Wenn der Kommissar große Teile der Handlung mit einem grenzdebilen Grinsen im Gesicht bestreitet, als sei er ein Opfer des verrückten „Batman“-Schurken Joker geworden, dann klingt das bestenfalls nach Parodie; und schlimmstenfalls nach Klamotte. Der famose „Tatort“ aus Stuttgart ist dennoch in erster Linie ein Krimi, in dem das Duo Lannert und Bootz (Richy Müller, Felix Klare) vor einem Rätsel steht: Im Neckar ist ein Kopf gefunden worden. Der Schädel gehörte zu Lebzeiten dem Nachtclubbesitzer Kellermann. Womöglich wollte er in großem Stil ins Drogengeschäft einsteigen, was ihm nicht gut bekommen ist. Die Todesursache passt allerdings nicht recht ins Bild. Rechtsmediziner Vogt (Jürgen Hartmann) tippt auf einen großen Hund, genauer gesagt: auf einen sehr großen Hund. Lannert ist auf eigene Faust losgezogen und schickt dem Kollegen ein Foto, auf dem eine Menge Blut zu sehen ist; das ist für einige Stunden sein letztes Lebenszeichen. Als Bootz den Freund und Partner endlich in Kellermanns Club „Der wilde Mann“ aufspürt, ist ihm Lannert vorerst keine Hilfe mehr: Jemand hat ihn unter Drogen gesetzt, er benimmt sich wie ein kleiner Junge und hat einen kompletten Filmriss. Das einzige, woran er sich erinnern kann: In dieser Nacht soll ein großer Deal stattfinden. Kurzerhand rekrutiert Bootz den Rechtsmediziner, um Kellermanns Kompagnon Hanika (Frederic Linkemann) und dessen Freundin Jessy (Rilana Nitsch) zu überwachen; womöglich haben die beiden auch ihren Chef auf dem Gewissen. Aber warum führen die Ermittlungen in ein China-Restaurant, das „Zum goldenen Tiger“ heißt? Und was hat die Bauernfamilie Bechtle mit der Sache zu tun?
Allen Heiterkeiten zum Trotz ist „Die Nacht der Kommissare“, der dreißigste Fall für das Duo aus Stuttgart, keine reine Komödie, obwohl schon allein Lannert immer wieder lustig ist, wenn er beispielsweise plötzlich eine Partytröte aus der Tasche zieht. Gernegroß-Gangster Hanika bringt ebenfalls viele Voraussetzungen für eine Witzfigur mit; die treibende Kraft des Pärchens ist eindeutig Freundin Jessy. Auch die Bechtles passen mit ihrem ausgeprägten schwäbischen Dialekt nicht so recht in die hartgesottene Drogenwelt. Allerdings geht es gar nicht um Drogen, wie sie sich schließlich rausstellt: Das Ehepaar Beate und Dieter (Therese Hämer, Klaus Zmorek) hat eine lukrative Alternative zur Schweinezucht gefunden; aber wenn kleine Leute in solchen Geschichten große Träume haben, geht das meistens schief.
Dass die Balance auf dem schmalen Grat zwischen Krimi und Persiflage gelingt, ist neben dem originellen Drehbuch und der souveränen Regie nicht zuletzt dem Ensemble zu verdanken. Therese Hämer versieht Beate Bechtle mit der finsteren Entschlossenheit einer Farmersfrau, die bereit ist, ihren Hof bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen; dass sie mit ihrem Jagdgewehr umgehen kann, steht außer Zweifel. Shirel Pelegs Umsetzung bedient sich ohnehin einiger moderater Western-Elemente: Als Bootz in den Club kommt, inszeniert die Regisseurin den Moment wie jene Szenen, in denen der Revolverheld den Saloon betritt. Klaus Zmorek passt ebenfalls ins Bild: Dieter Bechtle ist eine echte Erscheinung, wirkt aber weitaus kaltblütiger, als er tatsächlich ist. Ihre Männer (Valentin Erb spielt den Sohn), stellt Beate gegen Ende fest, sind nicht fürs Verbrechen geschaffen: Der eine ist zu gut und der andere zu blöd für diese Welt.
Wenn Drogenkonsum im Spiel ist, kommt erfahrungsgemäß gerade der Bildgestaltung eine besondere Rolle zu. Peleg und Kameramann Andreas Schäfauer haben es jedoch dabei belassen, Lannerts verzerrte Perspektive nur wenig zu verfremden; ein Halleffekt sorgt dafür, dass ihm der Kollege trotzdem etwas unheimlich wird. Das gilt erst recht für die Erinnerungsfetzen, in denen mehrfach ein Mann ohne Gesicht auftaucht. Auch das Drehbuch begnügt sich mit kleinen Aussetzern, um anzudeuten, dass der Rausch noch nachwirkt: Mal erschreckt Lannert die Kollegen, indem er sich heimlich in den Streifenwagen gesetzt und die Sirene einschaltet, mal streckt er versehentlich den Besitzer des China-Lokals nieder, als er den „Mann mit der Todeskralle“ imitiert. Filmfans können sich ohnehin über einige cineastische Anspielungen freuen; Jürgen Hartmann wirkt mitunter, als habe sich Woody Allen in einen Krimi verirrt.
Die Freude aller Beteiligten, an einem etwas anderen „Tatort“ mitwirken zu dürfen, ist dem Film ohnehin in jeder Szene anzumerken; das beginnt bereits mit dem ins Bild integrierten Titel. Auch die Musik (Jasmin Reuter) setzt mit ihren Western-Anklängen und einer jammernden E-Gitarre einprägsame Akzente. Krönung sind die oftmals skurrilen Dialoge, aber mindestens genauso witzig sind die Momente, die gänzlich ohne Worte auskommen. Wolfgang Stauch, Autor diverser regelmäßig sehenswerter Sonntagskrimis, hat für das Stuttgarter Duo bereits „Anne und der Tod“ (2019, mit Katharina Marie Schubert als vermeintlicher Engel des Todes) und den nicht minder sehenswerten Heckenschützen-Krimi „Du allein“ (2020) geschrieben. Regisseurin Peleg ist in Israel aufgewachsen und hat 2012 ein Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg begonnen; ihr Regiedebüt war die romantische Kinokomödie „Kiss Me Kosher“ (2020) über eine Deutsche, die sich in eine Israelin verliebt. (Text-Stand: 23.5.2023)