Die fiktive Organisation Transitus bereitet jenen, die aus dem Ausland anreisen, einen selbstbestimmten Tod. Die religiöse Gruppierung Pro Vita vertritt den Standpunkt, dass nur Gott den Todeszeitpunkt bestimmen darf, egal wie krank der Mensch ist. Diese beiden klaren Positionen prallen im „Tatort – Freitod“ aufeinander. Sterbebegleiterin Helen (Schwegler) und die Mitarbeiter Jonas (Sebastian Krähenbühl) & Nadine (Anna Schinz) sind verantwortlich für die Durchführung der Sterbebegleitung bei der Alzheimer-Patientin Gisela Aichinger. Die war mit ihrer Tochter aus Köln nach Luzern angereist. Als der Sarg mit der Toten aus dem Haus getragen wird, protestiert Pro Vita um ihren Leiter Thommsen (Martin Rapold) gegen die Sterbehilfe. In der Nacht wird Helen niedergeschlagen und erstickt. Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) stoßen bei ihren Ermittlungen auf Martin (Martin Butzke), den verwahrlost wirkenden und unter einer psychischen Störung leidenden Sohn der Toten, der nichts von den Plänen seiner Mutter gewusst hat. Als er davon erfährt, wünscht er allen Beteiligten die zehn Plagen an den Hals und taucht unter. Ist er der Täter? Und was ist mit Thommsen, diesem charismatischen, selbsternannten Gutmenschen, der Dossiers aller Transitus-Mitarbeiter auf seinem Computer hat und der seine Mitarbeiterin zur Abtreibung drängt? Bald geraten die Luzerner Kommissare zwischen die Fronten von Befürwortern und Gegnern der Sterbehilfe. Was ist in der Nacht geschehen? Mit wem hat sich Helen Aichinger getroffen? Und was hat der Mord mit einem schon länger zurückliegenden Vorfall zu tun?
„Freitod“, kurz vor dem 1000. Film der Reihe, steht für die Stärken und auch die Schwächen des ARD-Flaggschiffs. Der „Tatort“ greift sehr oft Themen auf, die in der öffentlichen Diskussion stehen, die kontrovers, die gesellschaftlich relevant sind, die polarisieren. So auch der Krimi von Sabine Boss. Es geht um Sterbehilfe, die legale Sterbebegleitung in der Schweiz, die zwar aktiv und helfend – wie auch in Deutschland – verboten, begleitend doch unter gewissen Bedingungen erlaubt ist. Ein gewisser Grad an Autonomie muss für einen unheilbar kranken Menschen, der aus dem Leben scheiden will, gegeben sein. Das zeigt der Film in den ersten Minuten deutlich. Der Zuschauer wird unmittelbarer Beobachter, wie die Frau den Becher mit flüssigem Barbiturat von der Helferin Helen annimmt und ihn mit eigener Kraft zu sich nimmt. Eine Videokamera nimmt den Vorgang auf und dient als Beweismittel.
Fast dokumentarisch führt Regisseurin Sabine Boss („Stärke 6“) in das Thema, man wird Zeuge des Vorgangs. Der eigentliche Krimi beginnt erst danach. Und da beginnen die Schwächen. Es wird zu viel über Für und Wider der Sterbehilfe anhand der beiden fiktiven Organisationen Transitus und Pro Vita dialogisiert, erklärt und auch moralisiert. Und dass das Motiv für die Tat bzw. die Taten schließlich in einem Wahn begründet ist, ist eher enttäuschend. „Todesengel“-Geschichten hat man dann doch schon zu häufig gesehen. Andererseits nähert sich Boss, die 2012 auch schon den Luzerner „Tatort – Hanglage mit Aussicht“ inszeniert hat, sensibel dem heiklen und kontroversen Thema. Viele Szenen spielen nachts und in dunklen Räumen, alles wirkt düster und bedrückend. Licht gibt es an vielen Stellen in Form von Kerzen und Taschenlampen. So versucht die Regisseurin den schweren Stoff, den das Drehbuch von Josy Meier und Eveline Stähelin vorgab, visuell passend umzusetzen. Dass das alles ein wenig behäbig wirkt, liegt am gedrosselten Erzähltempo und auch an der Synchronisation, die dem Krimi Authentizität und Direktheit nimmt – und ein wenig den emotionalen Zugang erschwert. Der SRF-„Tatort“ wird in Schwyzerdütsch gedreht. Das Hochdeutsch der Schweizer Darsteller wirkt zuweilen gestelzt und hölzern, der Sprachrhythmus stimmt desöfteren nicht; das geht leider dann zu lasten der Atmosphäre.
Delia Mayer und Stefan Gubser lösen in „Tatort – Freitod“ ihren nunmehr elften gemeinsamen Fall. Sie haben sich gefunden, ihre Figuren der Liz Ritschard und des Reto Flückiger haben auch ihren Background. Doch eine starke emotionale Anbindung gelingt nicht. Privates wird nur angedeutet, Reto gibt seit einigen Folgen bereits den Verliebten, starrt hier des öfteren auf sein Handy und wirkt nervös. Aber von seiner Kollegin lässt er sich (und die Zuschauer) nicht ins Privatleben sehen. Klar, das ist auch eine erzählerische Variante, aber die will nicht so recht aufgehen. Am Ende kann Liz Reto wenigstens den Vornamen der Holden entlocken: Seine Flamme heißt Evelyn. Fortsetzung folgt… (Text-Stand: 28.8.2016)