Mitten in der Nacht kann Kommissarin Olga Lenski (Maria Simon) keinen Babysitter für ihre vierjährige Tochter Alma auftreiben. So nimmt sie die Kleine notgedrungen mit zur Arbeit ins deutsch-polnische Kommissariat in Swiecko. Kollege Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) ist sichtlich genervt. Schließlich geht es um einen brutalen Mordfall. In einem bizarren Wald voller seltsam kahler Bäume wurde ein Mann erschlagen aufgefunden. Zeugen sahen ein Auto mit deutschem Kennzeichen UM für Uckermark vom Tatort wegfahren. Bei der Leiche handelt es sich um Janusz Kubiak, der eine Frau und zwei kleine Kinder hinterlässt. Bald stellt sich heraus, dass der Chef eines kleinen polnischen Tischlereiunternehmens erpresst wurde und ein Liebesverhältnis zu Sabrina Uhl hatte, einer Frau aus dem nahe gelegenen Wüsterow auf deutscher Seite. Dort meldet kurz darauf Liane Uhl (Kathleen Gallego Zapata), Sabrinas Mutter, ihre Tochter als vermisst. Das Auto der jungen Frau ist auch verschwunden. Enrico Schoppe (Anton Spieker), ein guter Freund von Sabrina, gelingt die Ortung ihres Wagens. Doch von ihr fehlt jede Spur. Derweil gerät Enrico mehr und mehr unter Tatverdacht. Der junge Mann schweigt beharrlich – genau wie seine Mutter Heidi (Ulrike Krumbiegel).
Der „Polizeiruf 110 – Muttertag“, termingerecht am Muttertag im Programm, ist der dritte gemeinsame Fall für Lenski und Raczek im deutsch-polnischen Grenzgebiet. Er erzählt von Müttern und ihren Kindern. Da ist die Kommissarin, die als alleinerziehende, berufstätige Mutter ein Stück weit überfordert ist und darunter leidet, dass weder sie noch ihr Kind bisher Freunde gefunden haben, seit sie vor einem Jahr von Potsdam zur neuen Dienststelle nahe Polen gezogen sind. Soll sie den Antrag auf Dienstverlängerung unterschreiben? Sie ist hin- und hergerissen. Da ist Liane Uhl, die lange um ihre verschwundene Tochter bangen muss, um dann zu erfahren, dass die tot ist. Und da ist Heidi Schoppe, die ihren Sohn bedingungslos liebt, an ihm auch Halt für ihr eigenes Leben sucht und um ihn kämpft. Der Junge ist der Prügelknabe im Dorf, wenn etwas passiert, fällt der Verdacht immer zuerst auf Enrico.
Wie weit kann und darf Mutterliebe gehen, und kann gegen diese Bindung überhaupt jemand ankommen? Dieser Frage widmet sich der RBB-„Polizeiruf“ von Anika Wangard und Eoin Moore, der auch Regie geführt hat. Beide leben in der Uckermark und haben bereits gemeinsam die Vorlage zum „Polizeiruf-110“-Zweiteiler „Wendemanöver“ (2015) geschrieben. Sie haben ein gutes Gespür für das Leben und die Menschen in diesem Landstrich. Und Moore weiß auch die karge Gegend für die Geschichte zu nutzen. Wie kleine Gemälde wirken die Landschaftsbilder, die er zeigt, die Protagonisten sind in diesen Totalen nur kleine Figuren in der Weite. Eindrucksvoll ist auch der sogenannte „Krumme Wald“. Der ist real, ist denkmalgeschützt und fast zwei Hektar groß. Der „Krzywy Las“, wie er in Polen heißt, liegt in der Nähe von Nowe Czarnowo bei Gryfino. 94 krumme Kiefern gaben ihm seinen Namen. Warum die Bäume derart gewachsen sind, ist bis heute nicht geklärt. Welches Verbrechen aber in diesem Krimidrama an diesem rätselhaften Ort verübt wurde, das haben Olga Lenski und Adam Raczek zu klären. Man erfährt im Verlauf der Geschichte verschiedene Versionen der Tat – und zunehmend wird es dann zur Gewissheit, was dort wirklich geschehen ist.
„Mutterliebe“ wird geprägt vom Spiel Ulrike Krumbiegels. Wie sie als Heidi mit ganzer Kraft für ihren Sohn kämpft, sich für ihn Anerkennung, einen Job und ein bisschen Glück wünscht, dann in ihrem Grundvertrauen in Enrico erschüttert wird, aber nicht wahrhaben will, was geschehen ist, es weg schiebt, immer wieder an ihren Sohn glaubt, sich aber letztlich eingestehen muss, dass er ein anderer ist als der, den sie in ihm sehen will, das spielt Krumbiegel herausragend. Mal äußerst behutsam, mal mit großer Intensität begibt sich die Schauspielerin mit dieser Heidi auf eine emotionale Achterbahnfahrt, auf eine Gratwanderung zwischen Wahrheit und Lüge. Trauer, Wut, Verzweiflung, Ratlosigkeit und bedingungslose Mutterliebe – all das durchlebt diese Figur. Und Kommissarin Olga Lenski? Die hat nicht nur mit dem Fall zu kämpfen, sondern auch mit ihrer eigenen Situation. Ihr Verhältnis zum Kollegen ist weiter angespannt, lockert sich allerdings ein wenig. Er bietet ihr sogar das Du an, und gemeinsam schläft man in einem Bett – unfreiwillig, da in der Pension am Ort der Ermittlungen nur noch ein Zimmer mit einem Doppelbett frei ist. „Wenn das im Büro die Runde macht“, sagt sie. Er erwidert: „Macht es eh, also können wir es auch gleich tun“. Darauf sie: „Wissen sie wie lange ich keinen Sex mehr hatte?“ Und er: „Gehen sie mal davon aus, dass das nicht stattfindet!“ Solche Auflockerungen tun dem schweren Krimidrama gut.