aussicht – Staffel 4Foto: ARD / Frank Dicks
Mord mit Aussicht: eine mumifizierte Leiche im Silo. Was bedeutet das wohl für den Backwettbewerb des Dorfes? Würg! Katharina Wackernagel, Sebastian Schwarz, Eva Bühnen, Roland Riebeling. „Die Würfel, machen wir uns nichts vor, war wie se war.“

Auch die Neuauflage von „Mord mit Aussicht“ ist gute Unterhaltung. An das neue Ensemble muss man sich allerdings gewöhnen. Heino Fuss hat zwar die Haare schön, und Sebastian Schwarz („Frau Temme sucht das Glück“) macht seine komische Sache mehr als solide, aber ein Ausnahme-Komödiant wie Bjarne Mädel ist er nicht. Auch Eva Bühnen (engagiert am Deutschen Schauspielhaus Hamburg) als Jennifer Dickel besitzt erst einmal nicht die Präsenz und das Komikpotenzial von Meike Droste; diese hat allerdings 2008 auch vergleichsweise unbekannt in der Serie angefangen. Die Dritte im neuen Bunde, Katharina Wackernagel, besitzt zwar nicht die Theater-Erfahrung ihrer Vorgängerin Caroline Peters, entsprechend fehlt ihr das irrwitzig Verspielte, das Schräge und dieses unvergleichliche Mienenspiel. Dafür ist die 43-Jährige eine viel beschäftigte, sehr beliebte Schauspielerin, die mit Serien („Tanja“), anspruchsvollen Dramen („Contergan“, „Aenne Burda“), Krimis (Reihe „Stralsund“) und alltagsnahen Komödien („Immer wieder anders“) im psychologischen TV-Realismus verwurzelt ist. Das leichte Spiel fällt ihr zwar schwerer, dafür kann sie mit nur einem Blick Gefühl ins Spiel bringen. Und so übernimmt ihre Figur mehr die Rolle der Vernünftigen, der ordnenden Hand in einer Polizeiwache, bei dem Chaos und Schlendrian zuhause sind. Dass Gablers Sätze nicht vor Esprit sprühen, mag dem dramaturgischen Konzept und dieser Figur geschuldet sein, der der trockene Eifeler Humor abgeht. Witziger sind die Anderen.

„Mord mit Aussicht“ ist keine Comedy, der Dialogwitz zielt in der Regel also nicht auf Pointen ab. Autor Johannes Rotter, gleichermaßen überzeugend in Drama („Kehrtwende“), Krimi („Tatort – Mitgehangen“) und Komödie („Wir sind die Rosinskis“), setzt auf Beiläufigkeit und Knappheit („Normal oder wie Sie wollen“), auf Pausen und Langsamkeit. Es gibt sprachliche Gags („Ali Babi und die 40 Broiler“), neckische Albernheiten (ein Althippie redet – nicht ohne Grund – in altertümlicher Rittersprache), und Dietmars „Mann, Mann, hier ist vielleicht wieder was los“ wird bei Heino Fuss zu „Es gibt so Tage – und am Wochenende ist noch mehr los“. Apropos: „Fuss, Heino“, stellt dieser sich vor. Gabler: „Heino, wie der Sänger.“ Darauf Fuss: „Nein, Fuss wie Hand.“ Und dann sinniert er mit einem Bauern über die Tote im Silo: „Die Würfel, machen wir uns nichts vor, die war wie se war.“ Fuss: „Ja, genauso war se. Da beißt die Maus kein Faden ab.“ Das sind keine Witze, das sind Schmunzel-Jokes, die die Tonlage der Serie bestimmen und oftmals auch die Figuren charakterisieren: Als Gabler dem Schweinebauern zum zweiten Mal begegnet, spricht sie ihn auf das erste Mal an, doch er tut so, als ob er sich nicht erinnern würde: „Gesichter merk‘ ich mir nicht, ich erkenn‘ meine Schweine am Gang.“ Neben dem Plot gibt es einiges zu hören und zu sehen, denn auch die Inszenierung ist luftig Pampa-like, in den Bildern aber gibt es immer wieder kleine, feine Dinge zu entdecken Und Running Gags wie jenes Mütterchen, das bereits in den ersten Staffeln mit ihrem Rollator die Dorfstraße im Schneckentempo überquert, machen Spaß, haben Wiedererkennungswert, geben Struktur. Fazit: Dieser „Mord mit Aussicht“-Relaunch bereichert den ARD-Seriensendeplatz am Dienstag deutlich. (Text-Stand: 15.2.2022)

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WDR

Mit Katharina Wackernagel, Sebastian Schwarz, Eva Bühnen, Petra Kleinert, Michael Hanemann, Cem Ali Gültekin, Kai Schumann, Julia Schmitt, Felix Vörtler, Michael Wittenborn, Johannes Rotter, Patrick Heyn

Kamera: Tom Holzhauser

Szenenbild: Frank Prümmer

Kostüm: Elena Wegner

Schnitt: Renata Salazar Ivancan, Stefen Rocker

Musik: Andreas Schilling

Redaktion: Nina Klamroth, Elke Kimmlinger

Produktionsfirma: Claussen + Putz Filmproduktion

Produktion: Jakob Claussen, Uli Putz

Drehbuch: Johannes Rotter

Regie: Markus Sehr

Quote: (1+2): 6,88 Mio. Zuschauer (24,5% MA); (3): 5,90 Mio. (20,3% MA); (4): 5,61 Mio. (19,3% MA); (5): 5,52 Mio. (19,1% MA); (6): 5,16 Mio. (19,8% MA)

EA: 08.03.2022 20:15 Uhr | ARD

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