Der Weimarer Milliardär Alonzo Sassen fällt einem Auftragsmord zum Opfer. Daraufhin erschießt dessen blutjunge Gattin (Ruby O. Fee) den ruchlosen Killer. Wenig später verdingt sie sich als Tänzerin im „Chez Chériechen“: Als Drahtzieherin des Mordes kommt sie also nicht in Frage. Aber sie bringt Kira Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen) auf eine heiße Spur. Denn Bordell-Besitzer Fritjof „Fritte“ Schröder (Andreas Döhler) hat zumindest indirekt etwas mit dem Fall zu tun: Sein Bruder Martin (Sascha Alexander Gersak) und seine Schwägerin Cleo (Elisabeth Baulitz) haben einen Steinbruch in der Nähe von Weimar, einer von zwei potenziellen Standorten für das geplante Goethe-Geo-Museum. Den beiden droht die Insolvenz, mit dem Landverkauf an die Stadt wären sie saniert. Allerdings hatte Kunstmäzen Sassen angekündigt, der Stadt ein Grundstück für das Museum zu schenken. Da passt auch ins Bild, dass Cleo mit dem Entscheider in dieser Sache, dem Architekturprofessor und ihrem Jugendfreund Ilja Bock (Niels Bormann), wieder zärtliche Bande knüpft. Ansonsten gibt diese Familie nur Rätsel auf: Warum sagt Simone Schröder (Paula Kroh), Bocks studentische Hilfskraft, dass Fritte ihr Vater ist, während die Schröders steif & fest behaupten, Simone sei ihr Kind? Und warum haben die Brüder seit Jahren keinen Kontakt mehr? Während Dorn und Lessing sich das fragen, gibt es eine weitere Leiche.
„Der kalte Fritte“, der sechste „Tatort“ aus Weimar, reiht sich nach der etwas schwächeren Episode „Der wüste Gobi“ nahtlos ein in die Galerie der drei MDR-Meisterstücke, „Der Irre Iwan“, „Der treue Roy“ und „Der scheidende Schupo“, allesamt Kriminalkomödien, die in der deutschen Fernsehlandschaft ihresgleichen suchen. Wieder ist es ein Genre-Mix der unterschiedlichsten emotionalen Stimmungen und filmischen Tonlagen. Es geht gewohnt ge-witzt zu zwischen den Ermittlern, flapsig, neckisch & verspielt, gelegentlich wird’s grotesk, und amüsant bleibt auch der Befragungsstil des herzallerliebsten Pärchens, „dem die immer gleichen Fragen nach dem Wann, Wo und Wie so trocken und humorvoll aus dem Ärmel kullern, als wären sie eben zum ersten Mal gestellt worden“, wie es Regisseur Titus Selge treffend formuliert. Es gibt aber auch ernsthaft tragische Momente und zwei, drei Mal bohrt sich der Schmerz tief rein in die Figuren. So gipfelt die anfangs noch komische Szene mit Kommissariatsleiter Stich (Thorsten Merten), in der er sich von Dorn einige unschöne Wahrheiten über seinen Vater (Hermann Beyer) sagen lassen muss, nachdem sie ins Ernste gekippt ist, in einem tragischen Wow-Moment. Wenn Tragik in einem komödiantisch angelegten Kriminalfilm so gut gelingt, müssen Buch & Regie Vieles richtig gemacht haben. Und mehr noch. Hochdramatisch ist der Schlussakkord: Das Hauptmotiv des Films, der Rache-Hass-Vergeltungs-Komplex, wird auf einen guten Menschen projiziert. Bereits davor bricht es aus den Brüdern heraus: Da beherrschen plötzlich Gewalt und Brutalität diese Kriminalkomödie; ein jahrelang verdrängter Konflikt wird physisch ausgetragen. Und auch spannend wird es in diesem „Tatort“ – weil liebenswerte Figuren in Gefahr geraten …
Die Vielfalt sorgt für Abwechslung, dies belebt den Wahrnehmungsprozess des Zuschauers, als Qualitätskriterium taugt dies aber nur bedingt. Wichtiger ist die Art und Weise, wie diese Vielfalt produziert, wie das Unterschiedliche, das scheinbar Disparate kombiniert wird. Die Geschichte von „Der kalte Fritte“ ist an sich überschaubar, sie ist weniger kompliziert als einige Plots der Vorgängerfilme, ihnen zu folgen fällt dank eingeschränkter Motivlagen und weniger Verdächtiger relativ leicht. Allein, es fehlen die Beweise. Die Kommissare recherchieren diese in der zweiten Filmhälfte, derweil sich das Schröder-Trio selbst zerfleischt. Handlungsführung und Überführungsstrategie sind clever & sexy, maßgeblich veredelt aber wird das Ganze durch den geschickten Einsatz der Nebenhandlungen. Die Verknüpfung der Erzählstränge ist ab Minute 42 schlichtweg meisterlich. Auf dem staubigen Acker des Steinbruchs wurde ausgesät, im Puff vorgeglüht, jetzt kann geerntet werden.
Höhepunkt ist das 15minütige Finale. Der bereits erwähnte Gewaltexzess von Kain und- Abelschem Ausmaße ist der Anfang vom Ende. Besonders aufregend ist auch hier wieder das Wie: Diese Prügel- und Quälszene ist eine unkonventionelle, sehr physische Art, dem Zuschauer wichtige Informationen zu geben. Beim sich vermöbeln kommen die wahren Hintergründe der Beziehung der Brüder zur Sprache. Mit jedem Schlag, jedem Blutspritzer kommt eine entscheidende Information der Backstory ans Licht. Und nach einer kurzen Entspannungsphase geht es erst richtig zur Sache. Neben der einfallsreichen Geschichte und der großartigen Dramaturgie, die Autor Murmel Clausen diesmal ohne Andreas Pflüger erdacht und gebaut hat, dem hinreißenden Duo und einer sehr stimmigen Gäste-Besetzung aus nicht allzu bekannten Gesichtern (was die Geschichte in ihrer „Authentizität“ unterstützt) darf die großartige Regie von Titus Selge nicht vergessen werden. Ob die komische Dehnung von Einstellungen (einmal sieht man die Kommissare vom Ende eines Ganges gemächlich nach vorne kommen, wo die Schröders sitzen und auf ihr Verhör warten), ob Totalen, in denen Kontrahenten eindrucksvoll ins Bild gesetzt werden (die Stichs in einem leeren Hotelsaal), ob ein Schnitt zur rechten Zeit (Lessings Kita-Gespräch findet auf Kinderhockern statt), ob eine antizipierende Kameraposition (Stich senior malt die schöne Witwe und was sehen wir im Hintergrund?) – Selges Auflösungen haben Stil und Esprit. Da ist nichts zufällig, nichts beliebig. Und diese Kriminalkomödie, die zumindest den Fans des Genres beim zweiten Sehen noch mehr Spaß machen dürfte, ist wunderbar präzise und kompromisslos, also alles andere als „nett“. Ja selbst Christian Ulmens Lessing ist nicht nur nett. „Der kleine Kommissar“ kann auch ganz anders, wenn einer seiner liebsten Kira Böses will. (Text-Stand: 13.1.2018)