Schon wieder ist es Winter mitten im Sommer. Wie kürzlich beim „Tatort: Borowski und der brennende Mann“ liegt auch beim neuen Fall aus Leipzig – ausgestrahlt Mitte Juni – Schnee. Spricht nicht gerade für eine gute Programmplanung in der ARD, auch wenn es diesmal einen anderen Grund für den Winter-Krimi gab: Martin Wuttke musste wegen eines Wadenbeinbruchs, den er sich während eines Auftritts an der Berliner Volksbühne zugezogen hatte, die Dreharbeiten zum „Tatort: Die Wahrheit stirbt zuerst“ im Oktober unterbrechen. Erst Mitte Februar konnten sie fortgesetzt werden. Im neuen MDR-Fall müssen die Saalfeld und Keppler den Tod eines Mädchens aufklären. In die Ermittlungen mischt sich dabei Kepplers Ex-Freundin und BKA-Kollegin Linda Groner, gespielt von Katja Riemann, ein. Ein Krimi mit guter Besetzung und voller Wendungen, doch nur die wenigsten sind überraschend. Überzeugen können die eindrucksvollen Bilder von Miguel Alexandre, der neben Kamera auch für Regie verantwortlich zeichnet. Der Rest: routinierte Krimi-Unterhaltung.
Die kleine Amelie wird tot an einem See aufgefunden. Sie liegt aufgebahrt in einem Boot. Alles deutet daraufhin, dass ihr Vater (Pasquale Aleardi) das Mädchen umgebracht hat, weil sie mit ihrer Mutter (Anne Ratte-Polle) und deren neuen Lebensgefährten (Bernhard Schir) in ein paar Tagen nach Kairo ziehen sollte. Doch bald darauf wird der leibliche Vater mit aufgeschnittenen Pulsadern gefunden. In einer dramatischen Aktion versucht Eva Saalfeld, ihm mit einer Blutspende das Leben zu retten. Bei der Obduktion wird festgestellt, dass das Mädchen unter Asthma litt und ihr Tod durch Ersticken eingetreten ist. Als Keppler ein volles Asthmaspray im Auto des Vater findet, stellt sich die Frage, ob er seinem Kind die dringend benötigte Medizin absichtlich vorenthalten hat. Derweil gerät auch der neue Lebensgefährte von Amelies Mutter unter Verdacht. Die BKA-Ermittlerin Linda Groner versucht seit geraumer Zeit, ihm krumme Geschäfte nachzuweisen. Stand die kleine Amelie seinen Plänen im Weg und musste deshalb sterben? Linda mischt sich nicht nur in die Arbeit der Kommissare ein, sondern sorgt auch privat für Turbulenzen. Denn sie war mit Keppler liiert, als der noch beim BKA war…
Die Vergangenheit holt Keppler im „Tatort: Die Wahrheit stirbt zuerst“ ein. Mit Kollegin Eva Saalfeld ermittelt er an einem Ort, an dem die beiden einst, als sie noch ein Paar waren, glückliche Stunden erlebten. Und mit Linda Groner taucht eine alte BKA-Bekanntschaft auf, die früher mal nicht nur beruflich Kepplers Partnerin war. Diese gedanklich Zeitreise bietet Martin Wuttke reichlich Gelegenheit, zurückgenommen und präzise die Stärken seiner Figur auszuspielen. Kollegin Simone Thomalla muss dagegen richtig in die Vollen gehen: Saalfeld muss heldenhaft Blut spenden, überengagiert den Hauptverdächtigen auf der Intensivstation schütteln („er hat mein Blut“) und mit leidender Mine den Krankenhausflur entlang schwanken. Thomallas Spiel wirkt zuweilen so blutarm wie Saalfeld nach der Blutspende.
Was überzeugen kann, sind die intensiven und stimmungsvollen, markant mit Klängen des Bandoneons unterlegten Bilder von Miguel Alexandre. Die Dialoge sind „Tatort“-Standard und der Geschichte, die im Verlauf des Krimis immer größer und damit leider auch konturloser wird, merkt man an, dass mit André Georgi, Harald Göckeritz und Regisseur Miguel Alexandre gleich drei Autoren daran gearbeitet haben… Schade eigentlich, denn was als ungemein beklemmendes Familiendrama beginnt und einen schnell in den Bann zieht, verliert mit zunehmendem Verlauf an Dichte, wenn es um legal-illegalen Technologietransfer in Kriegsgebiete und das – schon zu oft thematisierte – Konkurrenzverhältnis von übergeordneten Behörden und den Kommissaren vor Ort geht. So kann auch Katja Riemann als rücksichtslos-kalt agierende BKA-Ermittlerin diesem „Tatort“ nicht dazu verhelfen, ihm mehr als das Etikett „solide Krimi-Unterhaltung“ zu verleihen. (Text-Stand: 20.5.2013)