Am Isarwehr wird die Leiche des vierzehnjährigen Tim Kiener (Justus Schlingensiepen) gefunden. Der Junge wurde aus nächster Nähe erschossen. Es gibt kein ersichtliches Motiv für die Tat. Tim hatte weder Probleme in der Schule noch mit seinen Eltern. Wenn er nicht mit seinen Freunden Hanna (Anna Lena Klenke) und Florian (Nino Böhlau) unterwegs war, saß er am Computer. Als die Münchner Kommissare Leitmayr und Batic – fachkundig unterstützt von ihrem jungen Assistenten Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) – Tims Computer näher untersuchen, entdecken sie etwas, das sie nicht für möglich gehalten hätten. Etwas, von dem auch Tims Eltern (Caroline Ebner, Max Schmidt) keine Ahnung hatten. Der Junge hat auf einem Portal freizügige Bilder von sich angeboten und mit Männern gechattet. Ist einer dieser Kunden Tims Mörder? Eine Spur führt zu Guido Buchholz (Maxim Mehmet).
Was Kindern und Jugendlichen im Netz passiert und wer ihnen dort begegnet, darüber wissen Eltern oft sehr wenig. Denn die Kids und Teenager sind im Internet daheim, viele Erwachsene aber eher überfordert. Der “Tatort: Das verkaufte Lächeln“ erzählt die Geschichte von drei 14-Jährigen, die sich im Netz verkaufen – aus Neugier, aus Einsamkeit, wegen des Geldes und weil sie gerne mit ihrer körperlichern Verführkraft spielen und Grenzen ausloten wollen. Autor Holger Joos („Ein offener Käfig“) zeigt, dass dieses Verhalten Heranwachsender unabhängig vom Milieu ist. Er lässt seine jungen Protagonisten aus unterschiedlichen Schichten kommen: Florian wächst in einer trister Siedlung bei seiner alleinerziehenden, fürsorglichen Mutter Marina (Katharina Marie Schubert) auf, Tims Eltern haben ein Blumengeschäft und Hanna lebt in einer Welt der englisch sprechenden Hausangestellten und gehobenen Gartenpartys. Die drei sind ihren Eltern im Netz mehr als einen Schritt voraus, nutzen die Spielmöglichkeiten des Internets, ohne sich der Gefahren bewusst zu sein.
Joos spitzt zu, zeigt wohin das führen kann. Websites mit Abo-System von Jugendlichen gibt es, in den USA schon länger. Dort stieß er auf einen Fall, der ihn zum Drehbuch und der Frage inspirierte: Ob und wie kann man Kinder und Jugendliche vor Gefahren schützen, wenn diese überhaupt nicht beschützt werden wollen? Und er zeigt, dass der Glaube vieler Eltern „Wenn mein Kind zu Hause ist, dann kann ihm nichts passieren“ ein Irrglaube ist. Klingt sehr pädagogisch für einen Krimi, ist es phasenweise auch, doch überwiegend hat der Autor das bedrückende und brisante Thema in eine spannende Krimihandlung verpackt. Die Schwäche: Die Charaktere wirken allzu reißbrettartig. Da ist die mit dem Jungen überforderte Alleinerziehende, die viel arbeitenden, ahnungslosen Eltern, die realitätsfremde, reiche Mama und der Internetkunde, der nicht nur treusorgender Familienvater ist, sondern Fußballtrainer noch dazu. Ein bisschen weniger durchsichtig hätte man sich die eine oder andere Figur gewünscht. Da wird arg verdichtet. Auf der Ermittlerebene ist die Konstellation erfahrene, dramaturgisch konventionell agierende Kommissare auf der einen und junger Assistent für das Nachforschen im Netz auf der anderen Seite nicht gerade neu. Dafür entschädigt Jungspund Kalli mit frechen Sprüchen („Sie sind nicht so oft im Kino, Herr Batic“) und modernem Ermittlungs-Knowhow – von Handyortung über Videoüberwachung bis Fingerprint.
Regisseur Andreas Senn („Willkommen zuhause“) verfährt mit dem brisanten Thema filmisch sehr behutsam. Es geht nicht darum, ob die Inhalte, die die Teenager anbieten, pornografisch sind. So vermeidet er jede Form von Voyeurismus. Seine Montage lässt auch über die eher konventionelle Dramaturgie hinwegsehen. Frisch und klug inszeniert er die Mörderjagd oder verschränkt geschickt die Zeitebenen – wie beispielsweise in der Eröffnungssequenz, als er zwischen der Vorgeschichte der Tat und den Ermittlungen am Tatort geschickt hin und her blendet. Senn nimmt sich auch Zeit für sehr dichte, intensive Einstellungen der trauernden und hilflosen Eltern. Die Zeichnung der Milieus ist dezent und stimmig. Die Chats – in Filmen meist alles andere als sexy – werden pfiffig sichtbar gemacht, da hält die Kamera nicht einfach auf den Computer-Bildschirm drauf; Senn arbeitet vielmehr mit Einblendungen.
Schauspielerisch überzeugend sind Anna Lena Klenke und Nino Böhlau, beide waren auch im Kinohit „Fack ju Göhte“ zu sehen. Die beiden spielen unaufgeregt und wohldosiert – ein Zeichen guter Schauspielführung des Regisseurs. Stark auch der Auftritt von Katharina Marie Schubert in der Rolle der mit der Erziehung überforderten, aber stets bemühten Mutter… Sehr früh ist für einen Moment der Schlüssel zur Lösung des Falls erkennbar. Aber man muss schon genau hinsehen. Wer den Moment übersieht, erlebt ein spannendes Krimipuzzle. Der „Tatort – Das verkaufte Lächeln“ spielt dabei geschickt mit der Täter-Opfer-Rolle, zeigt dass das normale Schema hier nicht funktioniert. Fazit: ein klassischer Krimi in einer modernen Welt: unterhaltsam und gut – aber eben auch nicht mehr. (Text-Stand: 7.12.2014)